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»Halt den Mund und tu, was ich dir befehle«, meinte Sour Billy. »Julian möchte, daß du schön aussiehst, Mädchen.« Dann verließ er sie und ging in den Hauptteil des Hauses.

Er fand Julian in der Bibliothek, wo er in der Dunkelheit in einem hohen Ledersessel lehnte, ein Brandyglas in der Hand. Um ihn herum und mit Staub bedeckt standen die Bücher, die einmal dem alten Rene Garroux und seinen Söhnen gehört hatten. Keines war in den Jahren angefaßt worden. Damon Julian war keiner von denen, die viel lesen.

Sour Billy trat ein und hielt sich in respektvoller Entfernung und schwieg, bis Julian das Wort ergriff.

»Nun?« fragte endlich die Stimme aus der Dunkelheit. »Viertausend«, sagte Sour Billy, »aber sie wird Ihnen gefallen. Sie ist jung, hübsch und zart, schön, wirklich bildschön.«

»Die anderen werden bald hier sein. Alain und Jean sind bereits da, diese Narren. Der Durst quält sie. Bring sie in den Ballsaal, wenn sie soweit ist.«

»Ja«, sagte Sour Billy hastig. »Es gab Ärger bei der Auktion, Mister Julian.«

»Ärger?«

»Ein kreolischer Angeber namens Montreuil. Er war auch scharf auf sie, es gefiel ihm gar nicht, überboten worden zu sein. Ich dachte mir, daß er vielleicht mißtrauisch wird. Er ist ein Spieler und treibt sich viel in den Spielsalons herum. Soll ich mich irgendwann einmal abends eingehender mit ihm befassen?«

»Erzähl mir von ihm«, befahl Julian. Seine Stimme war wohltönend, weich und tief und ausdrucksvoll, so vollmundig wie alter Cognac.

»Jung, dunkel. Schwarze Augen, schwarzes Haar. Hochgewachsen. Ein Duellant, wie erzählt wird. Ein harter Mann. Stark und gewandt, aber er hat ein hübsches Gesicht, wie man es bei vielen von der Sorte finden kann.«

»Ich werde mich um ihn kümmern«, sagte Damon Julian.

»Ja, Sir«, sagte Sour Billy Tipton. Er wandte sich um und kehrte auf seine Zimmer zurück.

Emily war wie verwandelt, als sie in das Brokatkleid schlüpfte. Sklavin und Kind verschwanden; gewaschen und entsprechend angezogen, war sie eine Frau von dunkler, nahezu ätherischer Schönheit. Sour Billy betrachtete sie eingehend. »So ist es gut«, meinte er. »Komm, du gehst auf einen Ball.«

Der Ballsaal war der größte und prachtvollste Raum des Hauses, erleuchtet von drei riesigen Kandelabern aus geschliffenem Glas, an denen jeweils hundert Kerzen brannten. Flußlandschaften, mit kräftigen Ölfarben gemalt, hingen an den Wänden, und der Fußboden bestand aus herrlichem polierten Holz. An einem Ende des Raums öffneten sich breite Doppeltüren zu einer geräumigen Vorhalle; am anderen Ende schwang eine breite Treppe sich nach oben und zur Seite, deren Geländer im Kerzenschein glänzte.

Sie warteten schon, als Sour Billy sie hereinführte.

Neun von ihnen waren anwesend, Julian selbst eingeschlossen; sechs Männer, drei Frauen, die Männer in dunklen Anzügen von europäischem Schnitt, die Frauen in hellen Seidenkleidern. Außer Julian warteten sie auf der Treppe, reglos und schweigend, respektvoll. Sour Billy kannte sie alle: die blassen Frauen, die sich selbst Adrienne und Cynthia und Valerie nannten, der dunkle hübsche Raymond mit dem jungenhaften Gesicht, Kurt, dessen Augen wie glühende Kohlen brannten, all die anderen. Einer von ihnen, Jean, zitterte unmerklich, während er wartete, die Lippen gespannt, so daß sie seine langen weißen Zähne freigaben, die Hände fahrig und zuckend. Der Durst hatte ihn schlimm gepackt, aber er unternahm nichts. Er wartete auf Damon Julian. Sie alle warteten auf Damon Julian.

Julian schritt durch den Ballsaal auf das Sklavenmädchen Emily zu. Er bewegte sich dabei mit der kraftvollen Grazie einer Katze. Er bewegte sich wie ein Lord, wie ein König. Er bewegte sich wie fließende Dunkelheit, stetig und unausweichlich. Er war ein düsterer Mann, irgendwie und unerklärlich, obgleich seine Haut sehr blaß war; sein Haar war schwarz und gelockt, seine Kleidung dunkel, seine Augen wie glitzernder Feuerstein.

