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Ein wenig zögerlicher, als lebten sie noch immer in Angst vor ihren traditionellen Feinden, den Xandim, kamen die Leute näher, die Aurian bei ihren Reisen im Süden aufgelesen hatte – wie hießen sie noch gleich? Parric runzelte die Stirn, während er versuchte, sich zu erinnern. Eliizar – genau. Der kahlköpfige, schlaksige Einäugige war der Schwertmeister Eliizar, und die kleine, rundliche Frau, die in seinem Kielwasser nun ebenfalls aus dem Turm trat, war seine Ehefrau, Nereni, die zu Parrics Belustigung wie gewöhnlich pausenlos schwatzte und ihrem Erstaunen über den plötzlichen Frühling wortreich Luft machte. Der Kavalleriehauptmann brauchte ihre Sprache nicht zu beherrschen, um zu wissen, was sie in diesem Augenblick sagte!

Hinter Eliizar und Nereni kam Bohan, der alle anderen überragte. Voller Zärtlichkeit hielt der Eunuch die winzige Gestalt von Wolf in seinen gewaltigen Armen, Aurians Sohn, der inmitten eines Sturms von Gewalt und Blutvergießen nur zwei Tage zuvor auf die Welt gekommen war. (Waren es wirklich erst zwei Tage? Parric konnte es kaum glauben.) Das Kind hatte wirklich einen passenden Namen, überlegte er schaudernd. Das arme Wesen war vor seiner Geburt von dem bösen Erzmagusch Miathan verflucht worden, so daß es die Gestalt des ersten Tieres annehmen mußte, das Aurian nach seiner Geburt vor Augen kam. Als Aurian die wilden Wölfe aus der Umgebung herbeirief, damit sie ihr bei der Flucht aus dem Turm halfen, war das Schicksal des kleinen Wolf besiegelt gewesen. Parric blickte traurig auf das winzige Junge in Bohans Armen. Nur gut, daß das Kind einen so treuen Beschützer hatte! Das arme Würmchen hatte wahrhaftig keinen besonders guten Start ins Leben gehabt. Und wann würde seine Mutter zu ihm zurückkehren? Warum war sie so überstürzt aufgebrochen? Und was genau hatte Aurian eigentlich im Land des Himmelsvolkes zu suchen?

Der Frühling war nach Nexis gekommen. Sonnenlicht überflutete die Stadt wie eine honigfarbene Woge, vergoldete die Spitzen von Türmen und Türmchen, ergoß seine heilende Wärme über eingesackte Strohdächer und abblätternden Kalk und brachte das Eis auf den zerfallenen Steinmauern zum Schmelzen. Die Bäume, die die Landhäuser der Kaufleute auf dem Südufer des Flusses umringten, hüllten sich in einen Nebel frischer Blätter, in dem sich jede nur mögliche Grüntönung fand. Am anderen Flußufer erhoben sich aus jedem Kamin zarte Rauchschwaden, die schon bald von der wohlduftenden Brise davongeweht wurden, ein sicherer Hinweis auf die siedenden Kupferkessel in den Küchen darunter, in denen die Hausfrauen zu einer wahren Orgie des Frühjahrsputzes angesetzt hatten. Frisch gewaschene Kleider, die jeden einzelnen Zentimeter Platz auf Hinterhöfen oder Baikonen beanspruchten, umringten die Stadt wie ein regenbogenfarbiges Flechtwerk festlicher Banner.

Die Luft war erfüllt von Vogelgezwitscher, und überall standen die Läden weit offen, um trockene Luft und Sonnenschein einzulassen; man hörte das Scharren von Sägen und das rhythmische Klopfen von Hämmern, mit denen die Bürger von Nexis sich an die Arbeit gemacht hatten, fest entschlossen, den Schaden des Winters auf der Stelle zu beheben. Die Frauen trällerten fröhliche Lieder, während sie mit Schrubber, Eimer und Besen zu Werke gingen; Kinder rannten kreischend durch den trocknenden Schlamm in den Gassen, außer sich über den berauschenden Gedanken, daß die endlosen, in dunklen, feuchten Zimmern verbrachten Tage nun vorüber sein sollten.

