Zu Gearys Verwunderung strahlte Midea einen Moment lang, als hätte er genau das Richtige geantwortet. Ihre nächste Bemerkung erklärte dann auch sofort diese Reaktion. »Ist der Flotte wirklich mit einem Kommandanten am besten gedient, der seine Entscheidungen aus den falschen Gründen trifft?«
Desjani warf Midea einen vernichtenden Blick zu.
»Erklären Sie, was Sie damit meinen, Captain Midea«, forderte Geary sie auf.
Sie zuckte flüchtig mit den Schultern. »Uns ist klar, dass Sie gewichtige Gründe dafür haben, an Bord der Dauntless bleiben zu wollen.« Dabei betonte sie den Schiffsnamen mit so offensichtlicher Ironie, als stehe der in Wahrheit für etwas anderes.
Desjani lief vor Wut rot an, und Geary verstand genau, was gemeint war. Aber um auf Mideas geschickte Anspielung zu reagieren, müssten Desjani oder Geary auf jene Gerüchte zu sprechen kommen, wonach ihnen beiden ein Verhältnis nachgesagt wurde.
»Ich werde nicht…«, begann Desjani, weiter kam sie jedoch nicht.
Victoria Rione meldete sich mit frostiger Stimme zu Wort. »Captain Midea, wissen Sie irgendwas, was ich nicht weiß? Oder beziehen Sie sich mit Ihrer Bemerkung auf mich?«
In ihrer Uniform und mit ihrer Haltung mochte Midea an eine Syndik-CEO erinnern, aber Co-Präsidentin Rione trug dagegen die kühle Autorität und Arroganz zur Schau, mit der Geary bei seinen ersten Begegnungen mit ihr auch Bekanntschaft gemacht hatte. Einschüchternd war dabei ein Begriff, der Riones Auftreten nicht annähernd gerecht wurde.
Captain Midea erging es offenbar nicht anders, da sie krampfhaft nach einem Weg suchte, das nicht aussprechen zu müssen, was sie soeben verschleiert angedeutet hatte. Casia warf Midea unterdessen einen Blick von der Art zu, auf die ein Vorgesetzter reagierte, wenn einer seiner Untergebenen mit beiden Füßen gleichzeitig ins Fettnäpfchen getreten war. Zu Gearys großer Verärgerung saßen seine engsten Verbündeten, wie beispielsweise Duellos, Tulev und Cresida, nur schweigend da und weideten sich mit kaum verhohlener Freude an Mideas Verlegenheit. Keiner von ihnen wechselte das Thema, obwohl sich die allgemeine Verstimmung so nur noch verschlechtern würde.
Glücklicherweise mischte sich Captain Badaya ein und sprach wie ein Lehrer, der seinen Schülern eine Lektion erteilte, die jeder von ihnen längst wissen sollte. »Jeder Offizier dieser Flotte weiß, dass Captain Geary eine gute dienstliche Beziehung zum befehlshabenden Offizier seines Flaggschiffs entwickelt hat. So etwas ist wichtig und nützlich. Von daher ist es nur allzu verständlich, dass Captain Geary an dieser Situation nichts ändern möchte. Andernfalls wäre er gezwungen, zunächst einmal eine ähnlich gute Beziehung zum Kommandanten seines neuen Flaggschiffs aufzubauen, und das in einem Augenblick, da sich die Flotte in einem feindlichen Sternensystem befindet und möglicherweise ins Gefecht ziehen wird.«
Badayas Worte hatten den Vorteil, dass sie voll und ganz der Wahrheit entsprachen und es keinen Ansatzpunkt für irgendeine Form von Widerspruch gab. Und sie gaben Midea die Gelegenheit zu einer Ausflucht, die sie auch prompt nutzte. »Natürlich stimmt das. Ich wollte nur meine Meinung zum Ausdruck bringen, dass der Flottenkommandant davon profitieren könnte, wenn die derzeitige Situation auf den Kopf gestellt wird. Aber wie Sie ganz richtig sagten, ist dies dafür nicht der geeignete Zeitpunkt.«
Daraufhin entspannte sich die Atmosphäre im Konferenzsaal ganz beträchtlich, doch als Geary eben dachte, die Angelegenheit sei nun erledigt, sah er den frostigen Blick, den Rione Midea zuwarf. Es gelang ihm, Riones Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und ihr mit seiner Mimik zu verstehen zu geben, sie solle die Sache bitte auf sich beruhen lassen. Ihr Blick ließ ihn selbst ebenfalls frösteln, doch sie lenkte ein.
