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Von Waiden zog einen schwarzen Trommelrevolver aus einer Tasche seines Rocks und sagte: »Damit werde ich auf jeden schießen, der gegen die vereinbarten Regeln verstößt.«

Jacob war sich da nicht so sicher, aber er sagte auch jetzt nichts.

»Auf die Positionen!« ordnete der Adlige an, während er so mit dem Rücken zur Sonne Aufstellung nahm, daß er von jedem der Schützen gleich weit entfernt war.

Als Jacob, die ungewohnte Schußwaffe in der Rechten, seinem Gegner gegenüberstand, sah er den zufriedenen Ausdruck auf dessen Gesicht. Als wisse Arning genau, daß sein Kontrahent nur noch ein paar Sekunden zu leben hatte.

Wußte er von Louisa, daß Jacob sich nicht mit Pistolen und Revolvern auskannte? Oder dachte er sich einfach, daß dies nicht das Metier eines Zimmermanns war? Einerlei, Jacob konnte nicht mehr zurück.

Er dachte wieder an die Spiele aus der Kindheit, als der Entenweiher zur Walstatt imaginärer Kanonenschüsse geworden war. Sollte er jetzt an diesem Ort durch die Kugel einer simplen Pistole sterben?

»Ich zähle bis fünf und gebe dann das Schußkommando«, sagte von Waiden mit scharfer, klarer Stimme. »Daraufhin können beide Kontrahenten schießen.«

Als er zu zählen begann, zogen die beiden vergangenen Tage noch einmal in Windeseile an Jacobs geistigem Auge vorüber. Er dachte an den Tod seiner Mutter, an den Wegzug seiner Familie, an die Pfändung und den Abriß seines Geburtshauses und an Louisas Heirat mit Bertram Arning. Und er dachte an das ominöse Gespräch zwischen letzterem und dem Langholzer, von dem Louisa ihm berichtet hatte.

Auf einmal sah er nur noch den Sohn des Bierkönigs vor sich, seine siegessichere, bleiche Fratze. In Jacob wurde der Wunsch übermächtig, sich für all das zu rächen, was Arning und sein Vater der Familie Adler angetan hatten.

»... vier, fünf«, zählte von Waiden, »und Schuß!«

Jacob sah, wie Arnings Arm in schneller Routine herunterfuhr. Daß sein eigener Arm nicht langsamer war, drang ihm nicht ins Bewußtsein. Als er Arnings Brust durch das Visier seiner Pistole sah, zog er einfach den Stecher durch. Ihm war es, als krachten beide Schüsse gleichzeitig.

Jeder der beiden Duellanten wurde von einer weißen, in die Augen beißenden Rauchwolke umhüllt. Als sich die Rauchwolken verzogen, standen sie sich noch immer auf ihren Schußpositionen gegenüber, die Läufe der Waffen auf den jeweiligen Gegner gerichtet.

Vergebens hatte Jacob auf den Einschlag des tödlichen Bleis in seiner Brust gewartet. Oder war er von der Kugel so betäubt, daß er keinen Schmerz bemerkte? Jedenfalls fühlte er sich wie gelähmt, vermochte sich einfach nicht zu rühren.

Er sah den Sohn des Bierkönigs an, der ebenfalls ungerührt auf der Weiherlichtung stand, über die sich die rasch länger werdenden Schatten der Bäume schoben. Auch Arning schien die weitere Entwicklung abzuwarten.

Aber dann ließ er die wertvolle Pistole los, die vor ihm ins Gras fiel. Die Siegesgewißheit verließ sein Gesicht und machte grenzenlosem Erstaunen Platz. Er öffnete die Lippen, wie um etwas zu sagen. Aber statt dessen kippte er nach vorn und fiel über seine Waffe, wo er reglos liegenblieb.

Das löste den Bann, der bis jetzt über allen Beteiligten gelegen hatte. Von Waiden und Jensen liefen zu ihrem Freund. Jacob warf seine Waffe ebenfalls ins Gras und sah an sich hinunter. Es erschien ihm wie ein Wunder, aber er war tatsächlich nicht verletzt. Arnings Kugel hatte ihn nicht einmal gestreift.

Das konnte nur bedeuten, daß er schneller geschossen hatte als sein Gegner. Jacobs Kugel mußte ihn getroffen haben, bevor er abdrückte, so daß er seine Pistole verriß. Das Echo der Schüsse, das Jacob auf ein gleichzeitiges Feuern hatte schließen lassen, hatte ihn getäuscht.

Jacob ging auf die beiden Sekundanten zu, die ihren Freund inzwischen auf den Rücken gedreht hatten, um ihn zu untersuchen. Arnings vormals blütenweißes Hemd war auf der Brust blutgetränkt.

