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«Ich wusste nicht, dass unsere Ehe in Gefahr ist.«

«Doch, das weißt du.«

Mit der rechten Hand schaltete Hartmut die Klimaanlage ein. Das war neu. Von einer Gefahr für ihre Ehe war nie die Rede gewesen, und Maria neigte nicht zu rhetorischer Leichtfertigkeit. Aufreizend gelassen hatte sie die Worte ausgesprochen. Hartmut legte die Hand zurück aufs Lenkrad und versuchte vorauszusehen, welchen Verlauf das Gespräch nehmen würde. Mit wenigen Sätzen hatten sie die Präliminarien abgehakt und begonnen, Tacheles zu reden. Schneller als Marias Tränen trocknen konnten.

«Aber du scheinst nicht zu wissen«, fuhr sie fort,»inwiefern diese Gefahr von deinem Verhalten ausgeht.«

«Informier mich.«

«Seit einem Jahr treten wir auf der Stelle…«

«Zwei Stellen. «Sein rechter Fuß zuckte schon wieder. Alles in ihm schien plötzlich zu zucken.»Kann ja nicht schaden, es genau zu nehmen.«

«… kommen keinen Schritt vorwärts und verschwenden die kostbare Zeit unseres Zusammenseins damit, immer wieder dieselben ergebnislosen Gespräche zu führen.«

Damit schien sie sich auf seine Fragen nach ihrer Arbeit zu beziehen, auf die er meist ausweichende Antworten erhielt. Ergebnislos, in der Tat. Wieso war das seine Schuld? Offensichtlich musste er hier ein paar Dinge geraderücken. Wusste Maria, wie die letzten Monate aus seiner Sicht verlaufen waren? Wieso saß er plötzlich auf der Anklagebank?

Seine Frau war noch nicht fertig.

«Dabei könnte das alles eine Bereicherung sein — was ich erlebe und was du erlebst. Wir haben Dinge, über die wir reden können. Wir könnten das teilen. Es könnte schön sein, wenn…«

«Wenn ich endlich diese dämliche Idee aus meinem Kopf bekäme, dass wir am besten in einer Stadt leben sollten. Richtig? Würde ich endlich einsehen, dass fünfhundert Kilometer die perfekte Distanz zwischen zwei Ehepartnern sind, wäre unser Leben wie Marzipan. Gott, was wir außer Tisch und Bett alles teilen könnten!«

«Hör dir zu, Hartmut! Du klingst — beleidigt.«

Und er hasste es! Seine Frau warf ihm vor, beleidigt zu sein, weil er darunter litt, sie nicht häufiger zu sehen. Was als Nächstes? Würde sie ihn eine Memme nennen, weil er sie liebte?

«Moment!«, sagte er und musste gegen den Impuls ankämpfen, mit den Händen vor ihrem Gesicht zu gestikulieren.»Du beklagst dich, ich würde dir eine Rolle aufzwingen, die der eigensüchtigen Selbstverwirklicherin. Darf ich dazu anmerken: Erstens hast du dir diese Rolle selbst ausgesucht, und du spielst sie auch ziemlich gut…«Das Zusammenkrampfen ihrer Hände verriet ihm, dass er getroffen hatte. Ein Tiefschlag zwar, aber bemühte sie sich etwa um Fair Play?» Zweitens verhält es sich umgekehrt: Du zwingst mir eine Rolle auf. Ach was, mehrere! Die des zurückgelassenen Ehemanns, des Bettlers um Zuwendung, der abends auf einen Anruf wartet. Eine schlimmer als die andere. Lauter Scheißrollen!«

«Das ist unser Problem: In deiner Wahrnehmung tue ich alles, was ich tue, dir an.«

«Unser Problem ist, dass dich nicht sonderlich kümmert, was du mir antust.«

«Der Name dafür lautet Egozentrik.«

«Fast richtig. Er lautet Egoismus.«

Sie rollten ins nächste Dorf und hielten vorübergehend inne. Vor einem Eiscafé namens Rialto saßen junge Familien in der Sonne. Das vergangene Semester war ein einziger Krampf gewesen, das gesamte letzte Jahr eine Reihe von Enttäuschungen, und Hartmut spürte die grimmige Entschlossenheit, ein Ausrufungszeichen zu setzen. Das hat jetzt lange genug gedauert, sagte er sich. Am Morgen nach dem Streit mit Herwegh hatte seine Sekretärin ihm einen versiegelten Brief überreicht, in dem der Kollege sich in aller Form für sein Benehmen entschuldigte. Manchmal war es notwendig, seinen Standpunkt mit Entschiedenheit zu vertreten. Wahrscheinlich hatte er darauf zu lange verzichtet, um des lieben Friedens willen.

Maria seufzte und wechselte die Tonlage.

