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Als Aurian die Brücke überquerte, nahm sie nichts von den Dramen war, die sich um sie herum abspielten. Das Schwert der Flammen rief jetzt nach ihr; es beanspruchte ihre ganze Aufmerksamkeit. Aber sie wußte, daß es nicht leicht sein würde, es zu erringen. Es mußte auf jeden Fall eine Art Probe oder eine Herausforderung geben – so war es bei den anderen Artefakten auch gewesen. Plötzlich war sie froh, daß sie Anvar trotz seines Protests dazu bewogen hatte, zurückzubleiben. Diese Sache konnte gefährlich werden, und sie würde für die vor ihr liegende Aufgabe ihre ganze Konzentration brauchen.

Als sie die Brücke hinter sich hatte, erblickte Aurian einen großen, grauen Felsbrocken, der an der Stelle lag, an der einst der Turm gestanden hatte. Sie runzelte die Stirn. Woher war dieses Ding gekommen? Vorher war es jedenfalls nicht dort gewesen. Es war aus Granit, einem Stein, der sich sehr von dem schwarzen Basalt des Tals unterschied, auf dem das Fundament von Eilins Turm erbaut worden war. Die Magusch näherte sich ihm vorsichtig, während der Kriegsgesang des Schwertes immer lauter in ihren Gedanken widerhallte. Dann streckte sie ganz langsam eine Hand aus, um den massiven Fels zu berühren – und er verwandelte sich unter ihren Fingern in einen riesigen Kristall, in dem ein Licht pulsierte, das von frischem Blut dunkelrot gefärbt war. In den dumpf leuchtenden Facetten des Juwels konnte sie die funkelnden Umrisse eines Schwertes erkennen, jenes Schwertes, das einzig und allein für ihre Hand geschaffen war und das ihr mit seiner harten, metallischen Stimme die Bitte zurief, es aus seinem Gefängnis zu befreien.

Aurian lächelte, aber eine warnende Stimme hielt sie zurück. So einfach konnte das doch unmöglich sein? Das Erringen des Stabes war außerordentlich schwierig gewesen …

Dennoch streckte die Magusch die Hände aus und legte sie auf den Kristall. Mit ihren Heilerinnensinnen suchte sie nach Schwächen innerhalb der Gitterstruktur des Steines, wie sie es vor langer, langer Zeit in den Tunneln unter Dhiammara getan hatte. Mühelos fand sie die Stelle und stieß mit all ihren Kräften zu, um die Kristallstruktur zu zerschmettern. Mit einem seufzenden Wispern zerfiel das Juwel zu funkelndem Staub, und das Flammenschwert sprang in Aurians Hand.

Von einer Woge feuriger Macht erfüllt, die sie mit qualvoller Ekstase zu verzehren schien, ließ sich Aurian auf die Knie fallen. Die Welt um sie herum verblaßte, und es gab nur noch den pulsierenden, blutroten Nebel, während das Lied des Schwertes laut durch ihre Gedanken hallte.

»Du bist der Eine, wie es prophezeit ist, und du hast mich gefunden. Aber bevor du über meine Macht verfügen darfst, mußt du mich zuerst erringen, wie du den Stab der Erde errungen hast. Es muß ein Blutband zwischen uns geben, Kriegerin – ein Opfer. Das erste Blut, das ich trinke, muß das Lebensblut eines Menschen sein, den du liebst. Dann – und nur dann – werde ich mich dir unterwerfen.«

Aurian schrak entsetzt zurück und nahm plötzlich wieder die Welt um sich herum wahr. »Was?« brauste sie auf. »Ich werde nichts Derartiges tun!« Die Warnung des Leviathan kam ihr wieder in den Sinn. »Wie soll ich dich im Namen des Guten benutzen«, fragte sie, »wenn ich dich durch einen so unaussprechlichen Akt in meinen Besitz bringen muß?«

»Dann bin ich verwirkt, und du hast versagt.«

Und plötzlich wandelte sich alles gleichzeitig zum Schlechten.

Wie ein Donnerschlag hallte es über den See, als die Phaerie, angeführt von der hünenhaften Gestalt Hellorins, am Ufer auftauchten.

»Frei!« rief er. »Nach all diesen langen Ewigkeiten sind wir endlich wieder frei. Der Eine hat versagt, hat es nicht geschafft, das Schwert für sich zu erringen. Daher sind wir von unserem Treueeid ihm gegenüber entbunden. Kommt, meine Freunde, wir müssen reiten!«

Eilin, die an seiner Seite war, stieß einen Protestschrei aus, aber der Waldfürst beachtete sie nicht.

