Dann machte er hastig kehrt, um seinen eigenen Rat zu befolgen, als er plötzlich ein mitleiderregendes Wimmern aus dem nahen Gebüsch hörte. D’arvan rannte durch den immer dichter werdenden Qualm auf die dünne Stimme zu. Dann steckte er, ohne einen Gedanken an seine eigene Haut zu verschwenden, eine Hand durch das Gewirr des Dornengestrüpps, tastete über den Boden, berührte etwas Pelziges – und förderte ein kleines Wolfsjunges zutage, das kaum älter als zwei Monde sein konnte. Es schien dem Feuer schon bedrohlich nah geraten zu sein, da einige Flecken seines dunkelgrauen Pelzes von den durch die Luft fliegenden Funken bereits versengt waren. »Wie bist du denn hierhergekommen?« murmelte D’arvan überrascht. »Hat das Feuer deine Eltern erschreckt, und haben sie dich vergessen?« Aber ihm blieb keine Zeit mehr, sich zu wundern. Also schob er das sich windende Wolfskind in die Tasche seines Gewandes und floh in Richtung See.
Als sich Aurian und ihre Gefährten vorsichtig ihren Weg hinunter in den Krater bahnten, schien sich der Kreis der Ereignisse im Leben der Magusch zu schließen, und sie fühlte sich in die Zeit zurückversetzt, als sie, ein kleines Mädchen mit zerzausten Haaren und schmutzigen Knien, Forral zum ersten Mal hinunter ins Tal geführt hatte. Heute, an diesem dunklen Tag, schien er ihr besonders nah zu sein.
Ungeduldig schüttelte Aurian den Kopf. Und selbst wenn er hier wäre, dachte sie, würde er dir als allererstes sagen, daß du mit diesen Tagträumereien aufhören mußt! Dafür stand im Augenblick zuviel auf dem Spiel. Aurian warf einen sorgenvollen Blick über die Schulter zu der östlichen Grenze des Tales hin, über der dunkler Rauch hing. »Beeilt euch!« drängte sie die anderen mit leiser Stimme weiter. »Es sieht so aus, als rücke Eliseth langsam näher.«
Nur allzu bereitwillig beschleunigte Schiannath seinen Schritt, aber es gab keinen richtigen Weg durch das Wirrwarr des Waldes, und das Unterholz war so dicht und das Wurzelwerk so gefährlich, daß die Pferde nicht galoppieren konnten. Aurian fluchte. Es schien, als hätten die Bäume im Augenblick zuviel mit sich selbst zu tun, um ihnen einen vernünftigen Weg zu öffnen. Also dachte sie hastig nach, legte dann eine Hand auf den Stab der Erde und griff mit ihrem Willen nach dem Wald.
Kaum hatte sie den Stab berührt, da hätte es die Magusch beinahe von Schiannaths Rücken hinuntergerissen, als der volle Zorn und der Schmerz der Bäume in ihre Gedanken schoß. Das ganze Tal stand in Flammen! Verzweifelt streckte sie dem Wald ihre Kräfte entgegen, um ihn zu beruhigen, und bat die Bäume, ihr einen Weg freizugeben und sie hindurchzulassen. »Kämpft nicht gegen das Böse!« sagte sie zu ihnen. »Beschützt euch! Wenn ihr vor euren brennenden Brüdern flieht und sie mit einem kahlen, offenen Ring umgebt, wird das Feuer keine weiteren Opfer mehr unter euch finden. Laßt Eliseth zum See durch, wenn sie es denn will. Öffnet ihr unbedingt einen Weg, aber seht zu, daß es ein langer ist.«
Plötzlich grinste Aurian. »Sie kennt das Tal nicht. Führt sie auf Umwegen in die Irre und haltet sie so lange wie nur möglich auf – aber sobald sie ungeduldig wird, laßt sie zum See durch, und ich werde mich um sie kümmern. Viele von euch waren mir in meiner Kindheit gute Kameraden. Ich habe unter euch gespielt, und ihr habt mich mit euren Zweigen beschützt. Ich möchte heute nicht noch mehr von euch verlieren.«
Von den Bäumen erklang ein leises Rascheln der Zustimmung wie eine sanfte Brise in den Zweigen. Die Magusch hörte, wie ihre Gefährten aufkeuchten, als plötzlich ein breiter Weg vor ihnen lag. Als Aurian an der Spitze ihrer kleinen Truppe auf den Weg ritt, senkten die Bäume des Tals ihr zu Ehren kurz die Zweige.
»Folgt mir!« rief Aurian. »Zum See!« Schiannath wieherte schrill und bäumte sich auf, bevor er in einem halsbrecherischen Galopp der Mitte des Tales entgegenstürmte.
