Geary versuchte nachdenklich dreinzuschauen. »Vielen Dank, Captain. Das ist eine interessante Möglichkeit. Ich danke Ihnen, dass Sie sie zur Sprache gebracht haben.«
Von wegen! Ich wünschte, du hättest die Klappe gehalten! Vergebt mir meine Lüge, Vorfahren, aber sie dient nicht mir, sondern sie soll nach Möglichkeit unzählige Menschenleben retten.
Er schaute einen Augenblick lang nach unten und dachte darüber nach, wie sich Cresida und Tulev eingemischt hatten, um die Idee abzuschmettern, die Hypernet-Portale als Waffen zu benutzen. Cresida wusste davon, weil jene Algorithmen von ihr entwickelt worden waren, die das Hypernet-Portal von Sancere davon abgehalten hatten, eine Explosion von der Stärke einer Nova herbeizuführen. Aber Tulev wusste davon nichts. Oder etwa doch? Gab es eine Gruppe von Offizieren, denen bekannt war, dass man die Portale dazu benutzen konnte, die gesamte menschliche Rasse auszulöschen? Waren sie entschlossen, Geary dabei zu helfen, dieses Wissen so lange wie möglich totzuschweigen?
Was würden sie auf lange Sicht mit diesem Wissen anfangen, wenn sie zu der Ansicht gelangten, dass Geary sie nicht angemessen nutzte?
Er musste weitermachen und ein anderes Thema anschneiden, um die anwesenden Offiziere abzulenken. Zum Glück hatte er eines zur Hand, das sie alle garantiert auf andere Gedanken brachte. »Ich habe nachgedacht, wie unsere nächsten Schritte aussehen sollen. Wie Sie alle wissen, hatte ich vorgehabt, die Flotte nach Wendaya zu bringen. Das habe ich mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen.«
Am virtuellen Tisch entstand eine gewisse Unruhe und als Geary in die Gesichter seiner untergebenen Offiziere blickte, da gefiel ihm nicht, was er zu sehen bekam. Niemand ließ auch nur einen Hauch von Begeisterung erkennen, nicht einmal diejenigen, die er zu seinen engsten Befürwortern zählte. Lediglich Captain Casia meldete sich zu Wort: »Wir sind dem Allianz-Gebiet kaum näher als an dem Tag, als wir aus dem Heimatsystem der Syndiks flohen.«
»Ich habe diese Flotte nicht ins Syndik-Heimatsystem geführt«, betonte Geary. »Der Weg nach Hause ist lang, daran kann ich auch nichts ändern.« Er hielt inne und versuchte wieder, die Reaktionen der anderen einzuschätzen. Zu viele Offiziere betrachteten mit resignierter oder besorgter Miene das Sternendisplay. »Aber wir werden etwas anderes versuchen müssen. Bislang haben wir es vermieden, auf geradem Weg nach Hause zu fliegen, um einen Bogen um mögliche Fallen der Syndiks zu machen. Allerdings werden die Syndiks diese Taktik allmählich durchschauen.«
Jetzt war ihm die Aufmerksamkeit aller Offiziere gewiss, doch Casia machte eine Handbewegung auf das Display zu und sagte: »Wir werden sicher nicht schon wieder den Rückzug antreten, oder etwa doch?«
Die Frage war so perfekt formuliert, dass Geary überlegte, ob Casia sie sich ausgedacht hatte oder ob sie ihm von einem fähigeren Offizier in den Mund gelegt worden war. Es war exakt die Art von Formulierung, die jedem von Geary vorgeschlagenen Plan den Boden unter den Füßen wegziehen sollte.
Aber wie es schien, hatte er seine Widersacher innerhalb der Flotte einmal mehr überlisten können. »Nein«, antwortete er und warf Casia einen eisigen Blick zu. »Ich beabsichtige, einen Vorstoß in Richtung Allianz-Gebiet zu machen und zu sehen, wie weit wir kommen können, bis die Syndiks unsere Absicht durchschauen und wieder versuchen, die Schlinge um unseren Hals zuzuziehen. Ausgehend von der Annahme, dass die Syndiks genau das nicht von uns erwarten, sollten wir uns unserer Heimat ein deutliches Stück nähern.«
Die Mienen zahlreicher Anwesender hellten sich bei diesen Worten auf, doch Geary entging nicht, dass Duellos, Tulev und Cresida ihn mit Skepsis betrachteten, als seien sie besorgt, er könnte vor Casia kapituliert haben. Offenbar konnte er es einfach nicht jedem seiner Offiziere recht machen.
Andererseits gehörte es auch nicht zu seinen Aufgaben, es allen recht zu machen.
Geary zeigte auf das Display. »Anstatt nach Wendaya zu springen, begeben wir uns nach Sendai, danach geradewegs weiter nach Daiquon, und wenn dann alles ordentlich aussieht, ist Ixion unser nächstes Ziel.« Helle Linien tauchten im Display auf und bildeten zusammen eine leicht gekrümmte Linie, die in Richtung Allianz-Gebiet führte.
