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«Ich fühle mich nicht zu Frauen hingezogen, ich bin lesbisch.«

«Das meinte ich.«

«Aber du sprichst es nicht aus. Wahrscheinlich wirst du irgendwann zu Ruth sagen, dass ich eigenwillig sei oder unangepasst oder schwer zu durchschauen.«

«Bist du auch. Früher nicht, jetzt schon. Obwohl, eigenwillig warst du immer.«

«Du wirst es sagen, um nicht das Wort ›lesbisch‹ zu gebrauchen.«

«Mein Punkt war, jede Erklärung würde dich stören. Egal, ob jemand vermutet, dass du als Kind ein zu enges Verhältnis zu deiner Mutter oder zu deinem Vater gehabt oder zu viele Filme mit Jodie Foster gesehen hast. Du würdest immer sagen: Da gibt es nichts zu erklären. Ich bin einfach so. «Seinem Versuch, sie zum Lachen zu bringen, ist kein Erfolg beschieden.

«So ist es«, antwortet Philippa knapp.

«In meinem Fall gilt dasselbe. Es mag dies und das erklären, aber ich will mich nicht definieren über etwas, das vor fünfzig Jahren passiert ist. Vor allem will ich nicht, dass jemand anderes das tut, schon gar nicht deine Mutter. Es ist gutgemeint und trotzdem entwürdigend.«

Schon immer hat er es gemocht, wenn seiner Tochter anzusehen ist, dass ein Gedanke in ihr arbeitet. Wenn sie ihn dreht und wendet und durch die Instanzen ihres wachen Verstandes führt. Als sei sie selbst gespannt auf das Resultat. Vorläufig allerdings schweigt sie, also spricht er weiter. Froh über ihre Aufmerksamkeit.

«Es ist schwer zu akzeptieren, was man nicht verstehen kann. Manchmal muss man es trotzdem. Die Suche nach einer Erklärung lässt wenig übrig, das nicht irgendwie dazugehören könnte. Es ist endlos. Letzte Nacht fiel mir das wieder auf. Wie du hab ich wachgelegen und mich gefragt, was auf dem Rastplatz passiert ist. Wie konnte es dazu kommen, dass ich mich mit einem wildfremden Menschen prügele? Ich könnte jetzt von dem Entschluss anfangen, den ich vor vierzig Jahren gefasst habe, mir bestimmte Dinge nie wieder gefallen zu lassen, aber wenn ich ehrlich bin — es hat gutgetan, dem Kerl eine zu verpassen. Ich hätte es nicht tun müssen, ich wollte es. Das ist die bündigste Erklärung. Gestern dort auf dem Parkplatz wollte ich es.«

«Ich auch. Das mit dem Tisch hätte ich gerne selbst gemacht. Pau!«Im Liegen tritt Philippa kräftig in die Luft. Vielleicht gilt die Attacke nicht dem Campingtisch, sondern dem Bild ihres Vaters als geprügelter Junge.»Einen Moment lang hab ich dich bewundert wie früher. Wenn du mein Fahrrad repariert oder eine Spinne mit der Hand gefangen hast. Mein Papa.«

«Wahrscheinlich wollte ich das auch«, sagt er.»Viele Möglichkeiten, mir deine Bewunderung zu verdienen, gibt es nicht mehr. Trotzdem, ich hab’s dir schon vor drei Tagen im Café gesagt, unterschätz deinen alten Vater nicht.«

«Das tue ich nicht. «Sofort wird sie wieder ernst.»Ich wollte dir bloß klarmachen, dass du keine mildernden Umstände bekommst.«

«Früher hätte ich gesagt, warte, bis du selbst Kinder hast.«

«Und jetzt, worauf soll ich jetzt warten? Stell dich notfalls jeden Morgen vor den Spiegel und sag es zehn Mal vor dich hin. Was glaubst du, wie lange ich gebraucht habe.«

«Wie lange?«

«Jahre.«

«Okay. Dann wirst du mir auch ein bisschen Zeit geben.«

Bevor sie antworten kann, kommt João aus dem Bad und riecht, als wäre er in ein Fass mit Rasierwasser gefallen. Drei Hemdknöpfe stehen offen, die Lederhandschuhe fürs Motorrad hält er in den Fingern. Er wirft einen Blick auf den Bildschirm und schüttelt missbilligend den Kopf.

«Hast du Angst vor deiner Tochter?«, fragt er.»Kein Vorwurf, ich kann es verstehen. Sie ist eine Furie.«

«Ich bring dich zur Tür. «Hartmut steht vom Sofa auf.

