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Jacob gehörte nicht zu den Menschen, die keinen Schritt taten, den sie nicht vorher im Zwiegespräch mit ihrem Schöpfer erörtert hatten. Wenn es sein mußte, setzte er seine kräftigen Fäuste ein, um sich zu verteidigen. Aber ein menschliches Leben bedrohen, noch dazu grundlos, war nicht richtig, dessen war er sich sicher. Er bereute zutiefst, sich auf das Pistolenduell eingelassen zu haben.

Bertram Arning erwartete ihn bereits am Weiher und stand mit zwei Begleitern vor einem Landauer mit hochgeklapptem Verdeck, dessen Zugpferde, zwei schlanke Braune, friedlich grasten. Alle drei Männer trugen dunkle Röcke und Hosen sowie schwarze Zylinder und sahen damit aus wie Todesengel, die nur darauf warteten, ihre Flügel auszubreiten und sich auf Jacob zu stürzen.

Der Größere von Arnings Begleitern, der einen Spitzbart und ein Monokel trug, war Ansbert von Waiden, dessen Vater, dem Grafen von Waiden, der meiste Grundbesitz in und um Elbstedt gehörte. Sein Gefährte, der ihm nur bis an die Schulter reichte und ein glattes, rundes Gesicht besaß, hieß Peter Jensen und war seit dem Tod seines Vaters der Inhaber des örtlichen Fuhrunternehmens. Sie und der Sohn des Bierkönigs hatten schon immer so eng zusammengehockt wie die alte Kaisergarde in den letzten Stunden der Schlacht bei Waterloo.

Arning zog eine goldene Taschenuhr aus der Westentasche und warf einen langen Blick aufs Zifferblatt, bevor er den jungen Zimmermann ansah. »Ich dachte schon, du wolltest unsere Verabredung nicht einhalten, Adler.«

Jacob, der wenige Schritte vor den dreien anhielt, brauchte keine Uhr, um zu wissen, daß er sich nicht verspätet hatte. Der Stand der Sonne zeigte ihm die Zeit genau genug an. »Eine Stunde vor Sonnenuntergang war ausgemacht, und daran habe ich mich gehalten.«

»Hätte ja sein können, daß du dich um das Duell drücken wolltest. Oder willst du das etwa tatsächlich? Ich sehe keine Sekundanten bei dir.«

»Die brauche ich nicht. Ich halte dieses Duell für einen groben Unfug, den wir uns aus dem Kopf schlagen sollten.«

Arning sah entrüstet aus. »Grober Unfug, sagst du? Die Wiederherstellung meiner Ehre soll grober Unfug sein?« Er wandte sich an seine Begleiter. »Was meint ihr dazu?«

»Mir scheint, der junge Adler will sich drücken«, meinte Jensen hochnäsig. Er fühlte sich immer stark, wenn seine Freunde in der Nähe waren, aber auch nur dann.

»Der Bursche ist vielleicht gar nicht satisfaktionsfähig«, sagte von Waiden.

»Das scheint mir fast auch so«, pflichtete Arning ihm breit grinsend bei. »Genau so ein Hasenfuß wie sein Vater, der mit Sack und Pack verschwindet, statt sich den Schwierigkeiten zu stellen. Wahrscheinlich hatte der alte Adler Angst, daß noch mehr Ansprüche wegen der Sache in Langholz an ihn gestellt werden. Da hat er sich lieber klammheimlich aus dem Staub gemacht.«

»Das ist eine Lüge!« fuhr Jacob ihn an. »Mein Vater mußte gehen, weil Sie und Ihr Vater ihm alles genommen haben!«

»Was soll das heißen?«

»Ich weiß es nicht genau, aber irgendwie hängen Sie in der Langholzer Sache drin, Arning!«

Wieder zauberte der Sohn des Bierkönigs den Ausdruck der Entrüstung auf sein Gesicht, während er seine Begleiter ansah. »Hört ihr, wie ich fortwährend beleidigt werde? Das verlangt Genugtuung, sofort! Wenn du kein Feigling bist, Adler, dann stell dich dem Duell!«

»Wie Sie wollen«, knurrte Jacob, ohne sich dabei wohl zu fühlen. Er spürte, daß Arning genau das von ihm hören wollte. Aber was hätte er sonst tun sollen?

Etwa fortlaufen? Das lag nicht in seiner Natur. Außerdem hatten Arnings Worte in ihm den Wunsch geweckt, den anderen zu bestrafen, wenn ihm sein gesunder Menschenverstand auch sagte, daß er gegen den Unternehmersohn keine Chance hatte. Da kam ihm ein Gedanke.

»Wir brauchen keine Pistolen, um das zu regeln«, schlug Jacob vor. »Nehmen wir einfach unsere Fäuste. Sie sind die natürlichsten Waffen.«

Die drei Dunkelgekleideten starrten ihn an, als sei er völlig von Sinnen.

