Geary schaltete auf interne Kommunikation um und rief die Geheimdienstabteilung. »Finden Sie heraus, ob in irgendeiner Syndik-Rettungskapsel hochrangige Offiziere unterwegs sind.« Er musste erfahren, was die Syndiks vorhatten und wie der Krieg entlang der Grenze zur Allianz verlief. Angesichts der Tatsache, dass die Syndiks davon besessen waren, so viel wie möglich geheimzuhalten und ihre eigenen Offiziere an der kurzen Leine zu führen, musste Geary davon ausgehen, dass er keine Antworten auf seine Fragen erhalten würde, selbst wenn sie auf den Commander der gesamten Streitmacht stoßen sollten. Aber je länger Geary blindlings entscheiden musste, umso mehr machten ihm diese Unklarheiten zu schaffen. Wie lange konnte er noch einem Feind aus dem Weg gehen, wenn er so gut wie nichts darüber wusste, wo der sich gerade aufhielt?
Wäre die Allianz-Flotte einen halben Tag später nach Daiquon gekommen, dann wäre sie geradewegs in ein fertiggestelltes Minenfeld gleich vor dem Sprungpunkt gerast, und die Syndik-Schiffe hätten entkommen können, um ihrem Oberkommando zu melden, welchen Weg die Allianz-Schiffe genommen hatten.
Jeder Ansatz von Freude über den errungenen Sieg war wie weggeblasen, als Geary auf die Namen der toten Schiffe und auf die Liste der verletzten oder gefallenen Crewmitglieder an Bord der anderen Schiffe schaute. Es war ein kleiner Sieg, den sie sich teuer erkauft hatten.
Fünf
Eigentlich hatte die Durchquerung des Daiquon-Systems zum Sprungpunkt nach Ixion fünfeinhalb Tage in Anspruch nehmen sollen. Bei den fünf nennenswerten Objekten im Orbit um den Stern Daiquon handelte es sich um vier Felsblöcke, die kaum die Größe von Planeten erreichten, sowie einen Superriesen, dem es nur knapp an der nötigen Masse fehlte, um selbst das Kernfusionsfeuer eines Sternes gezündet zu haben. Die kleine Syndik-Einrichtung, die sich auf einem der Felsbrocken fand, war komplett kalt und wahrscheinlich vor langer Zeit eingemottet worden. Es gab also keinen Grund, länger als unbedingt nötig hier zu verharren.
Allerdings war der Schwere Kreuzer Brilliant so stark beschädigt worden, dass Geary die gesamte Formation langsamer weiterfliegen ließ, während der Hauptantrieb des Schiffs in aller Eile repariert wurde. Die einzige Alternative hätte darin bestanden, die Brilliant zurückzulassen, doch dazu war Geary nicht bereit.
Keine andere Wahl blieb ihm dagegen bei den Zerstörern Sword-Breaker und Machete. Beide waren so in Mitleidenschaft gezogen worden, dass man sie nur in einer großen Werft hätte reparieren können. Geary hatte die Besatzungen auf andere Schiffe umverteilt, und der Antrieb der Zerstörer war auf Überhitzung eingestellt worden, sodass die Schiffe sich in langsam ausbreitende Trümmerfelder verwandelten. Die Offiziere und Matrosen wurden anderswo dringend gebraucht, dennoch versetzte es der Moral einen Stich, dass sie zwei Schiffe aufgeben mussten.
Einige Zerstörer, drei Leichte Kreuzer und ein Schwerer Kreuzer hatten sich den drei Schlachtschiffen anschließen müssen, die ihre eigene Division aus schwer beschädigten Kriegsschiffen bildeten. Geary versuchte, den Stolz der Besatzung zu wahren, indem er sie offiziell zur Eskorte der Hilfsschiffe erklärte, dennoch fürchtete er, dass die Unzufriedenheit darüber, so weit von der Frontlinie entfernt zu sein, auf lange Sicht zu weiteren Problemen führen würde. Sie werden verärgert sein, auch wenn es die einzig sinnvolle Entscheidung ist. Aber was ist bei einem Krieg schon als sinnvoll zu bezeichnen?