«Danke. Ich weiß, wo die Tür ist. Ich wohne hier. «Er versucht, Philippa einen Blick zuzuwerfen, aber die beachtet ihn nicht.»Hab ich was verbrochen? Hilfe! Darf ich heute Abend wiederkommen?«

An der Schulter schiebt Hartmut ihn in den Flur. Er hat es nie geschafft, mit seinem Schwager in dieser Mischung aus Coolness und Flapsigkeit zu kommunizieren, und inzwischen versucht er es nicht mehr. Ob João ihn dafür belächelt oder respektiert, weiß er nicht. Sie kommen gut miteinander aus. Für seinen Schwager gehört er zur Familie, und für ihn gehört João zum Sommer in Portugal. Das reicht.

«Philippa und ich werden was unternehmen heute Nachmittag«, sagt Hartmut.»Wann und wo treffen wir uns?«

«Hier. Es sei denn, du findest das Restaurant alleine. Deine Tochter müsste es finden.«

«Wir kommen hierher. Spätestens um acht.«

Nebeneinander stehen sie im Flur. Ohne darauf zu achten, hat Hartmut die Glastür zum Wohnzimmer zugezogen. Langsam schüttelt sein Schwager den Kopf.

«Seit wie vielen Jahren schon, Hartmut?«

«Viertel nach acht.«

«Wie viele Jahre?«

«Halb neun, okay? Dann haben wir genug Zeit, um uns in aller Ruhe zu verspäten. «Den letzten Satz hat er auf Englisch gesagt, um nicht ins Stocken zu geraten.

«My man. «Sein Schwager klopft ihm auf die Schulter. Ein langer Gang führt in die hinteren Zimmer. Es ist ein großes Apartment, das João sich nur leisten konnte, weil seine Eltern die Restaurants verkauft und ihm seinen Erbteil ausbezahlt haben. Als Zahnarzt könnte er zwar auch von seiner Arbeit reich werden, aber er hat zu viele Patienten, denen er den halben Preis berechnet. Hartmut weiß das erst seit kurzem von Fernanda. João ist zu sehr auf die Wahrung seines Rufes bedacht, als dass er solche Mildtätigkeiten publik machen würde.

«Noch was«, sagt Hartmut und folgt seinem Schwager durch die Wohnungstür nach draußen.»Kann ich dir eine komische Frage stellen?«

«Nur wenn sie wirklich komisch ist.«

«Hast du irgendwann mal eine Kiste mit Filmen an Maria geschickt? DVDs. Sachen, die du magst und von denen du gedacht hast, sie könnten ihr auch gefallen?«

«Das ist eine komische Frage«, sagt João, ohne eine Miene zu verziehen.

«Hab ich mir gedacht.«

Einen Moment lang schauen sie einander an. Aus dem Aufzugschacht kommen undefinierbare Geräusche. Es ist ein eleganter, mit hellem Marmor ausgelegter Flur. Vier weiße, mit Großbuchstaben gekennzeichnete Türen, und ein schmaler Durchgang zur Feuertreppe. João hält seinen Helm in den Händen wie eine Bowlingkugel.

«Wie auch immer«, sagt er und wendet sich zum Gehen.»Genießt den Tag.«

«Wir sehen uns heute Abend.«

«Wehe, ihr verbummelten Deutschen lasst mich warten.«

Hartmut schließt die Tür und geht zurück ins Wohnzimmer. Philippa hat den Tisch zurück in die Raummitte geschoben und blickt ihm fragend entgegen. Hinter ihr rieselt es weißgrau über den Bildschirm.

«Habt ihr die Tür gefunden?«

Hartmut muss ein paar Mal schlucken, bevor er sicher sein kann, optimistisch und unternehmungslustig zu klingen.

«Ich dachte, wir gehen heute Nachmittag rauf zur Maurenmauer. Oder nehmen die Tram 28, wie früher. Oder worauf du sonst Lust hast.«

«Ich bleib hier«, sagt Philippa und rollt ein Kabel über die Finger.»Ich will mit Avó Lu telefonieren.«

«Du siehst sie morgen.«

«Sie ist alleine in Rapa, und sie macht sich Sorgen.«

«Okay.«

«Geh allein zu deiner Maurenmauer. Es wird dir guttun.«

Er bleibt im Zimmer stehen und nickt. In Philippas Gesicht erkennt er Marias sanfte Augen und seine eigene Entschlossenheit, sich nicht unterkriegen zu lassen. Gestern auf dem Parkplatz kam es ihm vor, als hätte ihn sein eigenes Spiegelbild angebrüllt.