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Sarah lachte darüber. »Das stimmt.«

Und ich erwähnte die Ökologie und das Gleichgewicht der Natur, Populationsbiologie und die Erhaltung der Arten, Evolutionstheorie und wie das Leben zu dem wurde, was es ist, Soziobiologie und die ihr zugrundeliegenden tierischen Sozialverhaltensformen … Aber sie hielt dagegen und wandte ein, dies seien wichtige Themen.

»Soziobiologie?« fragte ich. Sie zuckte zusammen. Ich gestand dann ein, daß es tatsächlich einige ausgezeichnete Argumente für das Studium der Tierwelt gäbe, behauptete jedoch, für einige Menschen sei diese Richtung die wichtigste des Fachs. »Für die meisten Angehörigen unserer Abteilung sind die Theorien wichtiger als die Tiere geworden«, sagte ich. »Sie suchen im Feld lediglich weitere Daten für ihre Theorien! Sie interessieren sich nur für ihre Veröffentlichungen oder Konferenzen, und viele leisten nur Feldarbeit, weil man beweisen muß, daß man dazu imstande ist.«

»Oh, Nathan«, sagte sie. »Du klingst zynisch, aber Zyniker sind nur enttäuschte Idealisten. Ich habe dich auch so in Erinnerung — du warst ein großer Idealist!«

Ich weiß, Freds, Du wirst ihr zustimmen: Nathan Howe, der Idealist. Und vielleicht bin ich das auch. Das habe ich ihr auch gesagt: »Aber, zum Teufel, die Atmosphäre in der Fakultät hat mich krank gemacht. Theoretiker, die einander wegen ihrer Lieblingsideen in den Rücken fallen und sich so wissenschaftlich wie möglich geben, wenn sie eigentlich gar nichts Wissenschaftliches zu sagen haben! Man kann diese Theorien nicht überprüfen, indem man ein Experiment entwirft und feststellt, ob es sich wiederholen läßt, und man kann die Faktoren nicht isolieren oder variieren oder kontrollieren — es geht immer nur um Beobachtungen und nicht überprüfbare Hypothesen! Und doch benehmen sie sich wie harte Wissenschaftler, erstellen mathematische Modelle und alles, wie Chemiker oder so. Das ist nur Wissenschaftlichkeit.«

Sarah schüttelte einfach den Kopf über mich. »Du bist zu idealistisch, Nathan. Du willst alles perfekt haben. Aber so einfach ist das nicht. Wenn man Tiere studieren will, muß man Kompromisse eingehen. Was dein Klassifikationssystem betrifft, solltest du einen Beitrag für die Soziobiologische Rundschau darüber schreiben! Aber bedenke, es ist nur eine Theorie. Wenn du das vergißt, fällst du in deine eigene Grube.«

Das hatte was für sich, und außerdem hatten wir ein paar Bienen entdeckt und mußten uns beeilen, ihnen den Bach hinauf zu folgen. So fand das Gespräch ein Ende. Doch als an den folgenden Abenden Valerie Budge im Zelt erklärte, wieso das Verhalten der menschlichen Gesellschaft ziemliche Ähnlichkeit mit dem der Ameisen habe — oder als Sarahs Freund Adrakian, frustriert von seinem Mangel an Funden, zu langen analytischen Ausführungen ansetzte, als sei er der bedeutendste Theoretiker seit Robert Trivers — warf sie mir manchmal einen Blick und ein Lächeln zu, und ich wußte, daß ich einen gewissen Eindruck erzielt hatte. Obwohl Adrakian gern große Worte in den Mund nahm, beeindruckte er mich kaum; seine Worte hätten einem Träger keine Rückenschmerzen bereitet, wenn Du weißt, was ich meine. Ich verstand gar nicht, was Sarah an ihm fand.

Eines Tages kurz nach diesem Gespräch kehrten Sarah und ich ins mittlere Hochtal zurück, um wieder nach Bienenstöcken zu suchen. Es war ein wolkenloser Morgen, ein klassischer Waldspaziergang im Himalaja: über die Brücke, an den Felsen im Bachbett entlangwandern, von Teich zu Teich hinaufsteigen; dann weiter hinauf zwischen feuchten Bäumen und durchs Unterholz. Dann über die Wand des unteren Tals und auf den Grund des oberen Tals, in dessem großen Rhododendronwald es viel klarer und sonniger war. Die Rhododendronblüten schimmerten noch auf jedem Zweig, und bei der pinkfarbenen Leuchtkraft der Blumen und den langen Kegeln des Sonnenlichts, die durch die Blätter fielen und grobe schwarze Rinde erhellten, orange Pilze und hellgrüne Farne, kam man sich vor, als würde man durch einen Traum wandeln. Und tausend Meter über uns bäumte sich majestätisch ein schneebedecktes Hufeisen aus Gipfeln auf. Der Himalaja — Du weißt schon.