Geary schloss die Augen und versuchte, die Bilder von sterbenden Raumschiffen, die ihre Besatzungen mit in den Tod rissen, aus seinem Kopf zu verdrängen. In seiner Kabine war alles ruhig, nur leise Geräusche aus der Ferne verrieten, dass die Dauntless ein lebendiges Schiff war, und spendeten ihm auf ihre Weise Trost. Lüftungssysteme summten, während sie gekühlte Luft im Schiff verteilten, Flüssigkeiten wurden nach hier und dort gepumpt, leise, kaum wahrnehmbare Stimmen kamen näher und entfernten sich wieder, manchmal begleitet vom Poltern einer Transportkarre. Seit wie vielen Jahrhunderten hörten Matrosen schon solche Geräuschkulissen? Früher waren es knarrende Holzbalken gewesen und das Knattern der Segel, mit deren Hilfe man sich über Ozeane bewegt hatte. Auf keinem Schiff war es jemals richtig ruhig, zumindest nicht auf lebenden Schiffen.
»Captain Geary? Hier ist Lieutenant Iger vom Geheimdienst.«
Er betätigte die Komm-Taste, um den Anruf anzunehmen. »Geary hier. Was haben Sie?«
»Wir haben die Kommunikation zwischen den Rettungskapseln der Syndiks analysiert, und so weit wir das einschätzen können, sind alle Senioroffiziere auf ihren Schiffen umgekommen. In keiner der Kapseln scheint jemand zu sitzen, der seine Autorität durchsetzen will oder der versucht, irgendetwas zu koordinieren.«
Es war nutzlos, eines seiner Schiffe loszuschicken, damit es eine Rettungskapsel an Bord holte, wenn deren Insassen doch nichts Nützliches berichten konnten. »Sind sie immer noch auf Kurs zu der stillgelegten Einrichtung im System?«
»Ja, Sir«, bestätigte Iger. »Woanders können sie auch nicht hin.«
»Wie lange können sie mit dem überleben, was sie an Bord haben und was sich in der Einrichtung befindet?« Bislang war die Allianz-Flotte in jeder eingemotteten Einrichtung der Syndiks auf Notrationen gestoßen.
»Die Kapseln enthalten genug Rationen für einen Zeitraum von mehreren Wochen, vorausgesetzt, sie sind überhaupt alle voll besetzt. Das kann man natürlich noch eine Weile strecken. Selbst wenn die meisten Schiffe hier warten sollten, ob wir in diesem System auftauchen, gehört es zu den Routinevorgängen der Syndiks, dass sie ein Kurierschiff losschicken, das den erfolgreichen Abschluss der Mission meldet. In diesem Fall bestand die Mission darin, die Minen zu deponieren. Wenn die gegnerischen Führer nichts von den Kriegsschiffen bei Daiquon hören, werden sie jemanden herschicken, damit der sich hier umsieht. Es könnte sogar bereits ein Schiff hierher unterwegs sein.«
»Okay, danke.« Es wäre sinnlos gewesen, Kapseln an Bord zu holen, die mit Syndik-Matrosen besetzt waren. Er konnte aber sicherstellen, dass diese Flotte eine Nachricht an die Syndik-Behörden auf der bewohnten Welt im Ixion-Sternensystem übermittelte, damit die von den Leuten erfuhren, die hier auf Rettung warteten.
Geary versuchte in seinen Tagtraum zurückzukehren, da wurde die Türglocke zu seinem Quartier betätigt. »Herein«, rief er resigniert, ohne die Augen zu öffnen.
Nach einer kurzen Pause hörte er eine ironische Stimme sagen: »Meinen Glückwunsch zu einem weiteren Sieg.«
Er schlug die Augen auf und sah Victoria Rione in der Türöffnung stehen. Als sie seinen Blick bemerkte, trat sie ein, woraufhin sich die Luke hinter ihr schloss. Sie nahm ihm gegenüber Platz. Anders als Desjani lehnte Rione sich entspannt zurück, wirkte dabei jedoch so angespannt wie eine Katze, die jeden Moment wieder aufspringen konnte. »Was verschafft mir diese Ehre?«
»Wie ich schon sagte: Ich bin gekommen, um meinen Glückwunsch auszusprechen.«