Er war entlassen.
2
Norman Pomrath sah seine Frau kühl an und fragte: »Wann wird dein Bruder endlich etwas für uns tun, Helaine?«
»Ich sagte dir doch schon, daß er es nicht kann.«
»Er will nicht, meinst du wohl.«
»Er kann nicht. Wofür hältst du ihn denn? Für Danton? Und jetzt geh bitte auf die Seite. Ich möchte eine Dusche nehmen.«
»Wie nett, daß du wenigstens bitte gesagt hast«, knurrte Pomrath. »Man ist schon für die kleinsten Aufmerksamkeiten dankbar.«
Er trat zur Seite. Aus einem Gefühl der Zurückhaltung heraus sah er nicht zu, wie seine Frau die grüne Tunika abstreifte. Sie schob ihr Kleid achtlos zur Seite und trat unter die Moleküldusche. Wie sie mit dem Rücken zu ihm dastand, beobachtete er sie. Zurückhaltung war wichtig, dachte Pomrath. Selbst wenn man elf Jahre verheiratet ist, muß man dem Partner in diesen stinkenden Einzimmerwohnungen etwas Privatleben gönnen. Sonst schnappt man über. Er kaute an seinem Fingernagel und warf einen verstohlenen Blick auf den mageren Körper seiner Frau.
Die Luft in ihrem Apartment war schlecht, aber Pomrath wagte es nicht, die Sauerstoffzufuhr aufzudrehen. Er hatte den Vorrat für diese Woche schon verbraucht, und wenn er den Hebel herunterdrückte, würde ihm der Komputer tief unter der Erde ein paar unangenehme Dinge sagen. Pomrath hatte das Gefühl, daß seine Nerven das Geschwätz des Sparsamkeitskomputers jetzt nicht ertragen konnten. Seine Nerven konnten überhaupt wenig vertragen. Er war Klasse Vierzehn, und das war schlimm genug, und seit einem Vierteljahr hatte er keine Arbeit, was noch schlimmer war. Dabei war sein Schwager in Klasse Sieben. Das wühlte besonders in ihm. Aber was nützte ihm dieser Joe Quellen? Der verdammte Kerl war nie daheim. Entzog sich seinen Familienpflichten.
Helaine hatte ihre Dusche beendet. Beim Molekülbad wurde kein Wasser verwendet. Nur Klasse Zehn und darüber hatten das Vorrecht, Wasser zur Körperreinigung zu benutzen. Da die meisten Menschen auf der Welt Klasse Elf und darunter waren, hätte der Planet zum Himmel gestunken, wenn es nicht die praktischen Molekülbäder gegeben hätte. Man zog sich aus, stellte sich vor die Düse, und Ultraschallwellen entfernten geschickt den Schmutz von der Haut und gaben einem das Gefühl, sauber zu sein. Pomrath sah nicht weg, als Helaine sich umdrehte und nackt vor ihm stand. Sie zwängte sich in ihre Tunika. Früher, erinnerte er sich, hatte er sie für atemberaubend gehalten. Und dann hatte sie immer mehr an Gewicht verloren. Sie war jetzt mager. Es gab Zeiten — besonders nachts —, in denen sie überhaupt nichts Weibliches mehr für ihn hatte.
Er setzte sich auf die Schaumstoffbank, die an der fensterlosen Wand stand, und fragte: »Wann kommen die Kinder heim?«
»In einer Viertelstunde. Deshalb habe ich jetzt noch eine Dusche genommen. Bleibst du hier, Norm?«
»Ich gehe in fünf Minuten.«
»In die Traumbar?«
Er sah sie stirnrunzelnd an. Sein von vielen Niederlagen gezeichnetes Gesicht sah immer so aus, als runzelte er die Stirn. »Nein«, sagte er. »Nicht in die Traumbar. Zur Arbeitsvermittlungsmaschine.«
»Aber du weißt doch, daß dich die Maschine hier erreichen kann, wenn es Arbeit gibt, also …«
»Ich will hingehen«, sagte Pomrath mit eisiger Würde. »Ich werde die Arbeitsvermittlung aufsuchen. Und danach höchstwahrscheinlich die Traumbar. Entweder, um zu feiern, oder, um meine Sorgen zu vergessen.«
»Ich wußte es.«
»Verdammt, Helaine, weshalb läßt du mich nicht in Ruhe? Ist es meine Schuld, daß ich keine Arbeit habe? Ich habe gute Zeugnisse. Ich müßte Arbeit bekommen. Aber die Welt ist eben ungerecht.«
