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»Meine Sache«, brummte Jacob und wollte sich von dem anderen lösen.

»Meine auch«, widersprach Martin Bauer. »Du hast mir geholfen, also helfe ich dir. Wenn du nicht zur Polizei willst, geht das in Ordnung. Aber um unser gemeinsames Essen kannst du dich nicht herumdrücken. Wahrscheinlich hat es eh keinen Sinn, Anzeige zu erstatten. Diese Burschen werden kaum einen festen Wohnsitz haben und sind jetzt vermutlich schon in alle Winde zerstreut.« Er legte seinen Arm um Jacob. »Also gehen wir in eine Gaststube. Nach so einem Kampf habe ich immer mächtig Hunger.«

Jacob begleitete ihn widerstrebend. Die Erwähnung der Polizei ließ sämtliche Alarmglocken in ihm schrillen.

*

Bald kamen die beiden Männer in eine belebtere Gegend und kehrten in einem Gasthof ein, dessen Name »Zum wilden Eber« auf einem großen Schild in der Form eines ebensolchen Tieres prangte. Das Haus war gut besucht, aber sie hatten das Glück, daß gerade ein Ecktisch frei wurde, der wenigstens ein bißchen Abgeschiedenheit vom üblichen Trubel versprach. Sie bestellten sich Schweinshaxen mit Sauerkraut und ließen es sich ordentlich schmecken.

Jacob wurde erst jetzt bewußt, daß er völlig ausgehungert war. Die ganze Nacht hindurch war er gelaufen, und jetzt war es bereits Mittag. Er nagte die Haxe bis auf den Knochen ab, aber sein stämmiger Gastgeber stand ihm nicht nach.

Sie spülten das Essen mit viel Bier hinunter und unterhielten sich, wobei Martin es sorgfältig vermied, seinen Retter auf seine Abneigung gegenüber der Polizei anzusprechen. Statt dessen erzählte er viel von sich, und Jacob erfuhr, daß er der Sohn eines Bauern war.

»Ich dachte, du heißt Bauer.«

»Ich heiße Bauer, und ich bin Bauer«, verkündete der andere mit einem gewissen Stolz auf seinen Beruf. Dann wurde seine Miene plötzlich ernst. »Mein Vater ist kürzlich gestorben, und mein älterer Bruder hat den Hof geerbt. Für uns beide reicht er nicht, und ich will nicht als Knecht meines Bruders arbeiten.«

»Dann bist du auf Arbeitssuche?«

»So ungefähr. Allerdings nicht hier.«

»Und was suchst du dann in Hamburg?«

»Ein Schiff, das mich möglichst schnell nach Amerika bringt. Dort gibt es unbegrenzte Mengen Land. Es ist nicht so wie hier, wo man keinen Platz zum Leben hat. Ich habe gehört, daß es Gegenden gibt, wo einem die Regierung sogar das Land schenkt und man es als Gegenleistung nur eine bestimmte Zeit bearbeiten muß; dann gehört es einem. Unvorstellbar, was?«

Martins Augen leuchteten und schienen vor sich das unendlich weite Land des nordamerikanischen Kontinents zu erblicken.

»Ja, Amerika«, sagte Jacob nachdenklich.

»Schade, daß du nicht auch dorthin willst«, meinte Martin. »Für einen Mann allein kann es während der Reise allerlei Unannehmlichkeiten geben. Es ist immer gut, einen Freund bei sich zu haben, auf den man sich verlassen kann. Das habe ich heute gelernt.«

»Aber ich will ja nach Amerika!« sagte Jacob da, lauter, als er es beabsichtigt hatte.

Auf Martins rundem Gesicht ging die Sonne auf. »Wunderbar! Vielleicht können wir zusammen reisen.«

Jacob schüttelte traurig den Kopf. »Das wird nicht gehen, leider.«

»Warum nicht?«

Jacob senkte seine Stimme. »Weil ich keinen Auswandererpaß habe und auch keinen bekommen werde.«

»Wegen deiner Schwierigkeiten mit der Polizei?«

Jacob nickte.

»Da läßt sich bestimmt etwas machen. Es gibt immer Mittel und Wege. Mein Vater sagte immer, Bestimmungen sind dazu da, umgangen zu werden. Ich bin sicher, daß wir eine Lösung finden.«

Ein schmächtiger, fast kahler Mann, dessen spitzes Gesicht an das einer Ratte erinnerte, stand von einem Nebentisch auf und trat zu den beiden jungen Männern.

