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»Ich bringe dir Kundschaft, August«, sagte Schulz und erklärte dem Schiffsausrüster und inoffiziellen Schiffahrtsagenten, worum es ging.

Das Zimmer war ein großes Kontor, hatte aber auch eine Sitzecke mit einem Sessel und drei Stühlen. Dort nahmen die Männer Platz, die Gäste auf den Stühlen. Der Hausherr ließ sich in den voluminösen Sessel fallen, der unter seinem Gewicht aufstöhnte.

»Haben die Herren es eilig, ins Gelobte Land zu kommen und Deutschland den Rücken zu kehren?« fragte er, wobei er dem letzten Halbsatz einen ironischen Unterton unterlegte.

»Ja«, antwortete Jacob knapp.

»Da habe ich etwas für Sie. An sich ist das Schiff schon ausgebucht, aber gegen einen kleinen Aufpreis kann ich wohl noch zwei Plätze freimachen. Es ist ein schneller Dreimaster, der morgen schon ausläuft.«

»Morgen schon?« fragte Jacob nach, der das kaum glauben konnte. »Und wohin?«

»Nach New York. Das ist Ihnen doch recht?«

Jacob nickte, obwohl er lieber Galveston oder New Orleans als Zielhafen gehört hätte. Aber man konnte nicht alles verlangen. Ob er morgen nach New York absegelte oder mehrere Wochen auf ein Schiff wartete, das nach Texas oder wenigstens in dessen Nähe fuhr, blieb sich im Ergebnis gleich. Außerdem wollte er so schnell wie möglich das preußische Einflußgebiet verlassen.

»Haben Sie alle Papiere dabei, damit wir den Vertrag perfekt machen können?« fragte der beleibte Agent.

»Da gibt es ein Problem«, sagte Jacob. »Ich habe keinen Auswandererpaß.«

»Verstehe«, meinte Bult und erinnerte Jacob mit dieser Wendung an den Gendarmen Karst. »Ich denke, ich kann das regeln, wenn es auch zusätzlich etwas kostet.«

»Was soll es denn insgesamt kosten?« fragte Martin.

»Eine Zwischendeckpassage von Hamburg nach New York inklusive Verpflegung und Dringlichkeitszuschlag kostet vierzig Taler. Für den Herrn ohne Papiere muß ich fünf Taler extra berechnen.«

»Das ist viel Geld«, sagte Jacob. »Woanders kostet die Passage nur fünfundzwanzig Taler.«

»Woanders geht es nicht so schnell - und nicht ohne Papiere.«

Diesmal übernahm Martin das Handeln. »Dreißig Taler für mich und fünfunddreißig für meinen Freund.«

Bult schüttelte den Kopf. »Das ist zuwenig.«

»Also gut. Dann fünfunddreißig für mich und vierzig für meinen Freund.« Martin sah den Winkelagenten ernst an. »Das ist unser letztes Wort.«

»Ich habe heute meinen gutherzigen Tag und will mich darum einverstanden erklären«, sagte Bult im Tonfall eines Menschen, der gerade ein unzumutbares Opfer gebracht hatte. Er stemmte sich ächzend aus dem Sessel, setzte sich an einen Sekretär und fertigte mit flinker Hand zwei Verträge aus. »Damit alles seine Ordnung hat.«

Jacob bezweifelte, daß die beiden Blätter einen anderen Wert als den besaßen, dem Kontrakt wenigstens den Anschein des Seriösen zu verleihen. Um die Sache rasch abzuschließen, unterschrieb er, allerdings, und das bereitete ihm eine gewisse Freude, mit dem Namen Gottlob Karst.

Sie bezahlten den ausgehandelten Preis und bekamen das sogar von Bult quittiert. Er schien nicht zu befürchten, daß diese Beweisstücke für sein illegales Treiben einmal gegen ihn verwendet werden könnten. Wahrscheinlich baute er darauf, daß seine Klientel aus lichtscheuem Volk bestand, das den

Weg zur Polizei und zu den Gerichten als allerletzten beschritt.

»Die ALBANY läuft morgen mittag aus«, erklärte der Agent. »Seien Sie bitte pünktlich.«

»Ein amerikanisches Schiff?« fragte Martin.

»Ja. Der Kapitän, Josiah Haskin, ist zugleich der Eigner. Da fällt es leichter, über gewisse Umgehungen der Bestimmungen hinwegzusehen.«

Als er die Geldkassette schließen wollte, sagte Bult: »Übrigens, Sie können bei mir auch Ihr Geld in amerikanische Dollar eintauschen. Der Kurs ist hierzulande günstiger als in den Staaten, und Sie sparen sich den Gang zur Wechselstube.«

»Wir haben schon gewechselt«, sagte Martin. Sie Verabschiedeten sich und verließen, von Schulz begleitet, das Geschäft. Auf der Straße hielt ihr Mittelsmann die Hand auf und nahm von jedem zwei Taler in Empfang.