Sie lachte hart. Diese Härte war neu an ihr. Er spürte sie erst seit ein paar Jahren. »In elf Jahren hattest du genau dreiundzwanzig Wochen Arbeit«, sagte sie. »Die restliche Zeit haben wir von Stempelgeld gelebt. Du bist von Klasse Zwanzig bis Klasse Vierzehn hochgekommen, und da klebst du nun Jahr für Jahr, und wir kommen auf keinen grünen Zweig, und ich fühle mich in diesem verdammten Apartment eingesperrt, und wenn die Kinder da sind, würde ich ihnen am liebsten die Köpfe abreißen und …«
»Helaine«, sagte er. »Sei still.«
Zu seiner großen Überraschung schwieg sie. Ihr Kinn schob sich vor, und sie schluckte mühsam. Sehr viel ruhiger sagte sie: »Tut mir leid, Norm. Es ist nicht deine Schuld, daß wir Proleten sind. Es gibt eben nicht mehr Arbeitsstellen. Nicht einmal du mit deiner Begabung …«
»Ja, ich weiß.«
»So ist es nun mal. Ich liebe dich, weißt du das auch? In guten wie in schlechten Zeiten, wie es so schön heißt.«
»Natürlich, Helaine. Schon gut.«
»Vielleicht gehe ich diesmal mit dir zur Traumbar. Ich programmiere das Essen für die Kinder …«
Er schüttelte den Kopf. Diese plötzliche Zärtlichkeit war rührend, aber er sah Helaine nahe genug in der Wohnung, Tag und Nacht. Er wollte nicht, daß sie mitkam, wenn er seinem armseligen Vergnügen nachging. »Diesmal nicht, Liebling«, sagte er schnell. »Vergiß nicht, daß ich zuerst zur Arbeitsvermittlung muß. Bleibe lieber hier. Du kannst ja Beth Wisnack oder sonst jemanden besuchen.«
»Ihr Mann ist immer noch weg.«
»Wer — Wisnack? Haben Sie ihn nicht aufgespürt?«
»Sie glauben, daß er — den Sprung gewagt hat. Ich meine, sie suchten ihn per Televektor. Sie fanden keine Spur. Er ist wirklich verschwunden.«
»Glaubst du diese Geschichte von den Zeitreisen?« fragte Pomrath.
»Natürlich.«
»Ich finde, es ergibt keinen Sinn. Eine Reise in die Vergangenheit. Ich meine, wenn man anfängt, das Universum umzukrempeln, Helaine, ich meine, wenn man den Fluß der Ereignisse verwirrt …«
Ihre Augen waren groß. »Auf den Spulen steht, daß es so etwas tatsächlich gibt. Die Hohe Regierung stellt ihre Nachforschungen an. Es ist sogar Joes Abteilung. Norm, wie kannst du sagen, daß es keine Zeitreisen gibt, wenn täglich Menschen verschwinden? Bud Wisnack direkt über uns …«
»Es ist nicht bewiesen, daß er es tat.«
»Wo ist er dann?«
»In der Antarktis vielleicht. In Polen. Auf dem Mars. Ein Televektor kann sich auch täuschen. Ich kann einfach nicht an dieses Zeug mit den Zeitreisen glauben, Helaine. Es ist für mich nicht greifbar. Verstehst du? Es ist so unwirklich, ein Märchen, etwas aus einer Traumbar.« Pomrath hustete. In letzter Zeit erhitzte er sich bei Diskussionen so schnell.
Er dachte an Bud Wisnack, den kleinen, kahlköpfigen Mann mit dem ewigen blauschwarzen Stoppelbart auf den Wangen. Und er fragte sich, ob er wirklich die Zeit übersprungen und sich irgendwo im Jahre 1999 niedergelassen hatte.
Die Pomraths sahen einander einen Moment lang schweigend an. Dann sagte Helaine: »Sag mir eines, Norm. Es ist nur eine Annahme, sonst nichts. Ein Mann tritt an dich heran und behauptet, er kenne sich mit den Zeitreisen aus … Was würdest du sagen, wenn er dir vorschlägt, in die Vergangenheit zu gehen und alles liegen und stehen zu lassen?«
Pomrath überlegte. »Ich würde nein sagen. Ich meine, es wäre doch schändlich, Frau und Familie im Stich zu lassen. Bud Wisnack mag das ja machen, aber ich könnte mich meinen Pflichten nicht so einfach entziehen, Helaine.«
Ihre graublauen Augen glitzerten. Sie lächelte, als wollte sie sagen: Mir kannst du nichts vormachen! Dann meinte sie: »Das ist sehr schön gesagt, Norm. Aber ich glaube, du würdest es doch tun.«
»Du kannst glauben, was du willst. Es ist auch egal, weil das Ganze nicht existiert. Ich gehe jetzt zur Maschine. Ich werde die Tasten einmal energisch drücken. Wer weiß? Vielleicht sitze ich noch eines Tages neben Joe in Klasse Sieben.«
»Möglich«, sagte Helaine. »Wann kommst du zurück?«
»Später.«
»Norm, bleibe nicht zu lange in der Traumbar. Ich mag es nicht, wenn du dich zu sehr in das Traumzeug hineindenkst.«