»Wir werden sie rächen«, erklärte Geary, als die Allianz-Flotte sich für den nächsten Vorbeiflug bereit machte. Doch diesmal hatte er sich ein wenig verkalkuliert, möglicherweise weil er durch den Verlust der beiden Schiffe aufgewühlt war, und so bewegten sich die beiden Flotten nur gerade eben in Reichweite der Höllenspeere aneinander vorbei, was auf keiner Seite zu nennenswerten Schäden führte.
»Beim nächsten Vorbeiflug knöpfen wir uns die Syndiks richtig vor«, versprach Desjani mit finsterer Miene.
»Ja.« Geary atmete tief durch, dann gab er die nächsten Befehle: »Alle Formationen, ändern Sie den Kurs bei Zeit fünf sieben um eins eins null Grad nach oben und null eins Grad nach Backbord.« Die Flotte setzte zum Wenden an, und dann näherten sich beide Streitmächte wieder auf ineinander verschränkten S-Kurven. Der Syndik-Kommandant sollte eigentlich erkennen, dass er auf diese Weise keine gute Feuerposition erlangen würde, wenn er nicht endlich von seinem immer gleichen Angriffsmuster abwich. Doch die Syndiks würden sich nicht die Gelegenheit nehmen lassen, wieder einen Kontakt herbeizuführen, bei dem sie eine Chance witterten, dem Gegner ein paar Treffer zuzufügen. So war es schon immer gewesen. Die Syndiks klammerten sich ans Kämpfen, weil sie ihre Tapferkeit und ihre Entschlossenheit demonstrieren wollten. Bei dieser Konfrontation hatten die Syndiks schon jetzt deutlich mehr bluten müssen als die Allianz, selbst wenn man die Renown und die Paladin mitrechnete. Wenn sie irgendwann den Entschluss fassten, doch noch zu fliehen, würde die Allianz ihre Flotte so zusammengeschossen haben, dass kein großes Kriegsschiff mehr entkommen konnte.
»Sir, Aktivität am Hypernet-Portal!«
Alarmsignale flammten auf Gearys Display auf. Sein Blick zuckte zur Darstellung des Portals, während der Wachhabende fast atemlos die eingehenden Informationen herunterrasselte. »Syndik-Streitkräfte verlassen das Portal. Zwanzig Jäger. Aktualisierung: achtundzwanzig Jäger, zwölf Leichte Kreuzer. Aktualisierung: zweiundvierzig Jäger, sechsundzwanzig Leichte Kreuzer, acht Schwere Kreuzer. Aktualisierung: neunundsechzig Jäger, einunddreißig Leichte Kreuzer, neunzehn Schwere Kreuzer.«
Geary verfolgte, wie die Symbole für die feindlichen Schiffe immer zahlreicher wurden, während er versuchte, sich seine Bestürzung nicht anmerken zu lassen.
»Das ist eine große Anzahl an Begleitschiffen«, sprach Desjani in einem Tonfall, der in Gearys Ohren bemerkenswert gefasst klang.
Eine große Anzahl Begleitschiffe, die eine beträchtliche Anzahl schwerer Schiffe bedeutete.
Das Display und der Wachhabende bestätigten im nächsten Moment diese Schlussfolgerungen. »Sechzehn Schlachtkreuzer. Aktualisierung: zwanzig Schlachtkreuzer, zwölf Schlachtschiffe. Aktualisierung: dreiundzwanzig Schlachtschiffe.«
Plötzlich wurde Geary bewusst, dass er die ganze Zeit über den Atem angehalten hatte. Wenigstens flammten nicht immer neue Warnsymbole auf. Er nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um sich die endgültigen Zahlen der soeben eingetroffenen Syndik-Streitmacht vor Augen zu halten. Dreiundzwanzig Schlachtschiffe, zwanzig Schlachtkreuzer, neunzehn Schwere Kreuzer, einunddreißig Leichte Kreuzer, hundertzwölf Jäger.
Ihre Überlebenschancen in diesem System hatten sich soeben von »passabel« nach »miserabel« verändert. Die Allianz-Flotte verfügte noch über fünfundzwanzig Schlachtschiffe und siebzehn Schlachtkreuzer. Im Verlauf der Schlacht hatten sie bislang drei Syndik-Schlachtschiffe und vier Syndik-Schlachtkreuzer vernichten können. Aber selbst nach diesen Verlusten verfügte ihr Gegner nun über vierundvierzig Schlachtschiffe und vierunddreißig Schlachtkreuzer, die meisten davon mit vermutlich ausgeruhten Besatzungen und wahrscheinlich randvoll mit Munition, während die Allianz-Schiffe fast alle Geschosse und Kartätschen aufgebraucht hatten. Sie standen einer fast zwanzigfachen Übermacht gegenüber. Auch wenn der eine oder andere in der Flotte davon überzeugt sein mochte, so glaubte Geary nicht, dass ein überlegener Kampfgeist diese Unterlegenheit in Sachen Feuerkraft irgendwie wettmachen konnte.