»Jetzt brauche ich nur noch ein Zimmer für die Nacht«, meinte Jacob. »Und zwar ein billiges, wenn ich an meine heutigen Ausgaben denke.«

»Da wüßte ich etwas«, sagte Schulz.

Jacob hob abwehrend die Hand. »Nein, danke, Ihre Vermittlungen kann ich mir nicht mehr leisten.«

»Der Rat kostet nichts. Ich empfehle Ihnen den >Schwarzen Hirschc, ein Gasthof in der Nähe des Hafens.« Er zeigte auf eine gewundene Gasse. »Hier die Straße entlang, und am Ende finden Sie ihn. Mein Schwager ist der Wirt. Berufen Sie sich nur auf mich.«

Sie bedankten sich und verabschiedeten sich von ihm.

»Warum hast du gesagt, wir hätten schon Geld eingewechselt, Martin?« fragte Jacob, als sie den von Schulz bezeichneten Weg entlanggingen.

»Weil dieser Winkelagent uns bestimmt zuviel abgeknöpft hätte. Wir gehen besser in eine reguläre Wechselstube, sobald du dich im > Schwarzen Hirsch< um ein Zimmer gekümmert hast. Bei mir in der >Goldenen Heimat< ist leider alles voll. In

Hamburg ist dieser Tage viel los.«

Derzeit war alles belegt im »Schwarzen Hirsch«, aber der massige Wirt, eine kahlköpfige Ausgabe von Bult, versprach, daß zur Nacht etwas frei würde. Er hob Jacobs Tasche bei sich auf.

Dann zogen die beiden Freunde los, um amerikanisches Geld einzuwechseln und um sich das Schiff anzusehen, auf dem sie viele Wochen verbringen würden.

*

Die ALBANY, die am äußersten Hafenrand lag, wo vornehmlich die Schiffe kleiner Eigner ankerten, ähnelte der ELSA so sehr, daß sie fast ein Schwesterschiff von ihr hätte sein können. Die schlanke Bark hatte eine Länge von etwa neunzig Fuß, während die größte Breite nicht einmal ein Drittel davon betrug. Jacob wunderte sich, wie Hunderte von Menschen es auf einem so verhältnismäßig kleinen Schiff viele Wochen zusammen aushalten konnten.

Auch auf dem Kai um die ALBANY herum hatte sich eine unübersehbare Menschenmenge versammelt. Anders als beim Auslaufen der ELSA herrschte hier aber kein Trubel, keine laute Ausgelassenheit. Die Rufe, die an die Ohren der beiden Freunde drangen, klangen wütend und enthielten Drohungen gegen den Kapitän des Schiffes. Es waren meist Männer, die sich in Beschimpfungen ergingen. Viele Frauen saßen oder lagen mit ihren Kindern inmitten großer Gepäckhaufen auf dem Kai und blickten völlig apathisch drein.

Vom Schiff klangen ebenfalls laute Geräusche herüber, wie vom Sägen, Hobeln und Hämmern. An der Reling standen ein paar mit Karabinern bewaffnete Seeleute und hielten die aufgebrachte Menge augenscheinlich davon ab, die ALBANY zu stürmen.

Die Menschenmenge war so groß, daß Jacob und Martin nicht einmal in die Nähe des Schiffes gelangten. Sie blieben neben einem alten Seebären stehen, der genüßlich eine klobige Pfeife schmauchte und sich das Schauspiel ansah.

»Grundgütiger«, entfuhr es Martin. »Was ist denn hier los? Haben es die Menschen so eilig, an Bord zu kommen?«

»Genau das ist der Grund für den Trubel«, erklärte der Alte in einem stark amerikanisch gefärbten Deutsch. »Einige der Menschen dort haben nämlich keinen Pfennig mehr in der Tasche und wissen nicht, wo sie die nächste Nacht verbringen und wo sie etwas zu beißen herbekommen sollen. Sie geben Käpten Haskin die Schuld, und das nicht zu Unrecht.«

»Das verstehe ich nicht«, sagten Jacob und Martin fast gleichzeitig.

»Was gibt's daran nicht zu verstehen?« fragte der Seemann zwischen zwei Zügen an seiner Pfeife. »Der Käpten läßt die Leute nicht an Bord, weil das Schiff noch umgebaut wird. Er hat zu lange damit gewartet, weil sein Zimmermann mal wieder volltrunken war. Deshalb hat er noch keinen Platz für die Passagiere. Außerdem müßte er ihnen die Verpflegung bezahlen, sobald sie an Bord sind. Aber Käpten Haskin ist ein ziemlich knauseriger Mann.«