»Mich schlagen wie der Pöbel?« rief Arning. »Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein.«

»Als Sie im Lagerhaus Ihre Schläger auf mich gehetzt haben, hatten Sie solche Bedenken nicht.«

»Diese verleumderische Behauptung ist eine weitere Beleidigung!« ereiferte sich Arning. »Was ist jetzt, Adler, willst du das vereinbarte Duell austragen? Oder willst du dich still und heimlich verkrümeln wie dein Vater?«

»Ein Adler läuft nicht davon!« sagte Jacob mit vorgerecktem Kinn.

»Dann stelle ich dir einen meiner Sekundanten zur Verfügung. Muß halt jeder mit einem auskommen. Für wen entscheidest du dich?«

»Das ist mir gleich.«

Arning teilte ihm den rundgesichtigen Fuhrunternehmer zu und sagte zu diesem: »Hol die Waffen aus dem Wagen.« Sein Kopf ruckte zu Jacob. »Oder hast du eine eigene Pistole mitgebracht?«

»Ich besitze keine Pistole.«

»Das dachte ich mir«, meinte der Sohn des Bierkönigs, während Jensen zum Landauer ging und einen länglichen Kasten herausholte. »Da ich mehrfach von dir schwer beleidigt wurde, Adler, bestimme ich nicht nur die Art, sondern auch die Regeln des Duells. Jede Pistole hat nur einen Schuß. Mehr

Werde ich auch nicht benötigen, um dich zu erledigen. Wir werden uns mit erhobenen Waffen auf einer Distanz von zwölf Schritt gegenüberstehen. Auf Kommando senken beide gleichzeitig die Waffen und schießen, ohne ihre Position zu verlassen. Wer seinen Platz verläßt oder verfrüht schießt, fängt sich eine Kugel der Sekundanten ein. Die Schützen stehen sich frontal gegenüber; es ist verboten, den Körper zur Seite zu drehen oder durch Ducken oder sonstwie der Kugel auszuweichen zu versuchen.«

Soweit Jacob über Pistolenduelle Bescheid wußte, war es allgemein üblich, dem Gegner die Seite zuzuwenden, um ihm ein kleineres Ziel zu bieten und um die eigenen wichtigen Organe zu schützen. Warum wich Arning von dieser Regel ab? Wahrscheinlich war er sich seiner Überlegenheit so sicher, daß er gar nicht damit rechnete, Jacob könne auf ihn schießen. Der Unternehmersohn würde zuerst feuern und wollte seinen Kontrahenten, der ihm ein breites Ziel bot, möglichst schwer verletzen.

Jensen war zurückgekehrt und öffnete den Kasten aus teurem Walnußholz. Er war innen mit blauem Samt ausgeschlagen und beherbergte zwei Duellpistolen samt den dazugehörigen Utensilien. Die mattbraunen Waffen waren nur sehr dezent verziert, um die Schützen beim Zielen nicht abzulenken.

»Hervorragende Waffen aus der Sammlung meines Vaters«, erklärte Arning. »Der berühmte Büchsenmacher Gottscholl in Hannover hat sie angefertigt. Da ich die Pistolen stelle, überlasse ich dir die Auswahl, Adler.«

»Diese hier«, sagte Jacob und zeigte auf eine Waffe, die sich in seinen ungeübten Augen in nichts von der anderen unterschied.

Jeder Sekundant lud die Waffe seines Duellanten vor aller Augen.

»Hast du einen Wunsch, wer den Kampf leiten soll, von Waiden oder Jensen?« fragte Arning.

Jacob schüttelte den Kopf.

Arning sah den schlanken Adligen an. »Dann übernimm du das, Ansbert. Du hast die größere Erfahrung.«

Von Waiden nickte stumm, maß dann dreimal die Schußdistanz ab und markierte die Positionen der Duellanten mit faustgroßen Steinen, hinter denen sie Aufstellung zu nehmen hatten. Er hatte die Plätze so gewählt, daß die Gegner seitlich zur Sonne standen und nicht von ihren letzten Strahlen geblendet wurden.

Die Sekundanten halfen Arning und Jacob beim Entkleiden, bis jeder nur noch das Hemd und die Leibwäsche auf dem Oberkörper trug. Dann fühlte von Waiden bei Jacob nach, ob dieser auch keinen Schutz gegen die Kugel unter sein Hemd geschoben hatte, während Jensen diese Aufgabe bei Arning übernahm.

Jacob fragte sich, ob der Fuhrunternehmer etwas sagen würde, sollte er bei seinem Freund solch einen unerlaubten Panzer entdecken. Jensen sagte nichts, und auch Jacob schwieg über seine Bedenken, ob das Duell ordnungsgemäß abgewickelt wurde. Er wollte es endlich hinter sich bringen.