Zehn
»Das muss die Hauptflotte der Syndiks sein«, meinte Desjani, die verkrampft in ihrem Sessel saß. »Ihre Hauptstreitmacht. Die Syndiks in diesem System können keine solche Verstärkung angefordert haben. Eine so große Flotte kann nicht so schnell hergeschickt worden sein, also müssen diese Schiffe aus einem anderen Grund hergekommen sein.«
»Da können wir uns ja glücklich schätzen«, murmelte Geary. Das Hypernet-Portal war jetzt fast fünf Lichtstunden entfernt, womit sie etwas beobachteten, was sich bereits vor fünf Stunden abgespielt hatte. Die Syndik-Streitmacht hatte dagegen die Allianz-Flotte unmittelbar nach ihrer Ankunft sehen können, sodass sie inzwischen fünf Stunden lang hatten planen können, was sie unternehmen würden. »Wir müssen die Flotte erledigen, mit der wir uns momentan herumschlagen. Dann können wir…«
»Syndik-Schiffe drehen ab«, rief ein Wachhabender mit nicht zu überhörender Enttäuschung.
»Verdammt noch mal!« Es war kein Zweifel möglich. Anstatt zum nächsten Vorbeiflug anzusetzen, machte die Syndik-Flotte einen Schlenker und beschleunigte auf über 0,1 Licht, um den Abstand zu den Allianz-Schiffen schnell zu vergrößern. »Sie brechen den Angriff ab.«
Mit der Ankunft der Flotte aus dem Hypernet-Portal waren offenbar auch neue Befehle übermittelt worden. Davon war Geary überzeugt, während er mit ansah, wie die gegnerischen Schiffe immer schneller davonflogen.
»Feiglinge«, knurrte Desjani und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Sie haben den Befehl erhalten zu warten, bis diese große Flotte nahe genug ist, um uns anzugreifen.«
»Genau.« Er warf einen Blick auf die Geometrie der Allianz-Flotte und der Syndik-Streitmacht, dann widmete er sich dem Zustand der Brennstoffzellen. »Wir verfügen nicht über genug neue Brennstoffzellen, um sie einzuholen, ohne dass ihre Ladung auf einen kritischen Pegel sinkt.«
»Springen Sie nach Branwyn!«, rief Rione plötzlich, als könne sie nicht begreifen, dass das noch niemand gesagt hatte. »Fliegen Sie zum Sprungpunkt und springen Sie nach Branwyn! Wir haben den Syndiks mehr Verluste zugefügt als umkehrt, also hat es nichts Unehrenhaftes, wenn wir jetzt das Schlachtfeld verlassen.«
Wieder schüttelte Desjani den Kopf.
Geary drehte sich zu Rione um. »Das können wir nicht. Die Syndiks, die sich momentan zurückziehen, werden uns weiterhin beobachten, und sie sind nahe genug, um uns einzuholen, wenn wir den Sprungpunkt anfliegen. Wir müssen erheblich abbremsen, damit wir um das Minenfeld herum in den Sprungraum gelangen können, und den Augenblick werden sie nutzen, um das Feuer auf uns zu eröffnen.«
»Wir würden dort ein narrensicheres Ziel abgeben«, fügte Desjani angespannt hinzu.
»Können wir sie nicht irgendwie austricksen?«, wollte Rione wissen.
Diesmal war es Geary, der eine verneinende Geste machte. »Die haben keine Hilfsschiffe in ihrer Flotte, die sie zu einem langsameren Tempo zwingen. Und sie können ihre beschädigten Schiffe einfach vorübergehend zurücklassen, wenn sie uns attackieren, weil sie wissen, dass wir ihnen nicht folgen können, wenn sie sich zurückziehen. Selbst ohne die Hilfsschiffe wären uns die Hände gebunden, weil wir unsere beschädigten Schiffe nicht im Stich lassen können.« Er deutete auf das Display. »Die Syndiks, gegen die wir vorhin gekämpft haben, werden uns davon abhalten, den Sprungpunkt nach Branwyn zu nutzen. Falls wir es doch versuchen sollten, werden sie uns verdammt wehtun. In der Zwischenzeit wird sich die große neue Flotte auf den Weg zu uns machen, und da wir nicht entkommen können, wird sie sich mit der kleineren Flotte zusammenschließen und gemeinsam gegen uns vorgehen.«