15
Ich brachte den Taxifahrer dazu, fast in der Lobby des Star zu parken, und Buddha ließ sich wie ein Stürmer, der im Strafraum angerempelt wurde, auf den Rücksitz fallen. Während der Fahrt hielt er den Kopf gesenkt, nur um ganz sicher zu gehen, und das Taxi brachte uns zum Flughafen.
Die Dinge verliefen genau nach meinem Plan, und Sie glauben vielleicht, ich wäre ziemlich zufrieden gewesen, aber in Wirklichkeit war ich viel nervöser als den gesamten Morgen über. Denn wir fuhren ja zum Abfertigungsschalter der RNAC. Sie wissen schon …
Als ich zum Schalter ging und mich dort nach dem Flug erkundigte, erklärte die Angestellte mir, er sei für heute abgesagt worden.
»Was?« rief ich. »Abgesagt? Weshalb?«
Nun war unser Gegenüber die schönste Frau auf der Welt. Das erlebt man in Nepal ständig — in dem Land geht man an einer Bäuerin vorbei, die auf einem Reisfeld arbeitet, und sie schaut auf und hat ein Gesicht wie vom Titelbild des Cosmopolitan, nur doppelt so schön und ohne das Vampirmake-up. Diese Angestellte der Fluggesellschaft hätte in New York eine Million pro Jahr als Model machen können, sprach jedoch nicht viel Englisch, und als ich sie nach dem Grund fragte, sagte sie »Es regnet!« zu mir und sah an mir vorbei zum nächsten Passagier.
Ich atmete tief ein. Vergiß die RNAC nicht, dachte ich. Was hätte die Rote Königin gesagt? Ich deutete aus dem Fenster. »Es regnet überhaupt nicht. Sehen Sie selbst.«
Das war zuviel für sie. »Es regnet«, wiederholte sie. Sie sah sich nach ihrem Vorgesetzten um, und er kam hinüber; ein dünner Hindu mit einem roten Punkt auf der Stirn. Er nickte knapp. »Es regnet in J–.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, ich habe auf der Kurzwelle den Wetterbericht von J– gehört, und außerdem können Sie nach Norden sehen und sich selbst überzeugen. Es regnet nicht.«
»Die Landebahn in J– ist zu naß«, sagte er.
»Es tut mir leid«, sagte ich, »aber Sie sind gestern zweimal dort gelandet, und seitdem hat es nicht mehr geregnet.«
»Wir haben mechanische Schwierigkeiten mit dem Flugzeug.«
»Es tut mir leid, aber Sie haben da draußen eine ganze Flotte kleiner Maschinen, und wenn eine ein Problem hat, ersetzen Sie es einfach durch ein anderes. Ich weiß es, ich habe hier einmal dreimal die Maschine gewechselt.« Nathan und Sarah schauten nicht besonders glücklich drein, als sie das hörten.
Der Vorgesetzte des Vorgesetzten kam zu unserem Gespräch hinzu, ein weiterer ernster, schlanker Hindu. »Der Flug ist abgesagt«, sagte er. »Politische Gründe.«
Ich schüttelte den Kopf. »RNAC-Piloten bestreiken nur die Flüge nach Lukla und Pokhara — das sind die einzigen, die genug Passagiere haben, damit der Streik was ausmacht.« Meine Befürchtungen über den wirklichen Grund der Absage bestätigten sich langsam. »Wieviele Passagiere hat dieser Flug?«
Alle drei zuckten die Achseln. »Der Flug ist abgesagt«, sagte der erste Vorgesetzte. »Versuchen Sie es morgen.«
Und ich wußte, daß ich recht hatte. Die Maschine war nicht einmal zur Hälfte gebucht, und sie wollten bis morgen warten, um sie voll zu bekommen. (Oder übervoll, aber wen interessiert das schon?) Ich erklärte Nathan und Sarah und Buddha die Lage, und Nathan stürmte zum Abfertigungsschalter und verlangte, daß der Flug planmäßig durchgeführt wurde, und die Aufseher runzelten die Stirnen, als würden sie sich wirklich noch ein Späßchen aus dieser Sache machen können, doch ich zerrte ihn davon. Während ich meinen Freund im Reisebüro anrief, erklärte ich ihm, daß die asiatischen Bürokraten einen Sport (oder vielleicht auch eine Kunstform) daraus gemacht hatten, wütende Kunden vollends auf die Palme zu bringen. Nach drei Versuchen bekam ich eine Verbindung mit dem Reisebüro meines Freundes. Die Telefonistin hob ab und sagte »Yeti Travels!«, was mich zusammenfahren ließ; ich hatte den Namen der Firma vergessen. Dann kam Bill an den Apparat, und ich erklärte ihm die Lage. »Sie wollen mal wieder die Maschine vollbekommen, was?« Er lachte. »Ich rufe die sechs Tickets ab, die wir gestern ›verkauft‹ haben, und ihr müßtet starten.«
»Danke, Bill.« Ich ließ ihm fünfzehn Minuten Zeit, während denen Sarah und ich Nathan beruhigten und Buddha am Fenster stand und die startenden und landenden Flugzeuge beobachtete. »Wir müssen heute noch hier raus!« wiederholt Nathan immer wieder. »Ein zweites Mal fallen sie nicht drauf rein!«
»Das wissen wir bereits, Nathan.«
Ich kehrte zum Abfertigungsschalter zurück. Die beiden Vorgesetzten standen hinter einer Konsole und mieden beflissen meinen Blick. Normalerweise hätte ich es nicht getan, doch mit der Last auf mir, Buddha fortzuschaffen, war ich ein wenig bissig geworden. Als ich die Bordkarten in der Hand hielt, sagte ich zu der Angestellten, laut genug, daß ihre Vorgesetzten es hören konnten: »Der Flug ist wohl nicht mehr abgesagt, was?«
»Abgesagt?«
Ich gab es auf.
