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Wollte sie ihn wirklich? Oder ging es ihr nur darum, alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen, damit sie eingreifen konnte, wenn der Zeitpunkt gekommen war, ihn zu stoppen? Oder wollte sie letztlich nur an seiner Macht teilhaben? Eine unmoralische Politikerin, die sich mit dem möglichen zukünftigen Herrscher über die Allianz gut stellen wollte?

Victoria Rione stand auf und streifte ihre Kleidung ab, die um ihre Füße herum auf dem Boden landete. Dann kam sie zu ihm ins Bett und schmiegte sich an seinen Körper. Als sich ihre Lippen berührten, wurde Geary klar, dass ihm die Antworten auf seine Fragen gar nicht so wichtig waren, solange sie wieder das Bett mit ihm teilte. Als sie ihn auf das Bett drückte und sich rittlings auf ihn setzte, wurde ihm klar, dass es ihn in diesem Moment nicht mal kümmerte, ob sie in einer Hand womöglich ein Messer hielt.

* * *

»Alle Schiffe zum Sprung bereit machen.« Mit dem bloßen Auge war der Stern Daiquon nur noch als heller Punkt wahrzunehmen. Die Flotte hatte bereits vor Tagen die Formation Kilo One eingenommen, um auf alles gefasst zu sein, wenn sie Ixion erreichte. Zumindest hoffte er das.

Victoria Rione saß wieder auf ihrem Beobachterplatz auf der Brücke der Dauntless und verfolgte das Geschehen, als hätte es nie die Phase gegeben, in der sie diesen Platz gemieden hatte. Desjani hatte Rione höflich begrüßt, jedoch war es Geary so vorgekommen, als sei aus ihren Worten eine gewisse Besorgnis herauszuhören gewesen. Was Rione anging, so glaubte er ein triumphierendes Funkeln in ihren Augen gesehen zu haben, als sie von Desjani willkommen geheißen wurde. Aber das hatte er sich sicher alles nur eingebildet, weil seine Sorge um das, was sie möglicherweise in Ixion erwartete, ihn in den Fieberwahn trieb.

»Alle Einheiten der Allianz-Flotte! Beim Eintreffen bei Ixion führen Sie augenblicklich die befohlenen Manöver aus und feuern auf alle feindlichen Kriegsschiffe in Reichweite. Wir springen jetzt nach Ixion.«

* * *

Nicht ganz vier Tage im Sprungraum, um Ixion zu erreichen. Es hätte keine große Sache sein sollen, und doch fühlte sich Geary in zunehmendem Maße unbehaglich, als sie wieder im Sprungraum unterwegs waren. Angesichts der Risiken, die sie eingehen mussten, wünschte er, Ixion befinde sich näher dem Allianz-Territorium, als es tatsächlich der Fall war. Obwohl der Sprungraum eine Chance bot, sich ausruhen und nachdenken zu können, ohne ständig von den Syndiks bedrängt zu werden, empfand er es als vertane Zeit, da die Stunden und Tage sich hinzogen, ohne dass sich außerhalb des Schiffs jemals irgendetwas änderte. Natürlich war das im Sprungraum nie der Fall, doch jetzt störte es ihn auf einmal. Er wollte etwas unternehmen, zur Tat schreiten, sich den Syndiks stellen, sie in einer Entscheidungsschlacht schlagen, herausfinden, was es mit dieser fremden Intelligenz auf sich hatte, die er und Rione auf der anderen Seite des Syndik-Territoriums vermuteten. Und er wollte diesen elenden Krieg beenden.

Dass er auch im Normalraum eigentlich gar keine Chance hatte, diese Dinge in die Tat umzusetzen, änderte nichts daran, dass er sich im Sprungraum maßlos frustriert fühlte. Hinzu kam die Erkenntnis, dass er während der Phasen im Sprungraum häufiger von der Vergangenheit träumte, von den Menschen, die er damals kannte und die heute seit Langem tot waren. Es war nicht sehr angenehm, aus der Unterhaltung mit einem alten Freund aufzuwachen und erkennen zu müssen, dass er sich mit diesem niemals wieder würde unterhalten können. Zumindest nicht in diesem Leben.

Sein einziger Trost war, dass er diesmal nicht über drei Ecken versuchte musste, etwas darüber in Erfahrung zu bringen, wie es Victoria Rione ging. Sie kam jeden Abend in sein Quartier und verbrachte die Nacht mit ihm. Und wenn sie sich liebten, schienen bei ihr Leidenschaft und Verzweiflung Hand in Hand zu gehen. Wenn sie aber nicht das Bett mit ihm teilte, verbarg sie weiter ihr Innerstes und ließ weder Leidenschaft noch Verzweiflung noch irgendeine andere Gefühlsregung erkennen.

Er vertrieb sich die Zeit damit, Simulationen zu programmieren und mit dem Versuch, einzuschätzen, was bei Ixion wohl auf sie wartete und wie die Flotte dort würde reagieren müssen. Doch er konnte das so lange machen, wie er wollte, es waren dennoch alles nur Vermutungen, denn allein die Ankunft in Ixion würde ihnen zeigen, was sie dort tatsächlich erwartete.

