Beide Männer stürzten zu Boden, aber der Schwertmeister hatte das erwartet und hielt seinen Dolch bereits in der Hand. Er verschwendete keine Zeit an ein Duell mit Xiang – bei einem Kämpfer seines Kalibers war es der erste Hieb – und nur der erste –, der zählte. Der Khisu war ein geborener Mörder, und außerdem hatte Eliizar schon viel zuviel Tod für einen Tag gesehen, um sich mit überflüssigen Heldentaten aufzuhalten. Während die beiden Männer noch ineinander verkeilt auf dem Boden lagen, wollte er mit seinem Dolch Xiangs Kehle aufschlitzen und hoffte, gleich beim ersten Mal einen tödlichen Streich zu führen, aber sein Arm war bei dem Sturz leicht verletzt worden, und die Klinge verfehlte ihr Ziel. Fluchend ließ Eliizar seinen Gegner los und sprang auf die Füße, wobei er, noch bevor er sich ganz aufgerichtet hatte, schon sein Schwert aus der Scheide gezogen hatte.
Xiangs Augen weiteten sich, als er seinen Angreifer erkannte. Schnell wie eine Schlange sprang er von dem funkelnden Sand auf und brüllte: »Ich hätte dich töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte!« Er war fast so schnell wie Eliizar – fast. Bevor sein Schwert ganz aus der Scheide heraus war, bohrte sich Eliizars Klinge in seinen Hals. Xiangs Kopf blieb ein paar Meter von ihm entfernt im Juwelenstaub liegen.
Eliizar stützte sich auf sein Schwert und schüttelte den Kopf, während er noch immer seinen verstorbenen König und Feind betrachtete. »Ich habe dir immer gesagt, du sollst in der Schlacht deine Zeit nicht mit Reden verschwenden«, murmelte er. Dann hörte er donnerndes Flügelschlagen, und Fink und Sturmvogel landeten neben ihm; ihre Schwingen wirbelten glitzernden Sand auf, der sich langsam auf den Leichnam des Khisu senkte.
»Yinze sei Dank, daß es vorbei ist«, sagte der erschöpfte Fink. »Können wir jetzt nach Hause gehen?«
Sturmvogel sah ihn wütend an und tippte sich mit der Hand an die Stirn, um Eliizar seine Ehrerbietung zu bezeigen. »Alles ist gut, o Herr der Waldländer. Die Schlacht um unser neues Heim ist gewonnen.«
Eliizar blickte auf die sterblichen Überreste von Xiang, dem Tyrannen, hinunter. »Ja.« Er lächelte grimmig. »Jetzt haben wir wirklich gesiegt.«
22
Flucht durch den Fluß
Seit Benziorn ihm die Hand amputiert hatte, waren die Tage für Vannor ein endloses Labyrinth aus Angst und Schmerz gewesen. Das Schlimmste war, daß er die Hand immer noch spüren konnte, als hätte er sie überhaupt nicht verloren, und das, obwohl er den bandagierten, häßlichen Stumpen, der auf den Decken lag, deutlich sehen konnte. Wenn er die Augen schloß oder fortschaute, konnte er spüren, wie sich seine Finger zur Faust ballten und wieder öffneten. Und für etwas, das gar nicht da war, tat die Hand höllisch weh – trotz des Gebräus, das Benziorn ihm immer wieder zu trinken gab und das eigentlich die Schmerzen dämpfen sollte.
Obwohl er genau wußte, daß die körperliche Verletzung mit der Zeit heilen würde, schien Vannors Geist durch den Verlust seiner Hand endgültig gebrochen zu sein. Seine Tage als Führer der Rebellen gehörten der Vergangenheit an. Welchen Nutzen hatte er jetzt noch, verkrüppelt und verstümmelt wie er war? Wie sollte er weiter gegen die Magusch kämpfen, wenn er noch nicht mal ein Schwert führen konnte?
Warum ich? war die Litanei, die wieder und wieder durch seinen Kopf hallte. Warum mußte das ausgerechnet mir passieren? Warum konnte es nicht einem Strauchdieb oder einem dieser räuberischen, menschlichen Wracks vom Hafen zustoßen – oder diesen verfluchten Magusch selbst?
Vannor ertrug niemanden in seiner Nähe – nicht mal seine geliebte Zanna, obwohl diese darauf bestand, an seinem Bett zu sitzen. Der Schmerz in ihren Augen, wenn er wieder einmal seine Wut an ihr ausließ, brach ihm fast das Herz, und doch konnte er nicht dagegen an. Er wollte niemanden bei sich haben und schon gar nicht seine geliebte Tochter – niemand sollte ihn so sehen. Er hatte keine Zukunft mehr; ihn erwartete nur noch Dunkelheit. Die einzige Linderung fand er im Schlaf, aber trotz der Mittelchen, die Benziorn ihm verabreichte, stellte sich der Schlummer stets nur langsam ein. Wenn Vannor ehrlich zu sich selbst war, mußte er zugeben, daß er am liebsten gestorben wäre – aber die tief in ihm verwurzelte Sturheit, die sosehr Teil seines Wesens war, wollte ihm nicht gestatten, diese letzte Zuflucht ernsthaft zu suchen.
