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Rüstungsindustrie, sogar auf einem Planeten wie Kosatka, der so weit von der Front entfernt lag. Aber was sollte man nach einem Jahrhundert Krieg auch anderes erwarten? »Was sagen Ihre Eltern dazu, dass Sie Captain eines Schlachtkreuzers sind?«

Captain Tanya Desjani, die durch Dutzende von Raumschlachten abgehärtet worden war, errötete bei seiner Frage tatsächlich und schaute rasch zur Seite. »Sie… sie sind stolz. Sehr stolz.« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. »Sie kannten die Risiken, die man als Offizier der Flotte in Kauf nimmt. Ich bin mir sicher, sie rechnen schon seit meinem ersten Schiff täglich damit, eine Benachrichtigung zu erhalten, dass ich im Gefecht gefallen bin. Bislang habe ich dem Tod ein Schnippchen schlagen und sie vor dieser Nachricht bewahren können. Aber es kann gut sein, dass sie mich jetzt für tot halten… so wie den Rest der Flotte.«

Das veranlasste Geary dazu, das Gesicht zu verziehen. »Das wird die Allianz-Regierung der Bevölkerung doch bestimmt nicht gesagt haben. Es ist zwar nicht so, als hätten die Menschen kein Recht, die Wahrheit zu erfahren, aber Regierungen neigen doch zu der Ansicht, dass es ihr gutes Recht ist, anstelle der Wahrheit Lügen zu erzählen.« Kurz nachdem er das Kommando über die Flotte übernommen hatte, war er auf die Idee gekommen, sich die offizielle Geschichte des Krieges zu Gemüte zu führen. Dabei war deutlich geworden, dass diese Chronik ein gnadenlos positives Bild zeichnete und von den angeblichen Siegen der Allianz über die Syndiks berichtete. Unbeantwortet blieb bei alledem die Frage, wieso diese vielen Siege nicht längst dazu geführt hatten, dass die Allianz den Krieg gewann. Das Ganze war dem Unsinn erschreckend ähnlich gewesen, den er zuletzt von dem gefangen genommenen Captain des Handelsschiffs zu hören bekommen hatte. Eine Regierung, die die Geschichte so zurechtbog, wie sie ihr am geeignetsten erschien, würde nicht so schnell eingestehen, dass ihre Hauptflotte hinter den feindlichen Linien verschwunden und sehr wahrscheinlich komplett ausgelöscht worden war.

»Sicher«, stimmte Desjani ihm zu. »Aber die Propagandasender der Syndiks hätten diese Meldung längst verbreitet. Sie lassen vollautomatische Sendereinheiten in angrenzende Sternensysteme springen, damit sie dort ihre Lügen so lange verbreiten, bis sie von unseren Verteidigungseinheiten zerstört werden.«

Geary nickte und konnte sich gut vorstellen, dass die Allianz umgekehrt genau die gleiche Taktik anwandte, um die Syndiks ihrerseits mit Propaganda zu beschallen.

»Offiziell«, fuhr Desjani fort, »soll niemand wiederholen, was er von den Syndiks zu hören bekommt. Aber es spricht sich dennoch herum. Im Gegensatz zu den Syndiks können die Bürger der Allianz immer noch frei ihre Meinung äußern, und sie glauben auch nicht alles, was Politiker erzählen.« Sie zuckte mit den Schultern und machte eine düstere Miene. »Meine Eltern haben bestimmt gehört, dass die Syndiks behaupten, unsere Flotte sei tief in ihrem Territorium aufgerieben worden. Den Syndiks werden sie nicht glauben, aber offizielle Dementis der Allianz-Regierung werden für sie auch kein Trost sein. Sie sind zweifellos besorgt um mich.«

»Das tut mir leid.« Die Worte waren eigentlich zu wenig für das, was Geary ausdrücken wollte, doch in diesem Moment wollte ihm einfach nichts Angemesseneres einfallen. »Dann werden sie sicher umso erfreuter sein, wenn Sie nach Hause kommen.«

Desjani grinste breit. »Oh ja, das werden sie.« Dann warf sie ihm einen fast schüchternen Blick zu. »Und wenn sich auf meiner Heimatwelt herumspricht, dass Black Jack Geary an Bord meines Schiffs war, dass er die Flotte von meiner Brücke aus befehligt hatte, während er uns gegen jede Chance nach Hause führte, dann werden sie die berühmtesten Menschen auf ganz Kosatka sein. Davon bin ich überzeugt.«

Geary lachte, um seine Verlegenheit zu überspielen. »Ich habe mit dem Gedanken gespielt, nach unserer Rückkehr nach Kosatka zu reisen.« Ihm fiel ein, was Victoria Rione einmal zu ihm gesagt hatte: Kosatka ist nicht Ihre Bestimmung, Captain Geary. »Um diese Welt zu besuchen«, schob er erklärend nach.

»Tatsächlich?« Desjani war beeindruckt.