»Eine üble Wunde«, stellte von Waiden sachkundig fest. »Zum Glück für Bertram nicht in der Nähe des Herzens. Mit viel Glück wird er es schaffen.« Mit vorher für Jacob nicht erkennbar gewesenem Respekt sah der Adlige zu dem Zimmermann auf. »Wie groß ist Ihre Erfahrung mit Pistolen?«

»Es ist das erste Mal gewesen, daß ich mit solch einem Ding geschossen habe«, antwortete Jacob wahrheitsgemäß.

Der Respekt auf von Waldens aristokratischem Gesicht wuchs noch. »Dann haben Sie entweder verteufeltes Glück gehabt, oder Sie sind ein Naturtalent. Bertram ist immer ein guter Schütze gewesen.«

Die Sekundanten schafften den Verwundeten in den Landauer und suchten dann sämtliche Sachen zusammen.

»Wo ist Ihre Pistole, Adler?« fragte Jensen. »Die Obrigkeit darf von dem Duell nichts erfahren.«

»Dahinten«, sagte Jacob und zeigte auf die Stelle im Gras, wo die Waffe liegen mußte.

Er selbst mochte sie nicht aufheben. Er verspürte einen starken Widerwillen gegen die Pistole, mit der er einen anderen Menschen verletzt, vielleicht sogar tödlich verwundet hatte. Gewiß, Arning hatte es nicht anders gewollt, aber es gehörten immer zwei zu einer bewaffneten Auseinandersetzung. Jacob fühlte sich nicht wohl in der Haut eines von diesen beiden.

Jensen fand die Waffe und kehrte mit ihr zu dem Landauer zurück, ohne sich weiter um Jacob zu kümmern.

»Fahr uns rasch in die Stadt, Peter«, sagte von Waiden. »Ich kümmere mich um Bertram, so gut es geht.«

Der Fuhrunternehmer kletterte behend auf den Bock, löste die Bremse und trieb eilig die Pferde an. Die Kutsche holperte über die Wiese, bis sie den Weg erreichte, der durch den Wald zur Straße nach Elbstedt führte.

Als sie aus seinem Blickfeld verschwunden war, kam Jacob das ganze Duell vor wie ein böser Traum.

*

Der Traum war beängstigend und verworren, wie es so viele Träume sind. Sterne umkreisten ihn, erst rasend schnell, dann immer langsamer, bis er sie schließlich erkennen konnte. Die Sterne waren Gesichter, die mit seltsamem Ausdruck auf ihn herabblickten. Mit Verachtung, weil er auf einen Menschen geschossen hatte.

Es waren die Gesichter seiner Angehörigen. Das strenge, gerechte Haupt seines Vaters. Das gütige, stets ein wenig besorgte Antlitz seiner Mutter. Die ernsten Augen seines Bruders Fritz, die schelmenhaftverschmitzte Miene des jüngsten Bruders Lukas und das verträumte Gesicht seiner Schwester Marthe.

Sie öffneten zeitgleich ihre Münder, aber es kamen keine Worte heraus, sondern ein Schwall dunklen Blutes ergoß sich auf ihn. Er wollte schreien, sich davonmachen, aber er war wie angenagelt.

Dann jedoch waren die Gesichter wie weggewischt, als er wie von fern seinen Namen hörte. Geflüstert nur, wie vom Wind über das weite Meer herangetragen.

»Jacob, wach auf!« flüsterte die Stimme. »Werde endlich wach, Jacob Adler!«

Als er die Augen aufschlug - oder träumte er dies nur? -, waren die Gesichter wieder da. Nein, es war nur ein Gesicht, nicht mehr jung. Das seines Vaters?

Endlich erkannte er es; die faltigen Züge gehörten dem Schuster Eckermann, der ihm Unterkunft gewährt hatte. Der Schuhmacher stand über seiner schmalen Schlafpritsche, eine fast abgebrannte Kerze in der Hand, und sah ihn ebenso besorgt an, wie es die Gesichter in Jacobs Traum getan hatten.

Allmählich kehrte Jacobs Erinnerung an die vergangenen Stunden zurück. Nach dem Duell war er langsamen Schrittes in die Stadt zurückgegangen. Er hatte es nicht eilig gehabt, weil so viele Gedanken über die bewaffnete Auseinandersetzung und alles, was dazu geführt hatte, in seinem Kopf umherwirbelten.

Er hatte überlegt, ob er sich dem Gendarmen Karst stellen sollte. Aber was hätte er damit gewonnen? Eine Haftstrafe oder auch nur eine lange Untersuchung hätten ihn nur davon abgehalten, seine Familie zu suchen.