Das Rebellenlager war in Aufruhr. Seine Bewohner rannten herum, rafften ihre spärlichen Besitztümer zusammen und schickten sich an, aus dem brennenden Tal zu flüchten. Dulsina schien überall gleichzeitig gebraucht zu werden; um zu beruhigen, zu helfen, zu organisieren und zu raten. Fional und Hargorn halfen ihr bei der Evakuierung – der jüngere Bogenschütze tat jedenfalls sein Bestes, aber er schien eine ungeheure Fähigkeit zu haben, ihr pausenlos im Weg zu stehen. Hargorns kampferprobtes Bellen jedoch erwies sich als äußerst nützlich, und Dulsina war froh, daß der alte Soldat die Nachtfahrer verlassen hatte, sobald seine Wunde verheilt war. Anschließend hatte er eine Gruppe von Flüchtlingen aus Nexis hergebracht, die sich zu den Rebellen gesellen wollten.
Vannor hörte schon aus der Ferne die gebrüllten Befehle, während er an der Spitze seiner Xandimkrieger durch die Bäume eilte. »Diese Stimme kenne ich doch!« rief er. »Das ist …«
»Es ist Hargorn!« schrie Parric überglücklich und versuchte, sein Reittier zu größerer Geschwindigkeit anzuspornen, bevor ihm ein wenig zu spät einfiel, daß er auf einem Xandim ritt. »Tut mir leid«, entschuldigte er sich hastig. Das Pferd wieherte und schüttelte gereizt den Kopf, beschleunigte jedoch trotzdem seinen Schritt.
Als sie den Waldrand erreichten, sahen sie, daß die Lichtung, auf der sich das Rebellenlager befand, voller in panischer Angst durcheinanderrennender Leute war, die an irgend etwas zerrten oder schoben, Dinge einpackten oder umpackten und ansonsten versuchten, alles gleichzeitig zu tun. Es schien unmöglich, in diesem Chaos eine ganz bestimmte Gestalt zu erspähen, aber trotzdem wanderte Vannors Blick unbeirrbar zu der hochgewachsenen, dunkelhaarigen Gestalt Dulsinas hinüber.
»Dulsina!« brüllte er, und sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Ich bin wieder da!«
Die Reaktion fiel anders aus, als er erwartet hatte. Absolutes Schweigen breitete sich auf der Lichtung aus, während alle sich umdrehten, um ihn mit offenem Mund anzustarren. Und Dulsina – seine tapfere, vernünftige, umsichtige Haushälterin – wirbelte herum, um ihn anzusehen, und ihr Gesicht war totenblaß vor Schreck. »Vannor!« wisperte sie und brach ohnmächtig auf dem Boden zusammen.
»Steht nicht einfach da rum!« brüllte Vannor. »Will ihr denn keiner helfen?« Mit diesen Worten sprang er von seinem Pferd und rannte, dicht gefolgt von Parric, auf Dulsina zu. Als er sie erreichte, öffnete sie bereits wieder die Augen, und Hargorn half ihr, sich aufzusetzen. Und als der alte Soldat Vannor ansah, hatten seine Augen einen verdächtigen Glanz.
»Ich dachte, du wärst tot«, stieß er hervor. »Bern sagte, die Magusch hätten die Absicht gehabt, dich zu töten.«
»Ich …«, setzte Vannor zu einer Antwort an.
»Du gedankenloser, holzköpfiger Idiot!« unterbrach Dulsina ihn wütend, und ihre Augen sprühten Funken vor Zorn. »Hast du wenigstens Zanna gefunden? Wo hast du während der vergangenen Monate gesteckt, verdammt noch mal? Hast du überhaupt nicht darüber nachgedacht, welche Sorgen wir wegen dir haben?«
Plötzlich entschied Vannor, ihrem Gekeife ein vorzeitiges Ende zu setzen. Er schlang die Arme um Dulsinas Taille und preßte sie so fest an sich, daß sie schließlich protestierend kreischte.
»Ja, ich habe das Mädchen gefunden«, sagte er, »oder sie hat mich gefunden, um genau zu sein. Sie ist in Sicherheit – bei deiner Schwester.«
Nur widerwillig ließ Vannor Dulsina schließlich los und wandte sich an die wartenden Rebellen. »Wir müssen uns beeilen«, sagte er zu ihnen. »Für Erklärungen ist jetzt keine Zeit – wir müssen so schnell wie möglich zum See. Nehmt nur alle Waffen, die ihr tragen könnt, und laßt den Rest von diesem Zeug, wo er ist. Holt die Pferde – diejenigen, die keine Pferde haben, müssen sich ein Pferd mit einem der anderen teilen. Steht nicht einfach mit offenem Mund da rum – bewegt euch!«