Geary versuchte sich auf das Display zu konzentrieren, als der Moment näher rückte, an dem die Flotte den Sprungraum verlassen würde. Derzeit zeigte es nur an, was die veralteten Syndik-Aufzeichnungen hergaben, die sie in bislang durchflogenen Sternensystemen zusammengetragen hatten. Die zum Teil jahrzehntealten Daten zeigten ein relativ gut entwickeltes System mit einem fast idealen Planeten, der über eine beachtlich große Bevölkerung verfügte, sowie diverse Aktivitäten und Einrichtungen abseits des Planeten. Die für Handelsschiffe bestimmten Daten enthielten keinerlei Angaben über militärische Einrichtungen, es tauchten lediglich immer wieder Warnungen auf, wonach man unbedingt den jeweiligen Aufforderungen Folge zu leisten hatte, wenn Militärbehörden mit einem Schiff Kontakt aufnahmen.

»Stimmt etwas nicht, Sir?«, fragte Captain Desjani.

»Oh, ich überlege nur, was uns da wohl erwartet«, erwiderte er. »Und ich frage mich, warum ein so gutsituiertes Sternensystem nicht mit einem Hypernet-Portal ausgestattet worden ist.«

Victoria Rione meldete sich von ihrem Platz auf der Brücke zu Wort, den sie mittlerweile wieder eingenommen hatte. »Das kann politische Gründe haben«, erläuterte sie. »In der Allianz wollten viel mehr Planeten ein Hypernet-Portal haben, als es finanzielle Mittel zu ihrem Bau gab. Und ab einem gewissen Punkt begannen sich die praktischen Erwägungen zwischen verschiedenen Welten so sehr zu gleichen, dass die Entscheidung dadurch bestimmt wurde, welcher Politiker welchen Rivalen geschickter ins Abseits drängen konnte.«

Desjani, die ihr Gesicht so abgewandt hielt, dass nur Geary, aber nicht Rione sie sehen konnte, verdrehte die Augen, um ihre Meinung über Politiker kundzutun. Geary hielt sich glücklicherweise ernst und nickte Rione in einer Weise zu, die von Desjani hoffentlich nicht als Zustimmung gedeutet wurde.

»Bereithalten zum Sprung in den Normalraum«, rief ein Wachhabender. »Fünf… vier… drei… zwei… eins… Sprung.«

Das Grau wich dem schwarzen All mit seinen weißen Sternen, die Stille wich augenblicklich den pulsierenden Alarmsirenen, da die Sensoren der Dauntless die ersten feindlichen Kriegsschiffe in der Nähe registrierten. Gleichzeitig spürte Geary, wie er in seinen Sessel gedrückt wurde, als die Steuersysteme des Schlachtkreuzers zum vorbereiteten Ausweichmanöver ansetzten, um einem möglichen Minenfeld aus dem Weg zu gehen. Der Bug wurde dabei so abrupt nach oben gedrückt, dass die Trägheitsdämpfer die Auswirkungen auf Schiff und Crew nicht vollständig ausgleichen konnten.

Nächstes Mal würden die Syndiks vermutlich ihr Minenfeld auf den Bereich oberhalb des Sprungpunkts ausweiten, diesmal jedoch konnte Geary zufrieden grinsen, als er sah, wie seine gesamte Flotte einer Aufwärtskurve folgte, die so eng war, wie es die physikalischen Gesetze zuließen. Die Sensoren nahmen währenddessen umfassende Spektralscans des Systems vor, registrierten kleine Anomalien rings um die Flotte, hinter denen sich getarnte Minen verbargen, und kennzeichneten die Positionen jener Minen, die sich entlang der Flugbahn befanden, der die Allianz-Schiffe folgen würden. Geary kalkulierte im Kopf die Zahlen und kam zu dem Schluss, dass die Flotte bei einer höheren Geschwindigkeit beim Eintritt ins System dem Minenfeld nicht früh genug hätte ausweichen können.

Ohne sich um den Rest des Systems zu kümmern, galt seine ganze Aufmerksamkeit dem Gebiet, das nur wenige Lichtminuten vom Sprungpunkt entfernt lag. Er benötigte einen Moment, ehe er begriff, was er da eigentlich sah. Die Minen wären gar nicht das Schlimmste gewesen, auch wenn er sogar diesen Fall einkalkuliert hatte. Viel gefährlicher waren nämlich die Syndik-Kriegsschiffe, die hinter dem Minenfeld lauerten. Vier Schlachtschiffe und sechs Schlachtkreuzer, dazu acht Schwere Kreuzer sowie lediglich drei Leichte Kreuzer und ein knappes Dutzend Jäger hatten dort in Form einer konkaven Scheibe ihre Position eingenommen. Alles, was es durch das Minenfeld geschafft hätte, wäre genau auf diese Schiffe zugeflogen, während die Schilde noch geschwächt waren und es noch keinen Überblick über die erlittenen Schäden gab. Aber…