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Während sich der Kavalleriehauptmann auf die langsamere Reise per Pferd in das Land der Xandim begab, plante die Magusch, nach Aerillia zurückzukehren und die Erdmagie ihrer Mutter zu benutzen, um das Wachstum der neuen Ernte zu beschleunigen, die die Himmelsleute zur Zeit anpflanzten – und außerdem hatte sie noch immer eine Menge Dinge mit Rabe auszutragen. Daneben mußte sie sich mit Anvars fortgesetzter Feindseligkeit gegenüber der frischgekrönten Königin des Himmelsvolkes auseinandersetzen, aber mit der Zeit würde sie auch dieses Problem lösen. Inzwischen galt Aurians Sorge der Frage, wie sie die Pflegeeltern ihres Kindes dazu überreden konnte, ihr Rudel zu verlassen, sich in einem Netz nach Aerillia tragen zu lassen – und, was noch schwieriger war, die geflügelten Träger dazu zu überreden, die Wölfe überhaupt mitzunehmen. Als schließlich alles geregelt war und die beiden Magusch eigentlich in die Stadt des Himmelsvolks zurückkehren konnten, war Aurian so sehr mit den Nerven am Ende gewesen, daß sie sich am liebsten alle Haare einzeln ausgerissen und laut geschrien hätte.

Hreezas Worte verbannten jedoch all diese Dinge aus ihren Gedanken. Die alte Katze schien sich, obwohl sie immer noch den größten Teil der Zeit verschlief, schon weitgehend erholt zu haben, aber vielleicht hatte die böse Erfahrung vor ein paar Tagen ihren Verstand getrübt … Aurian hob fragend eine Augenbraue und sah Shia an, die das gedankliche Gegenstück zu einem Achselzucken zurückgab.

»Ich hätte gedacht«, meinte die Magusch vorsichtig, »daß du für den Augenblick genug hast von allen Himmelsleuten.« Nach dem, was Hreeza durch die uralten Feinde ihres Volkes erlitten hatte, hatte sie bisher mit unverhohlener Feindseligkeit auf alle Geflügelten reagiert, die ihre Kammer betraten.

Shia ging die Sache, wie es für sie so kennzeichnend war, viel direkter an. »Was willst du von dem Balg?« wollte sie wissen. »Sei still, du alte Närrin; du mußt dich ausruhen. Hast du vergessen, daß wir dich um ein Haar verloren hätten?«

»Nein, das habe ich nicht vergessen.« Hreezas Gedankenstimme war zwar schwach und müde, verriet aber doch einen Funken ihres alten Kampfgeistes. »Das ist auch der Grund, warum ich meine Retterin sehen möchte. Wäre dieses geflügelte kleine Mädchen nicht gewesen, wäre ich wirklich zugrunde gegangen, und wie du sehr wohl weißt, Shia, geht es mir gegen den Strich, eine Schuld unbeglichen zu lassen. Ich muß mich bei der Kleinen bedanken – und da es mir zutiefst zuwider ist, einem Sproß dieses geflügelten Abschaums verpflichtet zu sein, möchte ich die unerfreuliche Angelegenheit so bald wie möglich hinter mich bringen.«

»Pah! Mich täuschst du nicht!« erwiderte Shia. »Dazu kenne ich dich zu gut, Hreeza. Du verbirgst etwas vor uns, oder ich will ein Klumpen Xandim-Pferdefleisch sein! Na komm schon – spuck es aus!« Als Hreeza auch weiterhin verstockt schwieg, begann die jüngere Katze von neuem: »Ich werde Aurian nicht erlauben, das Kind holen zu lassen, bevor du mir nicht sagst, was du im Schilde führst.«

Hreeza murmelte irgendwelche unverständlichen Worte, doch sie wußte, wann sie geschlagen war. »Also schön«, gab sie widerwillig nach, »aber du wirst mir nicht glauben.« Sie warf Shia einen herausfordernden Blick zu. »Die Himmelsleute können uns hören, Shia – sie haben die Fähigkeit, unsere Gedankensprache zu verstehen, genau so wie die Magusch!«

Aurian, die diesem Gespräch lauschte, stieß einen verblüfften Ausruf aus, aber Shia schwieg. Sie war zu überrascht, um etwas zu sagen. Nach einem Augenblick hatte sie sich jedoch wieder gefaßt. »Unfug!« brauste sie auf. »Delirium – das ist es gewesen und sonst nichts! Du hast es dir eingebildet!«

»Hab’ ich nicht!« fauchte Hreeza. »Ich habe um Hilfe gerufen, das habe ich dir doch erzählt – und dieses geflügelte Kind hat mich gehört!«

Aurian, der Shias angeborener Haß auf die Geflügelten fehlte, begriff viel schneller als ihre Freundin, welche Möglichkeiten dieses neue Wissen offenbarte. »Aber wenn die beiden Rassen miteinander reden können, dann muß es doch gewiß eine Möglichkeit geben, Frieden zwischen euch zu stiften«, meinte sie vorsichtig.

