Parric, der aus jedem ihrer Worte ein Echo Forrals heraushörte, fing Vannors Blick auf und teilte ein Lächeln mit dem Kaufmann, bevor sie die Leute aussuchten, die sie mitnehmen wollten.
D’arvan, der aus dem Schatten der Bäume zusah, spürte, wie sein Herz einen Augenblick aussetzte, als Aurian von dem Schwert der Flammen sprach. Bei den Göttern, dann mußte sie der Eine sein! Aber um das Artefakt für sich beanspruchen zu können, mußte sie gegen Maya kämpfen, die nach Hellorins Willen in Gestalt des unsichtbaren Einhorns die Insel und ihre Brücken gegen jeden verteidigen mußte, der sich ihnen näherte. Und er hatte keine Möglichkeit, Aurian die Identität ihres Gegners zu enthüllen.
Der Magusch des Waldes spürte, wie er zu zittern begann. Das war eine schreckliche Nachricht – das diese beiden engen Freundinnen um des Schwertes willen einer solchen Gefahr ausgesetzt wurden. Zum ersten Mal begriff er die zweischneidige Natur dieses schrecklichen Artefaktes, und plötzlich hatte er auch die schlimme Vorahnung, daß das Schwert noch weitere Geheimnisse in sich barg. Nicht zum ersten Mal fragte sich D’arvan, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn das Schwert niemals gefunden worden wäre.
Zumindest konnte er bei Aurian und Maya sein – und vielleicht würde er auch, wenn der Kampf begann, eine Möglichkeit finden, einzuschreiten.
Er folgte Aurian und ihren Kameraden, die vorsichtig die steilen, felsigen Wände des Kraters hinunterkletterten. Plötzlich hörte er das finstere Grollen von Donner und bemerkte die zunehmende Erregung der Bäume in seiner Nähe. Als er dann ihren Schmerz und ihren Zorn spüren konnte, erstarrte D’arvan vor Entsetzen. Eliseth hatte eine Möglichkeit gefunden, in den Wald einzubrechen! An der östlichen Grenze des Waldes wurde seine Hilfe dringend gebraucht, sonst war alles verloren. Einen Augenblick lang zögerte D’arvan, auf schreckliche Weise hin und her gerissen zwischen zwei Entscheidungen: Sollte er Maya und Aurian helfen oder zur Verteidigung des Waldes eilen? Aber dann begriff er, daß er überhaupt keine Wahl hatte. Es war sehr zweifelhaft, daß ihm gestattet würde, sich in den Kampf um das Schwert einzumischen – die Dinge würden sich entwickeln, wie sie sich entwickeln mußten. Er durfte jedoch nicht zulassen, daß sich Eliseth einmischte. Mit einem geflüsterten Fluch wandte sich D’arvan von dem Drama ab, das sich in Kürze in dem Krater abspielen würde, und lief zurück durch den Wald, um die Ostgrenze zu verteidigen.
Eliseth, schäumte vor Wut. Nachdem Aurian und dieser verfluchte Wald sie überlistet hatten, hatte sie ihren Zorn zunächst an ihrer Armee ausgelassen und die Männer verflucht und beschimpft. Gleichzeitig trieb sie sie zu immer größeren Anstrengungen an, was ihren fruchtlosen Versuch betraf, sich mit Gewalt einen Weg durch das dornige Gewirr des Unterholzes zu bahnen. Nach einer Weile, als sie begriff, daß all ihr Toben und Schreien zu nichts anderem führte, als ihre Anhänger gegen sich aufzubringen, hatte sie sich ein wenig beruhigt und begonnen, über die Situation nachzudenken.
Diese Bäume wurden eindeutig von irgendeiner magischen Kraft aus dem Innern des Tals beschützt, denn weder Äxte noch Schwerter konnten ihnen etwas anhaben, und sie hatte bereits zu viele ihrer Männer verloren: Einige waren von besonders starken Ästen erwürgt oder von dornigen Stacheln blind gestochen worden; nicht wenige waren von herunterkrachenden Zweigen bewußtlos geschlagen worden, und einer, der unklugerweise versucht hatte, an der trockenen Rinde einer sterbenden, alten Buche ein Feuer zu entzünden, war zerquetscht worden, als sich der ganze Baum scheinbar selbst entwurzelt hatte und auf ihn heruntergestürzt war. Eliseth glaubte, die Identität des Beschützers des Waldes zu kennen: Es mußte sich um Eilin handeln, Aurians Mutter. Diese verfluchte, rebellische Erdmagusch, die ihr und den übrigen Magusch vor so langer Zeit den Rücken gekehrt hatte, würde natürlich alles tun, um ihre Tochter zu beschützen.