Also waren wir guten Mutes, als wir, dem Bachbett folgend, dieses Hochtal hinauf marschierten. Und wir hatten auch Glück. Hinter einer Biegung mit leichtem Gefälle verbreitete sich der Bach zu einem langen schmalen Teich, über dessen südlichem Ufer sich eine Klippe aus gelbgestreiftem Granit erhob, durchzogen von großen horizontalen Rissen. Und aus diesen Rissen ergossen sich Bienenschwärme. Teile der Klippe schienen schwarz zu pulsieren, Wolken von Bienen trieben vor ihnen, und über dem leisen Geräusch des Flusses konnte man das sanfte Summen der Bienen hören, die ihrer Arbeit nachgingen. Aufgeregt setzten Sarah und ich uns auf einen Felsen in der Sonne, holten unsere Ferngläser hervor und begannen nach Vogelleben Ausschau zu halten. Goraks talaufwärts auf dem Schnee, ein Lämmergeier, der über die Gipfel segelte, Finken, die wie immer herumhüpften — und dann sah ich es. Ein gelber Fleck, etwas größer als der größte Kolibri. Ein Singvogel auf einem Ast, der vor den Bienenstöcken baumelte. Und schon flog er hinab, zu einem heruntergefallenen Stück Bienenwachs; pick, pick, pick, und das Wachs war verschwunden. Ein Honigsauger. Ich stieß Sarah an und zeigte ihn ihr, doch sie hatte ihn schon gesehen. Wir standen lange Zeit über still da und beobachteten ihn.

Edward Cronin, der Leiter einer früheren Expedition ins Himalajagebiet, hatte eine der ersten umfassenden Studien über Honigsauger erstellt, und ich wußte, daß Sarah seine Beobachtungen überprüfen und die Arbeit fortsetzen wollte. Honigsauger sind ungewöhnliche Vögel; sie haben sich darauf spezialisiert, mit Hilfe einiger Bakterien in ihrem Magen- und Darmsystem vom überflüssigen Wachs der Honigwaben zu leben. Dieses Ernährungskunststück hat kaum ein anderes Geschöpf auf Erden fertiggebracht, und die Vögel haben offensichtlich einen guten Zug getan, da ihnen damit eine sehr große Nahrungsquelle offensteht, für die sich niemand sonst interessiert. Das macht sie zu einem sehr wertvollen Studienobjekt, wenngleich man ihnen bislang noch keine große Beachtung geschenkt hatte — was Sarah nun zu ändern hoffte.

Als der Honigsauger, schnell und gelb, außer Sicht geflogen war, rührte sich Sarah endlich — atmete tief ein, beugte sich zu mir und umarmte mich. Küßte mich auf die Wange. »Danke, daß du mich hierher geführt hast, Nathan.«

Es war mir unangenehm. Der Freund, Du weißt schon — und Sarah war ein viel feinerer Mensch als er … Und außerdem fiel mir ein, daß sie damals, als wir uns dieses Büro geteilt hatten, eines Abends ganz aufgelöst hereingestürzt gekommen war, weil der damalige Freund ihr gestanden hatte, eine andere zu haben, und eins führte zum anderen, und … na ja, ich will nicht darüber sprechen. Aber wir waren gute Freunde gewesen. Und ich erinnerte mich noch gut daran. Also war es für mich nicht nur ein Küßchen auf die Wange, wenn Du weißt, was ich meine. Außerdem bin ich bestimmt ganz unbeholfen und umständlich geworden, wie es so meine Art ist.

Auf jeden Fall freuten wir uns ziemlich über unsere Entdeckung, und danach kehrten wir eine Woche lang täglich zur Honigklippe zurück. Es war wirklich nett. Dann wollte Sarah einige Studien fortsetzen, die sie über die Goraks begonnen hatte, und so marschierte ich ein paar Mal allein zur Honigklippe hinauf.

An einem dieser Tage, als ich allein unterwegs war, passierte es. Der Honigsauger zeigte sich nicht, und ich wanderte den Bach hinauf, um zu sehen, ob ich dessen Quelle finden konnte. Wolken rollten vom unteren Tal heran, und es sah ganz danach aus, als würde es später regnen, doch dort oben, wo ich war, schien noch die Sonne. Ich fand den Ursprung des Baches — ein von einer Quelle gespeister Teich am Fuß eines Geröllhanges — und beobachtete, wie er sich in die Welt ergoß. Einer dieser stillen Augenblicke im Himalaja, in denen die Welt eine gewaltige Kapelle zu sein scheint.