Also lag er da, und es war wieder mal ein Tag wie alle anderen; er ertrank in den Tiefen des Selbstmitleids; lag wach und quälte sich mit den Schmerzen in seiner Hand und dem noch größeren Schmerz in seinen Gedanken und fragte sich, ob es jemals einen Ausweg aus dieser Folter geben würde. Der Kaufmann hatte schon eine ganze Zeit das leise Gemurmel aus der Küche gehört, die direkt unter seinem Zimmer lag, aber plötzlich wurden die Stimmen lauter und zornig, so daß sie schließlich in sein Bewußtsein drangen und er sogar verstehen konnte, was gesagt wurde.
»Die Stadt verlassen?« rief Zanna. »Das kann doch nicht dein Ernst sein! Mein Vater ist in einem Zustand, in dem er eine solche Reise unmöglich wagen könnte!«
Benziorn seufzte geduldig. »Ich bin sein Arzt, Mädchen, glaubst du, ich wüßte das nicht? Es ist das letzte, was ich freiwillig täte, aber wir sind hier nicht mehr sicher. Willst du, daß die Magusch deinen Vater wieder in ihre Gewalt bekommen?«
»Du hinterlistiger Mistkerl!« brauste Zanna auf. »Das ist nicht fair. Du weißt, daß ich darauf keine Antwort habe. Aber sieh doch«, bat sie, »es sind kaum drei Wochen vergangen, seit du amputiert hast. Er braucht immer noch Ruhe und Zeit … Wie soll er mit nur einer Hand durch die Abwasserkanäle laufen?«
»Also, ich finde, die Kleine hat recht«, ertönte jetzt Hebbas streitsüchtige Stimme. »Der arme Herr liegt immer noch krank im Bett. Wie kannst du auch nur daran denken, ihn in diese schmutzigen, stinkenden Kanäle runterzuschicken?«
Vannor mußte lächeln – das erste Mal seit Tagen. Die anderen hatten der Köchin wohl gesagt, daß sie um ihrer eigenen Sicherheit willen mitkommen müsse, und nichts auf der Welt würde diese furchtsame, schreckhafte Frau dazu bringen, freiwillig den Marsch durch die Abwasserkanäle auf sich zu nehmen.
»Du wirst ihm helfen«, mischte sich jetzt Yanis in das Gespräch ein. »Keine Angst, Hebba, er wird es schon schaffen. Wir alle werden es schaffen. Auch wenn mein eigener Arm gerade erst angefangen hat zu heilen …«
»Also, wie könntest du da jemand anderem helfen, du Narr?« rief Zanna erregt.
»Es wird alles wieder gut, Zanna, du wirst schon sehen.« Das war Tarnals Stimme. Vannor konnte den ernsthaften und schweigsamen jungen Mann direkt vor sich sehen, wie er Zanna tröstend eine Hand auf den Arm legte. »Ich werde ihm helfen«, sagte er leise. »Wenn wir unterwegs irgendwelche Schwierigkeiten haben, können wir beide, du und ich, Vannor helfen, und Benziorn steht Yanis zur Seite. Aber Benziorn hat recht. Wir dürfen das Risiko, noch länger in Nexis zu bleiben, nicht auf uns nehmen. Du und dein Vater, ihr seid Flüchtlinge, und mit jedem Tag, der vergeht, zieht sich Miathans Netz enger zusammen. Schon jetzt reicht den Soldaten der geringste Grund, um Häuser zu durchsuchen, und wir wissen, daß auf deinen Kopf eine Belohnung ausgesetzt ist. Hebbas Nachbarn müssen mittlerweile gemerkt haben, daß sie nicht mehr allein lebt. Wie lange, glaubst du, wird es dauern, bis sich die ersten Gerüchte herumsprechen und die Leute anfangen, zwei und zwei zusammenzuzählen?«
»Aber was ist mit einer Infektion?« wandte Zanna flehend ein. »In den Kanälen …«
»Zanna, laß uns aufhören, um den heißen Brei herumzureden.« Benziorns Stimme war ganz weich vor Mitgefühl. »Gib es zu – es ist nicht Vannors Körper, um den du dich sorgst, es ist sein Geist. Obwohl wir ihm in jeder nur erdenklichen Weise helfen, wird er bis zu einem gewissen Maß mitmachen müssen, und im Augenblick ist er so in Selbstmitleid versunken …«