Nur in zwei Herzen fehlte die Freude über den Frühling vollkommen. Miathan, der Erzmagusch von Nexis, lehnte an der Brüstung des hohen, offenen Tempels, der das Dach des Maguschturmes krönte. Neben ihm stand Eliseth, die Wettermagusch, deren Pläne durch den Tod des unnatürlichen Winters, den sie geschaffen hatte, so unbarmherzig hintertrieben worden waren. Die endlose, eisumklammerte Jahreszeit war ihrer Macht entsprungen, sie hatte sie gehegt und gepflegt. Und jetzt, mit der unter ihr liegenden Stadt vor Augen, verzerrte eine Grimasse wütenden Entsetzens ihre makellosen Gesichtszüge, während ihre kalten grauen Augen an einen Falken erinnerten, der sein Opfer anvisiert – und verfehlt hatte.

Der Erzmagusch unterdrückte ein ironisches Lächeln. Obwohl auch seine eigenen Pläne durchkreuzt waren, war er doch alt und gerissen genug, um zu wissen, daß solche Nackenschläge nicht unbedingt bedeuteten, daß man den ganzen Krieg verloren hatte – und in der Zwischenzeit fand er einen gewissen Trost in der unwiderstehlichen Möglichkeit, sich auf Eliseths Kosten lustig zu machen – trotz der Tatsache, daß auch er bei seiner letzten Begegnung mit seinem abtrünnigen Lehrling Aurian nicht ungeschoren davongekommen war.

Miathan hatte offensichtlich nicht genug darauf geachtet, seine Gedanken zu verhüllen – oder aber Eliseths Geist hatte sich die ganze Zeit über schon in ähnlichen Bahnen bewegt. Jetzt drehte sie sich zum Erzmagusch um und versengte ihn mit einem haßerfüllten Blick. »Nun?« fuhr sie ihn an. »Bist du stolz auf deine Schülerin, ja? Sieh dir diese Bescherung an – und alles, weil du Aurian und ihren Buhlen Anvar hast entkommen lassen!« Sie starrte das sonnenerleuchtete Panorama unter sich an, als wäre es eine persönliche Beleidigung für sie. »Was, im Namen aller Götter, machen wir jetzt?«

»Ich habe keine Ahnung.« Mit einer abrupten Handbewegung brachte Miathan die Protestworte zum Verstummen, die sich auf den Lippen der Magusch bildeten. »Ich habe keine Ahnung – noch nicht«, fuhr er fort, »aber sei versichert, Eliseth, die Schlacht ist noch nicht vorbei – noch sehr, sehr lange nicht. Jetzt ist es vor allem wichtig, daß wir kühles Blut bewahren und nachdenken und planen und – was am allerwichtigsten ist – unsere Verteidigung aufbauen.« Mit langen Schritten lief er über das flache Dach zur anderen Seite hinüber und richtete den flackernden Blick der Juwelen, die jetzt seine Augen waren, gen Süden, als wolle er so die langen Meilen überwinden, die ihn von Aurian trennten. »Eines steht fest«, murmelte er bei sich. »Wenn wir nichts unternehmen, ist es jetzt nur noch eine Frage der Zeit, bevor Aurian zu uns kommt.«

Aurian wischte den Rost von ihrem Schwert.

»Mußt du das unbedingt im Bett erledigen?« protestierte Anvar schläfrig.

»Ich habe darauf gewartet, daß du aufwachst. Jetzt, da das endlich passiert ist, bin ich sicher, daß mir etwas Besseres einfällt.« Mit blitzenden Augen blickte Aurian zu ihrem Seelengefährten hinüber. Daß er die Harfe der Winde errungen hatte, hatte ihn verändert, so wie sie selbst eine andere geworden war, als sie den Stab der Erde neu geschaffen und für sich beansprucht hatte. Anvar schien irgendwie mehr zu sein, als er zuvor gewesen war. Seine blauen Augen funkelten mit größerer Intensität, der Goldton seines Haares war heller geworden. Eine Aura vibrierender Macht umgab ihn; verwandelte sein ganzes Wesen in die Erscheinung von etwas, das mehr war als nur ein Mensch. Aurian jedoch hatte eine ganz ähnliche Veränderung durchgemacht, als sie den Stab der Erde für sich beanspruchte, und wußte daher, daß der äußere Schein trügerisch sein konnte. Da, worauf es ankam, in seinem Herzen, war Anvar noch immer derselbe.

Jetzt streckte er sich und unterdrückte mit Mühe ein Gähnen. »Wieviel Uhr ist es?«