»Das bringt uns fast ein Drittel auf unserem restlichen Heimweg voran!«, stellte Commander Neeson fest.
»Ganz sicher werden die Syndiks unseren Kurs durchschaut haben, noch bevor wir Ixion erreichen«, wandte Captain Mosko vom Schlachtschiff Defiant besorgt ein.
»Das glaube ich auch«, stimmte Captain Tulev ihm zu. »Captain Geary, verstehe ich das richtig, dass wir in jedem Sternensystem erst einmal die Situation neu bewerten, bevor wir ins nächste System springen?«
»Das ist richtig«, bestätigte Geary. »Ich gehe davon aus, dass die Syndiks merken werden, dass wir zu einer anderen Taktik gegriffen haben, um nach Hause zu kommen. Wenn das geschieht, werden sie in der Lage sein, mit Hilfe des Hypernet-Systems ihre Streitkräfte schneller zu verlegen, als wir uns von der Stelle bewegen können, sodass es ihnen möglich sein wird, Blockaden zu errichten. Aber ich glaube, unsere Chancen stehen gut, Daiquon zu erreichen, ohne dabei auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Und wir könnten eine passable Chance haben, es nach Ixion zu schaffen.«
Er schien ihr Interesse geweckt zu haben. Für einen Moment verspürte er Wut, dass er diese Leute von seinen Plänen erst überzeugen musste, anstatt ihnen einfach sagen zu können, was sie zu tun hatten. Es war schließlich nicht so, als hätte er sich einen Fehler nach dem anderen geleistet, seit er gegen seinen Willen das Kommando über diese Flotte übernommen hatte. Doch wie es schien, musste er den Zweiflern jeden Tag aufs Neue belegen, dass er wusste, was er tat. »Wir nutzen die Zeiten im Sprungraum, um die Hilfsschiffe mehr Brennstoffzellen und Munition produzieren zu lassen, und wenn wir Sendai und Daiquon durchqueren, können die an die anderen Schiffe verteilt werden. Wenn wir es bis Ixion schaffen, möchte ich, dass wir auf alles gefasst sind.«
Captain Casia machte unverändert eine skeptische Miene. »Und nach Ixion? Werden wir dann weiter in Richtung Allianz fliegen?«
Geary musste sich gegen den dringenden Wunsch zur Wehr setzen, Casia den Hals umzudrehen. Zum Glück brachte ihn schon das geistige Bild zur Ruhe, das ihm zeigte, wie Casias Gesicht rot anlief, während er ihm die Kehle zudrückte, sodass er schließlich in ruhigem Tonfall erwiderte: »Der Kurs dieser Flotte führt letztlich in jedem Fall in Richtung Allianz. Aber ich plane nicht vier Sternensysteme im Voraus. Wenn wir Ixion erreichen, werden wir auf jeden Fall in Erwägung ziehen müssen, wie die Syndiks bis dahin reagiert haben.«
»Wenn wir weiterhin die Initiative in unserer Hand behalten…«
»Die Syndiks können sich schneller von A nach B begeben als wir, Captain Casia. Sie verfügen anders als wir über den Vorteil, das Hypernet nutzen zu können.« Warum musste er etwas so Selbstverständliches überhaupt noch erklären?
Commander Yin meldete sich wieder zu Wort, als sei sie durch irgendetwas dazu ermuntert worden, das Geary entgangen war. »Die Rückkehr dieser Flotte ins Allianz-Territorium ist von entscheidender Bedeutung für diesen Krieg«, verkündete sie, als gebe sie eine Erkenntnis von ungeheurer Tragweite zum Besten.
»Wenn diese Flotte nicht lebend das Allianz-Territorium erreicht«, meinte Captain Duellos gedehnt, »dann ist sie für den Krieg von keinerlei Bedeutung mehr.«
»Wir kämpfen auf dem Heimflug«, fügte Captain Desjani hinzu und sah Yin zornig an. »Wo wir auf unserem Weg auch auftauchen, fügen wir den Syndiks Schaden und Verluste zu.«
Anstatt etwas darauf zu entgegnen, zog Commander Yin nur einen Mundwinkel hoch und sah Desjani an, als habe die etwas Lustiges erwähnt. Desjani hatte diesen Gesichtsausdruck ebenfalls gesehen, woraufhin sich ihre Miene verhärtete. Bevor sie jedoch noch etwas sagen konnte, meldete sich Captain Tulev zu Wort: »Außerdem sorgen wir dafür, dass der größte Teil der Syndik-Flotte mit der Suche nach uns beschäftigt ist. Unsere Abwesenheit können sie nicht nutzen, um die Allianz anzugreifen, da sie fast ihre sämtlichen Ressourcen darauf ausgerichtet haben, uns zu jagen.«