»Verflucht soll sie sein!« fauchte die Wettermagusch. Plötzlich hatte dieser Kampf eine persönlichere Note angenommen, denn Eilin mußte auch die Verantwortung für Davorshans Tod tragen, der seinerzeit Eliseths Geliebter gewesen war. »Der werde ich es schon zeigen.« Dann wandte sie sich wieder an ihre Söldner. »Tretet zurück«, befahl sie. »Ich werde mir einen Weg in diesen verfluchten Wald bahnen, und wenn ich jeden Baum einzeln zu Asche verbrennen muß!«
Ein zorniges Rascheln lief durch die Zweige des Waldes, als hätten die Bäume sie gehört und ihre Herausforderung angenommen. Sie werden schon sehen, was sie davon haben, dachte Eliseth grimmig. Sie hatte jedenfalls nicht die Absicht, sich von diesem Haufen Brennholz aufhalten zu lassen! Die Magusch trat ein gutes Stück von den Bäumen zurück, griff nach den niedrig am Himmel hängenden Sturmwolken über ihr, und gleich darauf rollte das dumpfe, dröhnende Echo eines Donners über das Tal hinweg. Mit einem Triumphschrei bog Eliseth ihre Finger zu Klauen und zog funkensprühende Blitze aus dem Himmel herunter.
Die Blitze schlugen zischend auf die Erde, trafen die Bäume in der Nähe des Waldrandes, ließen sie mit Hilfe durch die Luft fliegender Splitter explodieren und umschlangen sie mit einem brüllenden Flammenmeer. Eliseths Maguschsinne konnten die hohen, dünnen Schmerzensschreie auffangen, als das Feuer sich in Windeseile von einem Zweig zum nächsten ausbreitete. Mit einem kalten Lächeln, in dem das ganze Ausmaß ihrer Befriedigung lag, riß Eliseth Blitz um Blitz aus dem gequälten Himmel und entzündete die Bäume wie Fackeln. Als säße sie behaglich zu Hause an ihrem Kamin, streckte Eliseth die Hände aus, um sich an der schimmernden Hitze der Flammen zu wärmen. Da sie es gespürt hätte, wenn ein Magusch ums Leben gekommen wäre, mußte sie davon ausgehen, daß Aurian dem Feuer entkommen war, aber das spielte keine Rolle. Schon sehr bald würde sie sich mühelos ihren Weg in das Tal bahnen – und dann war endlich die Zeit gekommen, um alte Rechnungen zu begleichen.
27
Das Flammenschwert
Das Rebellenlager zu finden war für Vannor eine leichte Aufgabe. Genau wie sie es beim letzten Mal für ihn getan hatten, öffneten ihm die Bäume einen Pfad, der in die Richtung führte, die er einschlagen mußte. Der Rebellenführer sah sich um – und war plötzlich von Herzen glücklich, trotz der Gefahr, die auf sie lauerte und trotz des unheilvollen Rumorens des Sturmes über ihm. Er war also doch nicht nutzlos; sein Leben war doch nicht vorbei gewesen, als er seine Hand verloren hatte! Parric hatte ihm beigebracht, wie man mit der linken Hand kämpfte, und obwohl er zu klug war, um sein Leben jetzt schon diesen gerade erst erworbenen Fähigkeiten anzuvertrauen, hatte er seine erste Schlacht durchgestanden, ohne sich Schande zu machen oder sein Leben dabei zu verlieren. Abgesehen davon war der Ausdruck maßlosen Zorns auf Eliseths Gesicht, als sie ihn, Vannor, gesehen hatte, die ganze Mühsal wahrhaftig wert gewesen.
Überdies war Vannor froh, wieder in dem Tal zu sein, das ihm und seiner kleinen Schar von Rebellen Zuflucht gewährt hatte. Wie freute er sich doch darauf, sie alle wiederzusehen – vor allem Dulsina, die mittlerweile sicher ganz krank vor Sorge um ihn war. Zweifellos tat er gut daran, auf ein paar bissige Bemerkungen von ihrer spitzen Zunge gefaßt zu sein, die gewiß nicht ihresgleichen kannte. Vannor grinste. Er würde sie aussprechen lassen und sie dann so fest umarmen, daß sie keine Luft mehr bekam und ihn nicht länger beschimpfen konnte.