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Von den anderen Bäumen drang ein schreckliches, tiefes Stöhnen herüber.

Sie wußten, daß der Tod unter ihnen wütete, und sie spürten den Schmerz von Sokrates’ Fehlen im Netz der Wurzelnerven im Boden. Sie schrien auf in Angst und Qual und Wut.

Unbeirrt richtete Holbrook die Fusionskanone auf Hektor.

Hektor war ein großer Baum, stoisch, ausdruckslos, keiner, der klagte oder sich putzte. Holbrook wollte ihm den guten Tod geben, den er verdiente, aber er zielte daneben; der erste Blitz traf mindestens zweieinhalb Meter unter dem Gehirnzentrum des Baumes, und der widerhallende Schrei, den die Bäume ringsum ausstießen, verriet, was Hektor fühlen mußte. Holbrook sah die Äste wild rudern, den Mund in einer gräßlichen Grimasse auf- und zuklappen. Der zweite Blitz beendete Hektors Agonie. Holbrook fuhr fast ruhig fort, den Baum zu vernichten.

Er war fast fertig, bevor er bemerkte, daß ein Fahrzeug neben ihm gehalten hatte und Naomi, der Hysterie nahe, herausgesprungen war.

»Aufhören!« schrie sie. »Hör auf, Onkel Zen! Verbrenn sie nicht!«

Als sie ins Führerhaus des Sprühwagens hinaufsprang, packte sie mit erstaunlicher Kraft seine Handgelenke und zog sich an ihm hoch. Sie keuchte, ihre Brust hob und senkte sich.

»Ich habe gesagt, du sollst ins Haus gehen«, fauchte er.

»Das habe ich getan, aber dann sah ich die Flammen.«

»Verschwindest du jetzt?«

»Warum verbrennst du die Bäume?«

»Weil sie vom Rost befallen sind«, sagte er. »Sie müssen weggebrannt werden, bevor sie die anderen anstecken.«

»Das ist Mord.«

»Naomi, hör zu, gehst du jetzt — «

»Du hast Sokrates umgebracht!« sagte sie dumpf. »Und — und Caesar? Nein. Hektor. Hektor ist auch tot. Du hast sie einfach getötet!«

»Das sind keine Leute, sondern Bäume. Kranke Bäume, die ohnehin bald sterben. Ich will die anderen retten.«

»Aber warum tötest du sie? Es muß doch irgendeine Droge geben, die du verwenden kannst, Zen. Ein Sprühmittel. Es gibt für alles ein Mittel.«

»Dafür nicht.«

»Es muß etwas geben.«

»Nur das Feuer«, sagte Holbrook. Der Schweiß lief ihm kalt über die Brust, und ein Muskel im Oberschenkel zuckte. »Naomi, das muß sein, und zwar schnell. Es gibt keine andere Wahl. Ich liebe diese Bäume so sehr wie du, aber ich muß sie wegbrennen. Das ist wie mit dem kleinen Tier mit dem Stachel im Schwanz; ich konnte mir nicht leisten, sentimental zu sein, nur weil es niedlich aussah. Es war gefährlich. Und jetzt sind auch Plato und Caesar und die anderen eine Bedrohung für alles, was ich habe. Sie sind Seuchenträger. Geh ins Haus und sperr dich irgendwo ein, bis es vorbei ist.«

»Ich lasse nicht zu, daß du sie umbringst!« Trotzig. Unter Tränen.

Er packte sie bei den Schultern, schüttelte sie und schob sie hinaus. Sie kippte nach hinten, landete aber geschickt auf den Beinen. Er sprang zu ihr hinunter und sagte: »Verdammt noch mal, zwing mich nicht, zuzuschlagen, Naomi. Das geht dich nichts an. Ich muß die Bäume wegbrennen, und wenn du nicht aufhörst, dich einzumischen — «

»Es muß einen anderen Weg geben. Du hast dich von den Männern in eine Panik treiben lassen, nicht wahr? Sie fürchten, daß die Infektion sich ausbreitet, und haben dich aufgefordert, die Bäume schnell wegzubrennen, und du überlegst nicht einmal, du holst dir keine anderen Meinungen ein, du kommst einfach her und tötest intelligente, sensible, liebenswerte — «

»Bäume«, sagte er. »Das ist unfaßbar, Naomi. Zum letztenmal — «

Sie sprang auf den Wagen und preßte sich an die Mündung der Kanone.

»Wenn du feuerst, mußt du mich mit erschießen!«

Nichts, was er sagte, veranlaßte sie, herunterzukommen. Sie hatte sich in eine romantische Phantasiewelt verirrt, die Johanna der Saft-Bäume, die den Hain gegen seine barbarischen Attacken verteidigte. Er versuchte es mit Vernunft, er fluchte, er nannte sie eine dumme, hysterische Gans. Er flehte. Er versuchte sie kirre zu machen. Er befahl. Sie klammerte sich an die Kanone.