»Niemals!« zischte Shia. Mit flammenden Augen wandte sie sich an Aurian. »Was ist mit unseren dahingemetzelten Leuten? Hast du so schnell die Felle vergessen, die die Himmelsleute dir und Anvar gegeben haben, damit ihr euch warmhalten konntet? Hast du vergessen, wie Rabe uns betrogen hat und uns beinahe alle umgebracht hätte – einschließlich deines Kindes? Den Geflügelten kann man nicht trauen! Sie sind niedrige, verräterische, mordlustige …«

»Pssst.« Hreezas Stimme setzte Shias fauchender Schimpftirade ein jähes Ende. »Das Abschlachten unseres Volkes hat lange genug gedauert«, erklärte die alte Katze. Mit einem mitleidigen Blick betrachtete sie die sprachlose Shia und seufzte. »In meinem Herzen stimme ich dir voll und ganz zu, meine Freundin – aber mein Kopf sagt mir, daß dieser Krieg zwischen unserem Volk und den Geflügelten aufhören muß. Das Sterben unserer Rasse hat lange genug gedauert – und ich würde niemals einer anderen Katze wünschen, so leiden zu müssen, wie ich es getan habe. Irgend jemand muß diesen sinnlosen Feindseligkeiten Einhalt gebieten – und wenn das geflügelte Mädchen eine Hoffnung für die Zukunft bedeutet, dann laß uns diesen Vorteil nutzen!« Sie konnte ihren Kopf vor Erschöpfung kaum aufrecht halten und legte ihn nun auf ihre ausgestreckten Pfoten. »Genug, Shia – ich bin müde. Während ich schlafe, mußt du meine Worte bedenken – suche auch Khanu und sprich mit ihm darüber. Dann, wenn ich wieder wach bin, mußt du nach dem kleinen Mädchen schicken.«

3

Fremde Heimat

Emmie schlafwandelte beinahe, als sie die Küchenhöhle betrat. Der leere Raum war in tiefe Schatten getaucht, denn in dem komplexen Netzwerk von Höhlen, die die Schmuggler ihr eigen nannten, waren die meisten Lampen schon vor langer Zeit gelöscht worden. Emmie störte das nicht. Das schläfrig rote Glühen von den mit Asche belegten Feuern spendete genug Licht für ihre Zwecke. Sie ging hinüber zu dem von Messerspitzen eingekerbten Tisch, zog das eine Ende der massiven Holzbank, die darunter stand, hervor und setzte sich schwerfällig hin. Sie war völlig ausgehungert, aber sie hatte nicht genug Energie, um sich etwas zu essen zu suchen. Es war schon eine Weile nach Einbruch der Dämmerung, und die Küchenhelferinnen waren vor langer Zeit ins Bett gegangen. Jeder hatte während der vergangenen beiden Tage so hart und ohne Pause gearbeitet, daß Emmie jetzt niemanden wecken wollte. Das wäre nicht fair gewesen. Sie stützte ihre Ellbogen auf den Tisch, ließ ihre Finger durch das Gewirr ihrer unordentlichen blonden Locken gleiten und verlor sich in besorgten Gedanken.

Als könne er ihre Müdigkeit spüren, legte der weiße Hund, der mittlerweile auf den Namen Sturm getauft worden war, seinen Kopf auf ihren Schoß und winselte, während er vertrauensvoll und mit einem auf unheimliche Weise intelligenten Ausdruck in den dunklen Augen zu ihr aufblickte. Emmie schluckte schwer, als unerwartete Tränen ihr die Sicht trübten. Sie murmelte einen Fluch vor sich hin und fuhr sich ungeduldig mit der Hand übers Gesicht. Meine Güte, wie tief bist du doch gesunken, schalt sie sich. Zu flennen wie ein Baby, aus Mitleid zu einem Hund!