Er blieb vor ihr stehen und lächelte. Julian zeigte ein charmantes, wohlgesetztes Lächeln. »Exquisit«, sagte er einfach.

Emily errötete und geriet ins Stottern. »Schweig«, schnappte Sour Billy. »Du hast nur zu reden, wenn Mister Julian es dir gestattet.«

Julian fuhr mit einem Finger über eine weiche, dunkle Wange, und das Mädchen zitterte und versuchte, still zu stehen. Er streichelte ihr übers Haar, dann hob er ihr Gesicht und ließ seine Blicke in ihre Augen tauchen. In diesem Augenblick wich Emily zurück und stieß einen ängstlichen Schrei aus, aber Julian hielt ihr Gesicht mit beiden Händen fest und ließ nicht zu, daß sie wegschaute. »Reizend«, sagte er. »Du bist schön, Kind: Wir wissen Schönheit zu schätzen, wir alle hier.« Er gab ihr Gesicht frei, legte eine ihrer zierlichen Hände in seine eigene, hob sie hoch, dann drehte er sie um und beugte sich vor, um einen Kuß auf die Innenseite ihres Handgelenks zu hauchen.

Das Sklavenmädchen zitterte noch immer, aber sie wehrte sich nicht. Julian drehte sie sacht und reichte Sour Billy Tipton ihren Arm. »Würdest du die Honneurs machen, Billy?«

Sour Billy griff nach hinten und zog das Messer aus der Scheide, die er im Nacken trug. Emilys Augen weiteten sich und quollen angstvoll hervor, und sie versuchte, zurückzuweichen, sich loszureißen, aber er hatte sie fest im Griff, und er war schnell, sehr schnell. Die Klinge war kaum zu sehen gewesen, und plötzlich war sie naß; ein einziger schneller Schnitt quer über die Innenseite ihres Handgelenks, wo Julian sie mit seinen Lippen berührt hatte. Blut quoll aus der Wunde und begann auf den Fußboden zu tropfen, das Klatschen überlaut in der Stille des Ballsaals.

Das Mädchen wimmerte kurz auf, aber ehe sie wußte, was überhaupt mit ihr geschah, hatte Sour Billy sein Messer schon wieder in die Scheide geschoben, und Julian hatte wieder ihre Hand ergriffen. Er hob ihren schlanken Arm noch einmal hoch, dann preßte er seine Lippen auf ihr Handgelenk und begann zu saugen.

Sour Billy zog sich zur Tür zurück. Die anderen verließen die Treppe und kamen näher, wobei das Rascheln der Kleider der Frauen wie ein leises Flüstern klang. Sie standen hungrig im Kreis um Julian und seine Beute herum, die Augen dunkel und gierig glühend. Als Emily das Bewußtsein verlor, trat Sour Billy schnell vor und fing sie in seinen Armen auf und stützte sie. Sie wog fast nichts.

»Was für eine Schönheit«, murmelte Julian, als er sich von ihr löste, die Lippen naß, die Augen verhangen und satt. Er lächelte.

»Bitte, Damon«, flehte derjenige, der den Namen Jean trug und dabei zitterte, als hätte er hohes Fieber.

Blut rann langsam und dunkel an Emilys Arm herab, während Julian Jean mit einem kalten, mißbilligenden Blick bedachte. »Valerie«, sagte er, »die Reihe ist an dir.« Die blasse junge Frau mit den violetten Augen und dem gelben Kleid trat vor, kniete sich anmutig nieder und begann das aufzulecken, was herausgeflossen war. Erst als sie den Arm völlig sauber geleckt hatte, drückte sie ihren Mund auf die offene Wunde.

Raymond kam als nächster, als Julian ihn gewähren ließ, dann Adrienne, dann Jorge. Schließlich, als auch die anderen an der Reihe gewesen waren, wandte Julian sich mit einem Lächeln und einer Geste zu Jean um. Er stürzte sich mit einem erstickten Schluchzen auf sie, entriß sie Sour Billys Armen und begann das weiche Fleisch von ihrem Hals zu fetzen. Damon Julian verzog angewidert das Gesicht. »Wenn er fertig ist«, meinte er zu Sour Billy, »dann mach alles sauber.«

KAPITEL DREI

New Albany, Indiana, Juni 1857

Dichte Nebelschwaden lagen über dem Fluß, und die Luft war feucht und kalt. Es war kurz nach Mitternacht, als Joshua York, nachdem er endlich aus St. Louis eingetroffen war, Abner Marsh in den verlassenen Docks von New Albany traf. Marsh wartete schon fast eine halbe Stunde, als York endlich auftauchte und wie eine gespenstische Erscheinung aus dem Nebel heraustrat. Hinter ihm, als stumme Schatten zu erkennen, kamen vier andere Personen.