»Verzeihen Sie, wenn ich mich in Ihr Gespräch einmische«, sagte er mit einer hohen Stimme, die zu seinem Gesicht paßte. »Ich konnte nicht vermeiden, Teile Ihrer Unterhaltung mit anzuhören. Die Herren wollen nach Amerika hinüber, haben aber mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen, wenn ich recht verstanden habe.«

»Und?« fragte Jacob und sah den Fremden mißtrauisch an.

»Nun, ich kenne jemanden, der Ihnen vielleicht helfen kann. Er vermittelt Schiffspassagen, auch in schwierigen Fällen.«

»Ein Agent also?« wollte Jacob wissen.

»Sozusagen. Mein Bekannter hat keine offizielle Konzession, weil es in der Vergangenheit ein paar Schwierigkeiten mit den Behörden gab. Aber dafür hat er gute Verbindungen, auch zu Schiffseignern und Kapitänen, die es nicht so genau nehmen mit unsinnigen Vorschriften.«

»Ein Winkelagent«, raunte Martin seinem Freund hinter vorgehaltener Hand zu.

Das war die Bezeichnung für die unkonzessionierten Schiffahrtsagenten, denen die Konzession meistens aus gutem Grund verweigert wurde. Aber es gab Menschen, die auf sie angewiesen waren, und Jacob gehörte dazu.

»Vielleicht sollte ich es versuchen«, sagte er leise zu Martin. »Es ist für mich die einzige Möglichkeit, eine Passage zu buchen.«

»Gut«, sagte Martin laut und klopfte mit der Hand auf den Tisch. »Dann komme ich mit dir.« Leise fügte er hinzu: »Es ist immer gut, in wichtigen Dingen einen Freund dabeizuhaben.«

Wie recht er doch hatte, dachte Jacob. Hätte ihn ein Freund beim Duell mit Bertram Arning begleitet, hätte er wenigstens einen Zeugen gehabt, der für ihn aussagte.

»Können Sie uns zu Ihrem Bekannten bringen?« fragte er den schmächtigen Mann.

»Gern. Allerdings müßte ich für diese Vermittlung eine kleine Provision verlangen.«

»Aha«, machte Martin, als habe er sich das bereits gedacht. »Und wie hoch fällt diese kleine Provision aus?«

»Fünf Taler pro Person.«

Jetzt schlug Martin so stark auf den Tisch, daß die Biergläser klirrten und die Leute an den Nachbartischen herüberschauten. »Das nenne ich keine kleine Provision, sondern Wucher! Das ist ein ganzes Fünftel dessen, was eine Schiffspassage kostet.«

»Ich muß auch leben.«

»Sagen wir: drei Tal er«, sagte Jacob einlenkend, »für uns beide zusammen.«

Der Schmächtige wiegte seinen Kopf hin und her, als habe er schwer an dieser Entscheidung zu knabbern.

»Vier«, sagte er dann, nach scheinbar zähem Ringen mit sich selbst.

»Also gut«, seufzte Jacob ergeben.

»Aber nur, wenn ein Kontrakt zustande kommt«, fügte Martin schnell hinzu.

Der Schmächtige nickte. »Einverstanden. Wenn Sie wollen, können wir gleich aufbrechen.«

Martin bezahlte Essen und Getränke, und auch der Schmächtige beglich seine Rechnung. Sie folgten ihm durch ein paar Querstraßen und erfuhren unterwegs, daß er sich Fritz Schulz nannte. Vor einem großen Geschäft mit dem Schild »August Bult - Schiffsausrüster« blieb er stehen.

»Ist dieser Bult der Mann, von dem Sie sprachen?« fragte Martin.

»Ja«, antwortete Schulz und betrat den Laden, in dem ein Jüngling, der fast ebenso schmächtig war wie er, mit einem Reisigbesen wohl nur in der Einbildung vorhandenen Dreck zusammenfegte. In den Regalen lag so ziemlich alles, was man an Bord eines Schiffes gebrauchen konnte, von der wasserdichten Laterne über Ölzeug bis zu langen Nägeln und Werkzeug.

»Ist der Chef da?« fragte der Mann mit dem Rattengesicht.

»Ja, Herr Schulz, im Hinterzimmer.«

»Bitte, die Herren, folgen Sie mir«, sagte Schulz und winkte den beiden Freunden.

Sie durchschritten den großen Verkaufsraum und blieben vor einer Tür stehen, an die ihr Führer klopfte.

»Herein!« rief laut eine tiefe Stimme, die sich wie das Bullern eines gut geheizten Ofens anhörte.

Sie traten ein und standen einem Mann gegenüber, der äußerlich das genaue Gegenteil von Schulz war: ein ganzes

Stück größer als dieser, aber auch viel breiter, richtig massig. Ein dunkler Haarschopf bedeckte seinen Kopf, und die langen Koteletten gingen in einen dichten, fast struppigen Oberlippenbart über.