»Ich sagte Ihnen ja, dass ich mal dort gewesen bin. Vor langer Zeit.« Geary hielt sich davon ab, sich mit der flachen Hand gegen die Stirn zu schlagen, weil er solchen Unsinn redete. In seinem Leben gab es kaum etwas, das nicht unter die Rubrik »Vor langer Zeit« fiel. »Ich hätte nichts dagegen, dort noch einmal hinzureisen.«

»Seit damals dürfte sich viel verändert haben, Sir.«

»Ja, ich schätze, ich werde einen Fremdenführer benötigen.«

Desjani zögerte. »Wir könnten… Ich meine… Wenn Sie mitkommen wollen, wenn ich… Also ich meine…«

»Das klingt gut«, gab er zurück. »Vielleicht werde ich darauf zurückkommen.« Ein vertrautes Gesicht an seiner Seite zu haben, wäre sicher nicht verkehrt. Und er hatte bereits überlegt, wie er sich wohl fühlen würde, wenn er diese Flotte nach Hause gebracht und sie verlassen hatte, nachdem er seiner Pflicht und noch einigem mehr nachgekommen war. Denn das, was zunächst eine Ansammlung seltsamer Schiffe und fremder Menschen war, wandelte sich zusehends zu etwas, das er als seine Flotte bezeichnen konnte. Bevölkert wurde sie von Menschen, die er inzwischen kannte und in einigen Fällen mochte und bewunderte. Nachdem er gesehen hatte, wie die Crews der Dauntless, Daring und Diamond nicht von der Stelle wichen, als das Hypernet-Portal bei Sancere kollabierte, da hatten der Mut und die Hingabe dieser Matrosen bei Geary Stolz und Bewunderung erwachen lassen. Wollte er das tatsächlich eintauschen gegen ein Leben auf einer zivilen Welt, wo er noch schwieriger der Anbetung entkommen würde, die Black Jack Geary bei den Menschen auslöste?

Sollte er sich überhaupt solche Fragen stellen? Nach der Rückkehr ins Allianzgebiet würde er das Kommando über diese Flotte nicht behalten können. Da war nicht nur das Problem, dass er sich den Anforderungen an diese Position nicht gewachsen fühlte. Er fürchtete auch, Victoria Rione könnte recht behalten, was die Versuchungen anging, mit denen er sich dann konfrontiert sehen würde. Black Jack Geary, der mythische Held, auferstanden von den Toten, um die Allianz zu retten, die Flotte unter seinem Kommando. Ganz gleich, was er haben wollte, er würde es bekommen. Er musste nur die Hand ausstrecken und zugreifen.

»Sir?«, fragte Desjani und betrachtete ihn rätselnd. »Habe ich etwas Verkehrtes gesagt?«

»Was? Oh, nein. Das tut mir leid. Ich musste nur gerade an etwas denken.« Er lächelte sie aufmunternd an. »Kommen Sie, wir gehen auf die Brücke und bereiten uns darauf vor, von Sendai Abschied zu nehmen.«

Jeder auf der Brücke vermied es ganz bewusst, auf das Display zu sehen, auf dem das Schwarze Loch alles dominierte. Als Geary dazukam, fiel ihm auf, dass von allen Seiten Blicke auf ihn gerichtet waren, in denen sich Hoffnung und Vertrauen vermischten. So wie Desjani, hielten auch sie ihn offenbar für eine Art Talisman, der sie vor dem Dämon im Inneren des Schwarzen Lochs beschützen konnte.

Zu schade, dass er keinen Talisman hatte.

Noch eineinhalb Stunden, bis die Flotte den Sprungpunkt erreichte. Geary nahm sich einen Moment Zeit, um seine Gedanken zu ordnen, dann tippte er auf die Kontrollen, damit er sich an die ganze Flotte wenden konnte. Sobald sie sich im Sprungraum befanden, würde die Kommunikation von Schiff zu Schiff nur noch eingeschränkt möglich sein, da Nachrichten dann lediglich ein paar Worte umfassen konnten. Aber es waren mehr als nur ein paar Worte, die Geary an die Flotte richten wollte, also musste er das tun, solange sie sich noch im Normalraum befanden — sofern man den Raum in der unmittelbaren Nähe eines Schwarzen Lochs als normal bezeichnen konnte.

»An alle Schiffe der Allianz-Flotte, hier spricht Captain Geary«, begann er in bewusst ruhigem Tonfall. »Wir wissen nicht, was uns in Daiquon erwartet. Die Syndiks haben nicht damit gerechnet, dass wir nach Sendai kommen würden, aber mittlerweile dürften sie wissen, dass wir keines der anderen Systeme angeflogen haben, die von Baldur aus erreicht werden konnten. Es kann also sein, dass sie rechtzeitig Daiquon als unser wahrscheinlichstes nächstes Ziel ausgemacht haben, sodass ihnen Zeit genug geblieben sein könnte, um ihre Streitkräfte über das Hypernet dort in Stellung zu bringen. Ich will, dass alle Schiffe gefechtsbereit sind, wenn wir bei Daiquon den Sprungraum verlassen. Es kann sein, dass wir dort sofort in Kämpfe verwickelt werden, und falls man uns erwartet, will ich, dass die Syndik-Kriegsschiffe von uns mit solcher Geschwindigkeit in die Sonne von Daiquon getreten werden, dass sie nicht mal Zeit haben zu überlegen, was gerade passiert ist.« Er machte eine kurze Pause und überlegte, wie er seine Übertragung am besten beenden sollte. »Auf die Ehre unserer Vorfahren.«