»Das wäre alles«, merkte Geary rasch an. »Wir sind nicht mehr ganz sieben Tage vom Sprungpunkt nach Branwyn entfernt. Für den Fall, dass die Syndiks auf unseren ausgeworfenen Köder reagieren, werden wir sehen, was passiert und wie wir darauf reagieren können. Vielen Dank.«
Innerhalb weniger Augenblicke verschwanden die virtuellen Teilnehmer der Konferenz, lediglich Badaya blieb noch lange genug zurück, um Geary zuzuzwinkern. Er hoffte, dass Desjani nichts davon mitbekommen hatte. »Tut mir leid, was da gerade passiert ist, Captain Desjani.«
»Das ist nicht Ihre Schuld, Sir«, gab sie entschieden zurück. »Wenn Sie mich entschuldigen würden, ich muss zurück auf die Brücke.« Dann eilte sie aus dem Raum. Als sie dabei an Rione vorbeiging, drückte sie den Rücken durch und straffte die Schultern.
Damit blieben nur Rione und der virtuelle Captain Duellos bei ihm zurück. Duellos verneigte sich respektvoll vor Rione und wandte sich an Geary. »Tut mir leid. Mein harmloser Spaß hat die Dinge für Sie etwas schwieriger gemacht.«
»Das ist mir nicht entgangen. Aber denken Sie an Folgendes: Wenn ich sterbe und Sie mich als Kommandant der Flotte beerben, wird mein Geist über Sie wachen und sich köstlich amüsieren, wenn Sie versuchen, mit diesen Leuten klarzukommen.«
Duellos lächelte flüchtig. »Ich werde es mir merken. Die Tatsache, dass Ihr Geist dann über mich wacht, wird ein Trost sein, auch wenn der sich in erster Linie auf meine Kosten amüsieren will.« Er wurde wieder ernst. »Kommt es Ihnen eigentlich nicht viel zu ruhig vor?«
»Jetzt, da Sie's erwähnen«, stimmte Geary ihm zu. »Ich frage mich, ob es uns nur so vorkommt, weil wir mit viel mehr Arger gerechnet haben, der sich dann nicht eingestellt hat.«
»Jedenfalls bis jetzt nicht«, warnte Duellos ihn. »Ich habe so eine Vorahnung, dass sich unser Arger in diesem System nicht allein auf die Flottenbesprechungen beschränken wird.«
»Wir sollten eigentlich in der Lage sein, uns gegen alles zu behaupten, was uns jetzt noch vorgesetzt wird«, meinte Geary. »Aber etwas besorgt bin ich auch. Apropos Captain Midea. Haben Sie irgendeine Idee, wie man sie dazu bringt, den Mund zu halten, ohne ihr gleich das Kommando entziehen zu müssen?«
»Darüber hatte ich auch schon nachgedacht«, räumte Duellos ein. »Sie war Numos' XO, bevor sie zum Captain befördert wurde und das Kommando über die Paladin erhielt. Wie wir schon bei Ixion gesagt haben, muss er gewusst haben, wie man ihr den Mund verbietet. Wir könnten Numos fragen.«
»Nein, danke. Ich glaube nicht, dass ich ihm auch nur ein Wort abnehmen würde. Er könnte ihr Nachrichten zukommen lassen!«
»Durchaus möglich«, überlegte Duellos. »Numos stachelt sie womöglich dazu an, sich so aufzuführen. Wollen wir hoffen, dass er sie nicht zu mehr antreibt als ein paar unüberlegten Worten.«
»Ja, das ist wirklich etwas, das Anlass zur Sorge gibt. Allerdings wüsste ich nicht, was ich dagegen unternehmen sollte.« Geary sah Duellos frustriert an. »Übrigens, was das Anstacheln anderer Offiziere angeht, möchte ich Sie bitten, beim nächsten Mal nicht noch einmal Ihre Widersacher aufzuziehen, okay?«