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Schnell schlug sich Jacob ins Gebüsch, nahm seine Mütze vom Kopf und lugte vorsichtig durch die Zweige eines Haselnußstrauches. Bald sah er drei Reiter in gestrecktem Galopp die Straße entlang galoppieren. Sie kamen aus Elbstedt und ritten in seine Richtung. Als sie an ihm vorbeipreschten, erkannte er Bedienstete des Grafen von Waiden. Jetzt hegte er nicht mehr den geringsten Zweifel daran, daß diese Männer auf der Suche nach ihm waren.

Jacob wartete, bis ihr Hufschlag in der Ferne verklang. Dann verließ er sein Versteck und lief quer über die Felder auf den Wald zu, dessen dunkle Umrisse sich gegen den ein wenig helleren Nachthimmel abhoben. Der Weg durchs Unterholz würde zwar viel beschwerlicher sein und ihn langsamer vorankommen lassen, aber das war allemal besser, als gefaßt und nach Elbstedt zurückgebracht zu werden.

Er fragte sich, wie dort die Stimmung wohl sein mochte. Ob Bertram Arning und seine Freunde das Volk so weit aufgehetzt hatten, daß sie Jacob auch ohne Gerichtsverhandlung zur Verantwortung ziehen würden? Für möglich hielt er es.

Beim Eintauchen in den Wald war ihm wohler zumute. Hier würden sie ihn nicht suchen, nicht in der Nacht. Die fast völlige Finsternis in dem dichten Gehölz bot ihm Schutz.

Daß auch dies ein Irrtum war, verriet ihm das Hundegekläff, das erst weit hinter ihm erscholl, aber rasch näher kam. In der stockfinsteren Nacht fand keine Jagd statt - außer die auf einen Menschen.

Er erinnerte sich an das große Rudel Jagdhunde, das der Graf von Waiden sich hielt. Als Junge hatte er gesehen, wie die Hunde im Blutrausch, statt ihre Beute nur zu stellen, ein Reh geradezu in Fetzen gerissen hatten.

Sie schienen ihn wirklich mit allen Mitteln fangen zu wollen. Wahrscheinlich erfüllten die Reiter von vorhin eine Doppelfunktion. Zum einen suchten sie die Straße nach ihm ab, zum anderen benachrichtigten sie die umliegenden Ortschaften. Vielleicht stellte man dort bereits Suchtrupps auf, um Jacob einzukreisen.

Mit einemmal wurde ihm bewußt, daß er in einer viel größeren Gefahr schwebte, als er gedacht hatte. Die Arnings waren mächtig und besaßen mächtige Freunde. Ihre ganze Macht spielten sie jetzt gegen ihn aus, den armen Zimmermann Jacob Adler.

Er rannte schneller, immer schneller, bis tausend Nadeln in seine Lungen stachen. Er fiel hin und stand wieder auf, viele Male. Äste und Zweigen peitschten in sein Gesicht, rissen seine Mütze vom Kopf, ohne daß er sich darum kümmerte. Er dachte daran, seine schwere Ledertasche einfach fallen zu lassen, brachte es aber dann doch nicht fertig. Darin befand sich alles, was er besaß.

Die Hunde kamen immer näher. Ihr Gebell hörte sich ganz laut an. Da hörte Jacob auch die Stimmen von Menschen.

»Seht mal, was der Köter entdeckt hat!« »Eine Mütze!«

»Bestimmt der Deckel von diesem Adler. Er muß ihn beim Davonrennen verloren haben.«

»Das heißt, er ist dicht vor uns.«

»Dann lassen wir jetzt die Hunde los!«

Das war für Jacob das Stichwort, seine letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Weit vornübergeneigt rannte er keuchend durchs Unterholz und gab sich keine Mühe mehr, besonders leise zu sein. Das Knacken der Zweige konnte ihn nicht mehr verraten. Seine Witterung, von den Hunden spätestens seit dem Fund der Mütze aufgenommen, hatte es längst getan.

Die großen schlanken Tiere kamen näher und näher. Jacob glaubte schon ihren Atem zu hören, als vor ihm ein kleines Flüßchen auftauchte, eher ein breiter Bach. Er erkannte seine einzige Chance und sprang ohne Zögern hinein, watete bis zur Mitte, wo das Wasser ihm bis an die Brust reichte. Dort warf er sich in das kalte Naß und schwamm mit der schwachen Strömung. Seine Tasche wurde immer schwerer, je mehr sich das Leder mit Wasser vollsog, aber er schwamm einfach weiter, immer weiter.

