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Obwohl Hebba bereits zu Bett gegangen war, als Yanis und Tarnal nach Hause kamen, hatte sie ihnen doch einen kleinen Willkommensgruß in ihrer gemütlichen, fleckenlos sauberen kleinen Küche mit dem farbenprächtigen Teppich auf dem Fußboden hinterlassen. Leuchtende Kupfertöpfe funkelten unter den Balken der niedrigen Decke, und auf den Regalen blitzten blank gescheuerte Becher und Teller, die Hebba unbemerkt aus Vannors Haus hatte mitgehen lassen, als die Villa den Besitzer wechselte. Ein Topf mit dünner Suppe war zum Warmhalten an den Rand des Feuers gestellt worden – die letzten Überreste eines mageren Hühnchens, das die Männer vor drei Tagen auf einem ungenehmigten Raubzug durch Pendrals Ställe gestohlen hatten.

Die Nachtfahrer legten ihre Umhänge und Schwerter ab und setzten sich dankbar und mit randvollen Schüsseln ans Feuer. Eine kurze Zeit verging in hungriger und erwartungsvoller Stille. Obwohl die Suppe nicht sättigte, wärmte sie doch, und dank Hebbas beträchtlicher Kochkünste war sie obendrein köstlich. Der Gedanke daran, daß sie den früheren Besitzer des Federviehs zum Narren gehalten hatten, verlieh ihrem Mahl noch zusätzliche Würze.

Schließlich kratzte Yanis seine Schale mit dem Löffel aus und stellte sie weg. Eine Weile saß er stirnrunzelnd und nervös da, und hielt den Blick stier aufs Feuer gerichtet. »Hör zu«, brach es plötzlich aus ihm heraus, »um fortzuführen, was ich vorhin in der Taverne gesagt habe: Ich habe in letzter Zeit viel nachgedacht, und ich glaube nicht, daß wir noch länger hierbleiben dürfen. Ich sollte jetzt zu Hause sein, Tarnal. Als Anführer der Nachtfahrer habe ich meinem eigenen Volk gegenüber eine gewisse Verantwortung. Und außerdem, was für einen Sinn hätte es, noch länger zu bleiben? Wir werden Vannor niemals finden – genausowenig wie Zanna. Wir haben die Stadt jetzt seit Tagen durchkämmt, ohne ein Wort über die beiden zu hören oder auch nur die geringste Spur zu finden. Ich bin der Meinung, daß sie bereits entkommen sind, oder …« Plötzlich konnte er seinem Kameraden nicht mehr in die Augen sehen. »Oder sie sind tot.«

Kaltes Entsetzten ergriff Tarnal, dicht gefolgt von heißem Zorn. Er sprang auf die Füße, und sein Stuhl kippte mit einem lauten Krachen hinter ihm um. »Du Bastard! Zanna ist nicht tot!« schrie er. »Du elender verfluchter Feigling – du hast ja nur Angst, daß sie dich schnappen. Außerdem kannst du es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen, damit du die blondhaarige Hexe in dein Bett holen kannst, die wir gerettet haben und die dir so gut gefallen hat. Du machst dir überhaupt nichts aus Zanna. Und so was nennt sich Anführer? Wenn deine Mutter nicht wäre, würdest du …« Plötzlich tanzten nur noch funkelnde Sterne vor seinen Augen, denen düstere Schwärze folgte. Der Fausthieb hatte ihn mitten ins Gesicht getroffen.

Tarnal erhob sich taumelnd, und Yanis schlug abermals zu – aber diesmal war der jüngere Mann auf den Angriff gefaßt. Er wich einen Schritt zurück, prallte von der Wand ab und benutzte den Schwung, den er dadurch erhielt, um sich nach vorn zu stürzen. Sein Schlag ließ eine dunkelrote Fontäne aus Yanis’ Nase spritzen, und der Nachtfahrer konterte mit einem hinterhältigen Tritt nach Tarnals Knie. Der Kampf ging hin und her, durch die ganze Küche, begleitet von einem Tumult klirrender Töpfe und Pfannen und splitternden Geschirrs, bis Tarnal eine Öffnung in der Deckung seines Gegners erspähte und Yanis einen Hieb in den Magen versetzte. Der Schmugglerführer stürzte nach hinten auf den wackligen Tisch, der wie Zündholz unter ihm zerbrach und ihn mit sich zu Boden riß. Dann stürzte sich Tarnal mit geballten Fäusten auf ihn und konnte drei oder vier saubere Treffer verzeichnen, bevor Yanis sowohl seinen Atem als auch seinen Verstand wiederfand und ihm ein Knie in den Unterleib rammte. Tarnal krümmte sich in hilflosem Schmerz zusammen – und keuchte, als ihn ein Schwall kalten Wassers traf. Mit überquellenden Augen blickte er auf und sah Hebba mit einem Holzeimer in Händen über sich stehen. Ihr rundliches Gesicht war dunkelrot vor Zorn.