16
Natürlich ist eine Bordkarte nur ein Stück Papier, und als nur acht Passagiere die kleine zweimotorige Maschine bestiegen, wurde ich wieder nervös; doch wir starteten planmäßig, Als das Flugzeug vom Boden abhob, sackte ich in meinem Stuhl zurück, und die Erleichterung durchströmte mich wie der Luftzug der Propeller. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht gewußt, wie nervös ich war. Nathan und Sarah hielten auf den Sitzen vor uns Händchen und grinsten, und Buddha saß neben mir auf dem Fenstersitz und sah auf das Katmandu-Tal hinaus oder auf den flatternden grauen Kreis des Propellers, ich konnte es nicht genau sagen. Ein erstaunlicher Bursche, dieser Buddha.
Wir erhoben uns aus dem grünen Katmandu-Tal und flogen über die Berge in Richtung Norden, hinauf ins Land des Schnees. Die anderen Passagiere, vier Engländer, sahen aus ihren Fenstern, begeisterten sich über den erhabenen Anblick und scherten sich nicht die Bohne darum, daß einer ihrer Mitreisenden doch ein sehr seltsam aussehender Bursche war. In dieser Hinsicht gab es kein Problem. Nachdem die Maschine die normale Flughöhe erreicht hatte, kam einer der beiden Stewards den Gang entlang und bot uns kleine eingepackte Süßigkeiten an, genau, wie andere Fluggesellschaften Getränke oder Mahlzeiten anbieten. Es war unglaublich niedlich, fast wie Kinder, die spielten, eine Fluggesellschaft zu führen, aber der Gedanke war nur solange niedlich, bis man sich daran erinnerte, daß man mit diesen Typen in fünftausend Metern Höhe weilte und sie einen bald über die höchsten Berge der Erde fliegen würden, um dann auf einem winzigen Behelfsflugplatz zu landen. Dann war es gar nicht mehr niedlich, und man ertappte sich dabei, wie man schwer schluckte und versuchte, nicht an Fallströme, Lebensversicherungen, Metallschwächen und das Leben nach dem Tode zu denken …
Ich rutschte auf meinem Sitz vor, in der Hoffnung, daß die anderen Passagiere zu beschäftigt waren, um bemerkt zu haben, daß Buddha seinen Schokoriegel geschluckt hatte, ohne vorher das Papier zu entfernen. Bei den beiden uns gegenüber war ich mir gar nicht so sicher, aber sie waren so sehr Engländer, daß sie Buddha allerhöchstens nicht so oft angesehen hätten, wenn sie ihn für etwas seltsam hielten. Kein Problem.
Es dauerte nicht lang, bis der Steward »Stellen Sie bitte das Rauchen ein!« sagte und die Maschine sich vornüber neigte und auf eine besonders spitze Gruppe schneebedeckter Gipfel zuhielt. Keine Spur einer Landepiste; in der Tat erschien schon allein die Vorstellung, daß sich da unten eine befinden könnte, völlig absurd. Ich atmete tief durch. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen — ich hasse das Fliegen.
Ich nehme an, einige von Ihnen kennen die Landepiste von Lukla direkt unter der Everest-Region. Sie liegt hoch neben der Dudh Khosi-Schlucht, und der Grasstreifen, der etwa um fünfzehn Grad abfällt und nur zweihundert Meter lang ist, führt genau in die Talwand. Wenn man dort landet, kann man eigentlich nur diese Talwand sehen, und man hat den Eindruck, direkt darauf zuzurasen. In der letzten Minute zieht der Pilot die Maschine hoch und landet auf dem Streifen, und nach dem unausweichlichen Hoppeln rollt man ziemlich schnell aus, weil es so steil aufwärts geht. Es ist eine beeindruckende Erfahrung, und einige Leute finden danach zur Religion oder geben zumindest das Fliegen auf.