Als seine Arme schmerzten und sein Atem nur noch in raschen, kurzen Stößen ging, steuerte er das andere Ufer an, zog sich mit letzter Kraft an Land und taumelte durch das Ufergestrüpp. Alles in ihm verlangte danach, sich einfach fallen zu lassen, die Augen zu schließen und sich auszuruhen von den hinter ihm liegenden Strapazen.

Aber er war sich nicht sicher, ob die durchs Schwimmen zurückgelegte Strecke ausreichte, um die Jagdhunde seine Witterung verlieren zu lassen.

Und was war, wenn die Häscher mit den Tieren das Ufer absuchten? Der Bach war nicht sonderlich breit. Vielleicht würde seine Witterung vom Wind, der ihm entgegen wehte, ans andere Ufer getragen werden.

So taumelte er weiter, bis sich sein Fuß in einer aus dem

Boden ragenden Wurzel verhakte. Er stolperte und schlug lang hin, fiel zwischen brusthohen Farn, der ihm in seiner jetzigen Stellung völligen Sichtschutz gewährte.

Jacob war so zerschlagen, daß er einfach liegenblieb, die Augen schloß und lauschte. Er konnte nicht mehr weiter und redete sich ein, daß die Entfernung zum Bach jetzt groß genug sei.

Bis er das Kläffen der Hunde hörte. Sie mußten ganz nah sein, etwa an der Stelle, wo er aus dem Wasser gekrochen war. Aber an welcher Uferseite?

Menschliche Stimmen drangen an sein Ohr. Wortfetzen nur, weil gegen den Wind gesprochen. »... weiß nicht, wo der verdammte Kerl steckt.« »... vielleicht gar nicht in den Bach.« ». hat uns reingelegt.« ». spät geworden. lieber umkehren.« ». werden ihn die anderen finden.« Jacob konnte es erst gar nicht glauben, aber seine Verfolger schienen tatsächlich nicht zu wissen, wie nah sie ihm waren. Sie gaben die Suche nach ihm auf. Ihre Stimmen und das enttäuschte Hundegekläff wurden rasch leiser und bald vom Flüstern des Windes überdeckt.

Dieses Flüstern wiegte ihn in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

*

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, halb von Wolken verdeckt, als Jacob am nächsten Tag erwachte. Er war hungrig und fror. Sämtliche Glieder schmerzten vom Schlafen auf dem harten Boden.

Als er sich aufsetzte, schüttelte ihn ein heftiger Hustenanfall. Seine Augen tränten, und er bekam kaum Luft. Das Schwimmen im Fluß, das Schlafen in den nassen Kleidern auf dem kalten Boden, all das hatte zu einer ausgewachsenen

Erkältung geführt.

Trotzdem stand er mühsam auf und schleppte sich weiter, sich anhand der Sonne über die Richtung orientierend.

Sein Ziel war immer noch Hamburg. Er kam nur langsam vorwärts. Immer wieder zwangen ihn Husten- und Schwächeanfälle zu langen Pausen. Und er konnte nur durch unwegsames Gelände marschieren, weil er auf den Straßen damit rechnen mußte, Suchtrupps in die Hände zu fallen. In den Ortschaften am Weg waren die Gendarmen vermutlich über ihn unterrichtet und warteten nur auf sein Auftauchen.

Irgendwann, Mittag war längst vorüber, ließ er sich im Unterholz eines Wäldchens nieder, bedeckte sich mit sämtlichen Kleidungsstücken aus seinem kleinen Gepäck und schlief rasch ein.

Er erwachte in der Abenddämmerung. Sein Hunger war zwar größer geworden, aber er fühlte sich durch den Schlaf ein wenig besser. Er marschierte in Richtung der Landstraße, wo er leichter voranzukommen hoffte. Um die Gefahr der Entdeckung zu verringern, wollte er nachts wandern und sich tagsüber in sorgfältig gewählten Verstecken ausruhen.

Auf diese Art näherte er sich der großen Hansestadt und wagte es hin und wieder sogar, auf einsam gelegen Gehöften einzukehren, um gegen billiges Geld eine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Stets tischte er seinen Wirtsleuten eine andere Geschichte über sich auf und nannte ihnen einen anderen Namen, um seine Häscher zu verwirren.

Doch in dieser Beziehung hatte er Glück. Er traf auf keinen Suchtrupp und wurde von keinem Polizisten angehalten. Seine Vorsichtsmaßnahmen zahlten sich aus. Vermutlich hatten die Elbstedter die Hatz auf ihn eingestellt und vertrauten darauf, er würde über kurz oder lang einem Gendarmen auffallen.