«Können wir noch mal von vorne anfangen?«

«Der Traum eines jeden älteren Paares, der leider…«

«Können wir!? Kannst du aufhören mit dieser albernen Stichelei. Bitte! Ja?«

«Okay, ich hör dir zu. «Mit einem Seitenblick erfasste er das leichte Zittern ihrer Lippen. Zorn und Frustration. Trotzdem war sie entschlossen weiterzumachen, und zum ersten Mal verstand er, dass sie in Wirklichkeit den Streit vermeiden wollte. Eine Einsicht, die an ihm vorübertrieb wie draußen die Landschaft.

«Das Allerwichtigste für mich ist, dass du verstehst, warum ich nicht anders handeln konnte. Damals. Weshalb es nicht um Egoismus geht. Dass ich…«Sie sprach schnell jetzt, um ihm keine Möglichkeit zum Einhaken zu geben, aber dadurch kam sie ins Stolpern.»… als das Angebot kam, nur entweder annehmen konnte oder mir für den Rest meines Lebens vorwerfen, es abgelehnt zu haben. Mir vorwerfen und dir. Und das lag daran, weil das Leben in Bonn…«

«In ›deinem Bonn‹ hast du immer gesagt, aber eigentlich gemeint: das Leben mit mir. Richtig?«

«Es würde uns ein großes Stück weiterhelfen, wenn du nicht hinter jedem Satz einen Vorwurf vermuten würdest.«

«In der Tat, warum sollte ich das tun? Jahrelang habe ich meine Familie zugunsten der Arbeit vernachlässigt und dich nicht bei der Suche nach einer Beschäftigung unterstützt. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Tatsache. Richtig?«Gelang es ihm nicht mal mehr, sie wütend zu machen? Und wusste sie, dass sie sich ihre Arbeit nur leisten konnte, weil er für die Berliner Wohnung aufkam? Dass seine Arbeit ihre finanzierte? Er bezahlte für den Umzug, dessen Hauptleidtragender er war, und musste sich obendrein Vorwürfe anhören.

«Seit wann bist du ein solcher Zyniker, Hartmut?«Sie fragte ganz ruhig. Jetzt und hier wäre sie bereit, ihm zu sagen, dass sie ihn liebte. Er kannte diese unerschütterliche Aufrichtigkeit im Kern ihres Wesens. Den katholischen Ernst der Serra da Estrela, wo ihre Eltern herstammten und die Frauen jeden Abend den Rosenkranz beteten. Würde er sie lassen, würde sie ihm versichern, dass sie wisse und anerkenne, wie hart er in den vergangenen zwanzig Jahren für seine Familie gearbeitet hatte — aber nur, damit er sich endlich abfand mit ihrem Umzug. Der genau genommen ein Auszug gewesen war.

«Tja, seit wann bloß«, sagte er.

«Verstehe. Das ist also auch meine Schuld.«

«Wieso auch? Bisher war nur von meinen Fehlern die Rede.«

«Das ist es, was ich meine. Wir können nicht mehr reden. Wir können nicht einmal mehr reden über uns. «An ihrer heiseren Stimme hörte er, dass sie gleich wieder in Tränen ausbrechen würde. Erneut holte sie ihr Taschentuch hervor und hielt es sich vors Gesicht. Nun war es an ihm, in die Offensive zu gehen.

«Die schier endlose Reihe meiner Fehler. Wo beginnen? Ich unterstütze dich nicht bei deiner Arbeit, denn finanzielle Unterstützung ist ja keine Unterstützung, sondern eine subtile Form von Herablassung. Ich verkenne die aus deinem Job hervorgehende Bereicherung für unsere Ehe, die in den unzähligen E-Mails besteht, in denen wir einander mitteilen, wann wir vielleicht telefonieren können. Außerdem wiederhole ich mich ständig, vor allem die Frage, wie es dir geht. Schlimm! Zynisch bin ich sowieso, das liegt mir im Blut, und als wäre das alles noch nicht genug…«

«Hör auf«, flüsterte sie.»Hör bitte auf.«

Hätte er gerne getan, aber er konnte nicht. Es wurde ihm bewusst, noch während er sprach und den Wagen beschleunigte. Die Landschaft verschwamm, er sah nur die Straße. Heute war der Tag, auf den er seit Monaten hingelebt hatte, ohne es zu wissen. Er gefährdete ihre Ehe? Ihm platzte der Schädel, so groß war seine Empörung.

«Als wäre das alles noch nicht genug, stehe ich natürlich auch den Inhalten deiner Arbeit völlig verständnislos gegenüber.«

«Bitte nicht. Das…«

«Seien wir ehrlich: Ich habe hoffnungslos provinzielle Vorstellungen von der modernen Bühnenkunst.«