Vor Aurians entsetzten Augen nahmen die Xandim, die ihr so treu gefolgt waren, ihre Pferdegestalt an, und ihre Angstschreie gellten durch das Tal. Die Phaerie bemächtigten sich ihrer, beanspruchten einen nach dem anderen für sich – alle bis auf Schiannath und das Windauge, die der Brücke am nächsten waren. Die beiden galoppierten mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über die Holzbretter der Brücke, denn sie wußten, daß sie auf der anderen Seite des Wassers vor der Macht des Phaeriefürsten sicher waren.

»Nein!« rief D’arvan, dessen Stimme vor Zorn brach. »Laß sie in Ruhe, Vater!«

Hellorin stieß ein wütendes Heulen aus und schwang sich auf Iscalda, die der Körpergröße ihres Reiters entsprechend riesige Ausmaße angenommen hatte. »Wir reiten!« schrie er. »Laßt die Welt zittern – denn die Phaerie reiten wieder!« Und dann waren sie fort, jagten in die sich auftürmenden Wolken hinauf und ließen nur das Geräusch von Eilins Weinen zurück.

Und während Aurian noch starr vor Entsetzen war, schoß Cygnus vom Himmel herunter, stürzte sich auf Anvar und schnitt die Riemen durch, die die Harfe auf seinem Rücken festhielten. Die Magusch schrie vor Zorn auf und rannte über die Brücke, um ihrem Seelengefährten zu Hilfe zu eilen. Schon hatte sie das Flammenschwert zum Schlag erhoben – da ließ sie es entgeistert fallen, als ihr klar wurde, was sie um ein Haar getan hätte. Also zog sie ihre eigene Klinge und durchbohrte mit ihr die weißgeflügelte Gestalt. Cygnus ließ von seinem Opfer ab und rollte sich in Todesqualen durchs Gras, während sein Blut den Boden um die Windharfe befleckte und er seinen letzten Atemzug tat.

Aurian streckte ihre Sinne nach Anvar aus, der bewußtlos dalag; eine häßliche Schramme zeichnete einen dunklen Fleck auf seine Stirn.

Und so war Eliseth schneller als Aurian. Die Wettermagusch umklammerte triumphierend das Flammenschwert und ließ es nicht los, obwohl ihre Finger schwarz wurden und qualmten und ihr Gesicht sich zu einer Maske des Schmerzes verzerrte. »Ich werde es vielleicht nicht beherrschen«, schrie sie, »aber du auch nicht!«

Der kraftvolle Strahl der Macht, der von dem Flammenschwert ausging, trieb Aurian zurück. Eliseth, die noch immer über Anvar stand, holte den Gral hervor und brachte die beiden Großen Waffen mit einem dröhnenden Klirren zusammen.

»Tötet sie, o Mächte!« schrie sie, aber ihre dürftige Kontrolle über beide Artefakte führte zu einem Ergebnis, das anders ausfiel, als sie erwartet hatte.

Aurian konnte noch einen Blick auf Eliseths vor Entsetzen verzerrtes Gesicht werfen, als sich mit einer lautlosen Explosion ein großer Riß im Gewebe der Zeit auf tat. Es war, als sei die Welt auf ein gewirktes Tuch gemalt, das plötzlich in zwei Teile gerissen wurde.

Kreischend wurde Eliseth in die Kluft, die sich aufgetan hatte, hineingerissen – und Anvar mit ihr. Mit einem zornigen Aufschrei packte Aurian die Harfe der Winde und stürzte sich in den sich langsam schließenden Riß. Shia und Khanu, die beiden großen Katzen, sprangen unmittelbar hinter ihr her; Schiannath und Chiamh folgten ihnen mit schrillem Wiehern. Maya und D’arvan lösten sich aus ihrer grauenerfüllten Starre und tauschten nur einen einzigen Blick. Dann faßten sie einander bei den Händen und liefen auf das immer kleiner werdende Loch in der Zeit zu – und verschwanden ebenfalls, bevor es wie die Kiefer eines Raubtiers hinter ihnen zuschnappte.

Vannor und Parric blieben keuchend neben Yazour, der zu spät gekommen war, um seinen Freunden zu folgen, und der verstörten Eilin stehen. Eine Weile verharrten sie schweigend nebeneinander, sprachlos angesichts der Unfaßbarkeit dessen, was gerade geschehen war.

»Nun«, sagte der Kaufmann schließlich, »wenigstens ist Aurian nicht allein.«

»Und was soll ihr das nutzen?« herrschte Eilin ihn an. »Wir wissen nicht einmal, ob alle den Sprung in eine andere Zeit überlebt haben.«