Выбрать главу

Nein, es war das beste, am Hafen zu bleiben. Vielleicht fand er doch noch eine Möglichkeit, auf die ALBANY zu kommen, bevor sie morgen den Anker lichtete.

Bei dem Lagerhaus waren eine Menge Kisten und Fässer gestapelt, die man im Innern wohl nicht mehr untergebracht hatte. Jacob stellte ein paar Kisten so um, daß sie eine Höhle bildeten, die ihn gegen den Wind und neugierige Blicke schützte. Er kletterte hinein und bereitete sich innen ein notdürftiges Nachtlager. Von hier aus hatte er die ALBANY gut im Blick.

Als das Schiff mit aufgeblähten Segeln hinaus aufs offene

Meer segelte, war das der Traum, mit dem Jacob einschlief.

*

Die Auslaufvorbereitungen der ALBANY weckten ihn früh am nächsten Morgen. Als erstes schaute er nach den Polizisten und stellte fest, daß noch immer zwei bewaffnete Uniformierte vor der Bark auf Posten standen. Seine Hoffnung, mit dem Schiff hinüber nach New York zu segeln, schwand dahin, je mehr Stunden vergingen.

Immer lebhafter wurde das Treiben am Kai, ähnlich dem beim Auslaufen der ELSA am Vortag, als die Auswandererströme an Bord der ALBANY flossen. Es ging langsam voran, weil jeder nicht nur von der Besatzung, sondern zuvor auch von den Hütern des Gesetzes kontrolliert wurde. Als die Habe der Auswanderer verladen wurde, wiesen die Polizisten die Schiffsbesatzung an, auch die Fracht daraufhin zu untersuchen, ob Jacob sich zwischen ihr verstecke.

Jacobs Herz schlug schneller, als er die kräftige Gestalt und das rotblonde Haar seines Freundes entdeckte. Martin Bauer ging dicht genug an seinem Versteck vorüber, daß er es wagte, seinen Namen zu rufen.

Nach dem zweiten Ruf blieb der Bauernsohn, der einen großen Rucksack geschultert hatte, verwirrt stehen und schaute sich in alle Richtungen um. Als er niemanden sah, von dem die Rufe hätten stammen können, wollte er weitergehen.

»Bleib, Martin!« zischte Jacob. Sein Freund hielt erneut an und fuhr mit der Hand über sein Gesicht, als wolle er prüfen, ob er an Fieber leide.

»Geh in die Gasse vor dir, Martin!«

Zögernd setzte der junge Mann einen Fuß vor.

»Gut so, weiter!« verlangte die scheinbar aus dem Nichts kommende Stimme.

Langsam ging Martin auf Jacobs Versteck zu, bis er direkt vor der Öffnung der Höhle stand. Noch immer sah er den geheimnisvollen Rufer nicht.

Vorsichtig streckte Jacob seinen Kopf nach draußen. »Hier bin ich.«

»Jacob!« entfuhr es Martin. »Wie kommst du.«

»Leise!« flüsterte Jacob und legte einen Zeigefinger vor seine Lippen. »Bei der ALBANY halten zwei Polizisten Wache. Komm herein zu mir.«

Martin folgte der Aufforderung und kletterte in die Kistenhöhle, in die jetzt kein Kleinkind mehr gepaßt hätte.

»Ich hätte nicht gedacht, dich noch einmal wiederzusehen«, sagte der Mann mit dem runden Sommersprossengesicht. »Nicht, nachdem mich die Polizei in der letzten Nacht aus dem Bett geholt und über dich ausgefragt hat.«

»Was hast du denen erzählt?«

»Gar nichts. Du seist eine Zufallsbekanntschaft, was ja auch stimmt. Wie haben sie dich gefunden?«

Jacob erzählte von Bult und Schulz und seiner Flucht aus der Scheune.

»Aber es war wohl alles umsonst«, schloß er niedergeschlagen. »Ich bin so dicht am Schiff und komme doch nicht hinauf.«

»Und wenn du wartest, bis sich die Wogen geglättet haben, Jacob? Dann könntest du eine andere Passage buchen.«

»Dazu reicht mein Geld nicht.«

»Meins leider auch nicht, sonst würde ich dir aushelfen.«

Jacob sah ihn gefaßt an. »Wir sollten uns jetzt verabschieden, Martin. Sieh zu, daß du an Bord kommst. Ich wünsche dir eine gute Reise und alles Glück da drüben, das du benötigst.«