»Ich darf keine Zeit mehr verlieren«, sagte er schließlich. »Das muß innerhalb von Stunden geschehen, sonst ist die ganze Pflanzung dahin.« Er zog die Nadelpistole heraus und gestikulierte. »Komm da runter«, sagte er eisig.

Sie lachte.

»Du erwartest, ich soll glauben, daß du mich erschießt?«

Natürlich hatte sie recht. Er stand mit rotem Gesicht da und stotterte verwirrt. Dann sprang er hinauf und versuchte sie herunterzuziehen.

Sie war stark, und er hatte keinen richtigen Halt. Es gelang ihm, sie von der Kanone wegzuziehen, aber nicht vom Wagen herunter zu holen. Er wollte ihr nicht wehtun und entdeckte dabei, daß er nur zweiter Sieger wurde. Sie war von einer hysterischen Stärke erfüllt, nichts als Ellenbogen, Knie, krallende Finger. Einmal packte er sie, entdeckte zu seinem Entsetzen, daß es ihre Brüste waren, und ließ los. Sie sprang davon. Er packte sie wieder und konnte sie diesmal an den Rand des Wagens drängen. Sie hüpfte hinunter, landete geschickt, drehte sich um und rannte in der Hain.

Sie war ihm also immer noch voraus. Er folgte ihr und brauchte einen Augenblick, um sie zu finden. Sie umklammerte Caesars Stamm und starrte entsetzt auf die verkohlten Stellen, wo Sokrates und Hektor gewesen waren.

»Nur zu«, sagte sie. »Verbrenn den ganzen Hain! Aber mich verbrennst du mit!«

Holbrook stürzte auf sie zu. Sie wich aus und hetzte an ihm vorbei zu Alkibiades. Er fuhr herum und wollte ihr folgen, verlor das Gleichgewicht und stürzte.

Etwas Drahtiges, Hartes und Langes schnellte um seine Schultern zusammen.

»Zen!« schrie Naomi. »Der Baum — Alkibiades — «

Er schwebte über dem Boden. Alkibiades hatte ihn mit einer Greifranke umschlungen und hob ihn zu seiner Krone hinauf. Der Baum mühte sich mit der Last ab, aber dann packte ihn eine zweite Ranke, und Alkibiades hatte es leichter. Holbrook ruderte drei, vier Meter über dem Boden.

Es kam selten vor, daß Bäume Menschen angriffen. Insgesamt war es vielleicht in den Generationen, seitdem die Menschen Saft-Bäume kultivierten, fünfmal vorgekommen. In jedem einzelnen Fall hatte das Opfer etwas getan, was der Hain als feindseligen Akt betrachtete — wie etwa die Entfernung eines kranken Baumes.

Ein Mann war für einen Saft-Baum eine riesige Portion, aber durchaus noch zu verdauen.

Naomi kreischte, und Alkibiades hob Holbrook immer höher. Er konnte das Knirschen der Fangzähne hören; der Mund des Baumes wollte ihn verschlingen. Alkibiades, der Eitle, Alkibiades, der Unberechenbare, Alkibiades, der Sprunghafte — wirklich ein guter Name für ihn. Aber war es Heimtücke oder Notwehr? Alkibiades hatte einen starken Überlebenswillen. Er hatte das Schicksal von Hektor und Sokrates miterlebt. Holbrook starrte auf die näherrückenden Fangzähne. So ist das also, dachte er. Gefressen von einem meiner eigenen Bäume. Meinen Freunden. Meinen Lieblingen. Geschieht mir recht, weil ich sie sentimental betrachtet habe. Sie sind Fleischfresser. Raubtiere mit Wurzeln.

Alkibiades schrie auf.

Im selben Augenblick verlor eine der Ranken, die sich um Holbrooks Körper gewickelt hatten, den Halt. Er fiel in einem schwindelnden Sturz ungefähr sieben Meter hinab, bevor die zweite Ranke sich straffte und er ein paar Meter über dem Boden baumelte. Als er wieder atmen konnte, schaute Holbrook hinunter und sah, was geschehen war. Naomi hatte die Nadelpistole aufgehoben und eine Ranke weggesengt. Sie zielte erneut. Alkibiades kreischte wieder; Holbrook nahm große Unruhe in den Zweigen über sich wahr, dann fiel er ganz hinunter und landete hart in einem Haufen vergilbter Blätter. Er rollte sich zur Seite und setzte sich auf. Naomi stand über ihm, mit herabhängenden Armen, die Pistole in der Hand.