»Was habt ihr euch bei dieser Keilerei gedacht, ihr undankbaren, nichtsnutzigen Raufbolde? Seht euch nur an, was ihr mit meiner hübschen kleinen Küche angestellt habt!« Mit diesen Worten vertauschte sie den Eimer gegen ihren Besen und begann, auf die beiden jungen Männer einzudreschen, bis sie winselnd um Gnade baten. Und währenddessen stand ihre scharfe Zunge keinen Augenblick still.

»Ich weiß nicht … Ist das eure Dankbarkeit für die Freundlichkeit, mit der ich euch aus reiner Herzensgüte aufgenommen habe? Was würde deine arme Tante Dulsina dazu sagen … Bei dem Krawall, den ihr veranstaltet habt, hättet ihr uns noch die Stadtwache auf den Hals gehetzt … Und mein armer Tisch ist nur noch ein Haufen Feuerholz und das ganze gute Geschirr in Scherben gegangen … Es will schon etwas heißen, wenn zwei gesunde junge Männer wie ihr nichts Besseres im Sinn haben, als eine arme hilflose Witwe mit solcher Herzlosigkeit zu behandeln …«

Unaufhörlich tobte Hebba weiter, selbst nachdem ihr Ärger verraucht war und Tränen ihre Stimme zittern ließen. Sie schimpfte sogar noch, als sie ihren Schrank nach Zaubernuß und Weidenborke durchstöberte, um die Schrammen der beiden jungen Männer zu versorgen und ihre Prellungen in kaltem Wasser zu baden. Tarnal hatte sich beinahe wohler gefühlt, als sie mit dem Besen auf ihn eindrosch, obwohl er sich schämte und ihm ganz übel vor Gewissensbissen war, als er mit seinen rapide anschwellenden Augen die Zerstörung betrachtete, die Yanis und er im Zimmer angerichtet hatten.

»Ach, halt doch den Mund, Frau, um Himmels willen!« brüllte Yanis.

Tarnal blickte auf und sah, wie sich Hebbas Mund in der folgenden Stille in entsetzter Empörung öffnete. Der Schmugglerführer funkelte sie düster an. »Die Sache mit deiner Küche tut mir leid, Hebba«, murmelte er undeutlich durch aufgeplatzte Lippen. »Ich werde es dir eines Tages ersetzen, das verspreche ich. Aber jetzt muß ich aufbrechen.« Die letzten wütenden Worte waren an Tarnal gerichtet: »Du kannst ja hierbleiben, wenn du willst – oder zur Hölle gehen. Das ist mir egal. Was mich betrifft, bist du kein Nachtfahrer mehr!« Mit diesen Worten riß er sein Schwert an sich und stampfte aus dem Haus.

Das Zuschlagen der Tür schien eine Ewigkeit durch die in Trümmern liegende Küche zu hallen. Für Tarnal, der immer noch unter dem Schock von Yanis’ Worten stand, war es der Todesstoß für das einzige Leben, das er je gekannt hatte. Schließlich nahm Hebba ihren ganzen Mut zusammen und brach das Schweigen, das dem Aufbruch des Schmugglers gefolgt war: »Hat er gesagt Nachtfahrer?«

Damit war die Sache gelaufen. Tarnal konnte nur unglücklich nicken.

»Und Dulsina wußte davon?« Hebbas Augen weiteten sich vor Erstaunen. »Also wirklich!« sagte sie empört. »Was kommt denn noch alles?«

Tarnal wünschte nur, er hätte es ihr sagen können.

Es hatte angefangen zu regnen. Der tropfende, bleierne Himmel spiegelte wunderbar Yanis’ Laune wider, während der Nachtfahrer zitternd und schon jetzt ohne jede Orientierung durch das verwirrende Labyrinth leerer, schlammiger Straßen stapfte. Sein Ärger schmolz bereits dahin, als hätte der unerbittliche Regen ihn weggewaschen. Sein schlechtes Gewissen jedoch reichte aus, um ihn vorwärtszutreiben. Er konnte unmöglich zurückgehen und Hebba und seinem früheren Freund nach allem, was er getan hatte, ins Gesicht sehen … Zaghaft betastete Yanis die pochenden Schwellungen auf seinem Gesicht, und kurz blitzte sein früherer Zorn wieder auf. »Dieser Mistkerl Tarnal!« brummte er. »Es ist alles seine Schuld. Wie konnte er wagen, meine Autorität so in Frage zu stellen?« Yanis’ Stolz war es, der ihm den letzten Stachel ins Fleisch trieb. Was? Jetzt zurückkehren und sich bei dem kleinen Scheißer entschuldigen? Warum sollte ich? dachte er. Ich war keineswegs im Unrecht. Ich bin der Anführer der Nachtfahrer. Ich gehöre nach Hause zu meinen Leuten – ganz besonders in diesen harten und gefährlichen Zeiten. Und, piesackte ihn eine lästige kleine Stimme in seinem Innern, es gibt außer Tarnal noch viele Leute zu Hause, die deine Fähigkeiten als Führer bezweifeln. Wenn du deine Autorität wahren willst, solltest du besser schleunigst heimkehren, um sie zu verteidigen.