Martin blickte böse zurück. »Glaubst du etwa, ich fahre ohne dich? Was nützt einem ein Freund, wenn der einen in der Not allein läßt?«

»Aber hierzubleiben wäre Wahnsinn! Du hast selbst gesagt, daß dein Geld für eine zweite Passage nicht reicht.«

»Wer redet denn von hierbleiben? Ich will mit der ALBANY nach New York segeln, aber in deiner Begleitung.«

»Wie denn?«

»Ich hab' da so eine Idee«, brummte Martin und legte seinen Rucksack ab. »Paß auf mein Zeug auf, bis ich wieder da bin.«

Er kletterte aus dem Versteck und ließ einen verwirrten Jacob Adler in der kleinen Höhle zurück.

Es dauerte nicht lange, und Martin war wieder da, ein Kleiderbündel über dem Arm. Als er Jacob seinen Plan auseinandersetzte, wurden dessen Augen vor Unglauben immer größer.

»Das haut niemals hin«, sagte der Zimmermann kopfschüttelnd. »Wir werden erwischt, und du machst dich mitschuldig. Damit hat sich die Überfahrt dann auch für dich erledigt, Martin.«

»Wir dürfen eben nicht erwischt werden!«

*

Zehn Minuten später mischte sich ein ungleiches Paar unter die Auswanderer, die der ALBANY zuströmten. Ein kräftiger rotblonder Jüngling, der an einem großen Rucksack und einer vollgepackten Umhängetasche aus Leder schwer zu tragen hatte, und eine alte Frau, in schwarze Gewänder gehüllt, die gebückt neben ihm ging, sich an seinem Arm festhielt und in kurzen Abständen laut hüstelte. Die beiden reihten sich in die Schlange der Wartenden ein, bis sie an die Polizisten gelangten.

»Name?« fragte einer der Uniformierten und starrte in Martins Gesicht.

»Martin Bauer.«

»Und die Frau?«

»Meine Mutter.«

Der Polizist schaute skeptisch auf die gekrümmte Gestalt und versuchte, hinter all den Tüchern ein Gesicht zu erkennen. Als er seinen Kopf dicht vor das verhüllte Antlitz hielt, brach die alte Frau in einen gewaltigen Hustenanfall aus, der dem Ordnungshüter feuchten Auswurf in die Visage schleuderte.

»Passieren!« knurrte er angewidert und rieb mehrmals mit dem Ärmel über sein Gesicht.

Der Jüngling und die Alte gingen über den wackligen Steg an Bord, wo ein Maat mit einer Namensliste in der Begleitung von zwei Matrosen wartete. Auch er fragte nach den Namen der Ankommenden.

»Martin Bauer«, lautete erneut die Antwort des Rotblonden.

»Und Sie?« fragte der Maat die verhüllte Person.

»Das ist meine Mutter.«

Der Maat durchforstete seine Liste und schüttelte dann den Kopf. »Sonst haben wir niemanden mit dem Namen Bauer.«

»Meine Mutter will ja nicht mitfahren. Ich will ihr nur das Schiff zeigen.«

»Tut mir leid, das ist nicht gestattet.«

Die Frau schluchzte auf.

»Ich bin ihr einziger Sohn«, sagte Martin. »Mein Vater starb vor einem halben Jahr. Jetzt verlasse ich sie auch noch. Sie will doch nur sehen, wie ich untergebracht bin. Wenn sie sieht, daß es mir gutgeht, ist sie beruhigt.«

»Also gut. Aber nur für fünf Minuten.«

Martin bedankte sich und ging mit seiner »Mutter« rasch weiter, ehe es sich der Seemann anders überlegte. Als sie ihn hinter sich gelassen hatten, schlenderten sie langsam über das bevölkerte Deck, als würden sie sich alles genau ansehen.

Vor dem Ruderboot, das mit dem Kiel nach oben auf der Steuerbordseite zwischen Fockmast und Großmast auf dem Deck befestigt war, blieben sie stehen. Martin setzte das Gepäck ab, als brauche er eine Verschnaufpause.

Die »Frau« ließ sich mit seiner Hilfe auf der Ledertasche nieder, um sich auszuruhen. Doch in einem unbeobachteten Augenblick kroch sie mit einer für ihr Alter unglaublichen Geschwindigkeit unter das Ruderboot und zog die Ledertasche nach sich.

Martin nahm seinen Rucksack auf und strebte dem Eingang zum Zwischendeck zu, um sein Quartier zu beziehen.

»He, junger Mann!« erwischte ihn eine knarrende Stimme im Rücken.