»Ich weiß es nicht. Bei meiner Ehre, Victoria, ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, wir müssen es versuchen.«
Ungefähr sieben Tage hatte es gedauert, von dem Sprungpunkt, der von Ixion ins System führte, zum Sprungpunkt nach Branwyn zu gelangen. Nun waren sie auf dem Rückweg und flogen wieder einen Bogen durch das Lakota-System. Geary hatte die Flotte zunächst eine Stunde lang in Richtung Sprungpunkt nach Seruta fliegen lassen, um die größte Syndik-Flotte dorthin zu locken. Dann befahl er eine Kursänderung, um seine Schiffe in die Nähe des Sprungpunkts nach Ixion zu bringen.
Wie befürchtet hatte die Syndik-Formation Bravo mit gut zwanzig Lichtminuten Abstand begonnen, der Allianz-Flotte zu folgen. Damit waren die Syndiks nahe genug, um alles zu beobachten und notfalls einen Satz nach vorn zu machen. Gleichzeitig blieben sie so weit entfernt, dass sie sofort den Rückzug antreten konnten, sollte Geary auf die Idee kommen, eine Attacke zu befehlen.
Das einzig Gute an der momentanen Situation war, dass seine Flotte wieder ein wenig an Kampfstärke zulegen konnte, da die Reparaturen an der Warrior, der Orion und der Majestic so weit abgeschlossen waren, dass sie als Begleitung für die unersetzlichen Hilfsschiffe zum Einsatz kommen konnten. Deren Schicksal in die Hände von Schiffen zu legen, die sich in der Schlacht nicht bewährt hatten, bedeutete zwar einen immensen Vertrauensvorschuss, aber die Moral der Crews musste genauso wiederaufgebaut werden wie die Kampfkraft ihrer Schiffe.
Am Ende des ersten Tages wurde deutlich, dass die Syndik-Flotte Delta, die durch das Hypernet-Portal gekommen war, mit der Verfolgung der Allianz-Flotte begonnen hatte, und das mit Nachdruck. »0,15 Licht«, las Desjani ab. »Sie nähern sich 0,2 Licht.«
Normalerweise hatte eine so schlechte Nachricht auch ihre gute Seite. Bei dieser Geschwindigkeit erzeugten die relativistischen Verzerrungen kleine Wahrnehmungsfehler der Umgebung der Schiffssensoren. Auf die große Entfernung hochgerechnet, die die Syndik-Flotte Delta zurücklegen musste, konnten selbst winzige Fehler zu großen Ungenauigkeiten führen. Doch in diesem Fall befand sich die Bravo-Flotte unmittelbar hinter den Allianz-Schiffen, und wenn die ihre Geschwindigkeit auf 0,1 Licht anpasste, war die Delta-Flotte in der Lage, akkurate Daten zu empfangen.
»Sie werden uns definitiv eingeholt haben, bevor wir den Sprungpunkt nach Ixion erreichen«, fuhr Desjani fort. »Es ist eine weite Strecke, aber sie sind sehr schnell, und diese Bravo-Flotte wird sie mit genügend Vorlauf wissen lassen, wenn wir irgendwelche Tricks versuchen.«
»Sie werden uns ein paar Stunden vor dem Sprungpunkt abfangen«, merkte Geary an, sprach aber nicht aus, was sie beide wussten: dass dies ein paar sehr lange Stunden werden konnten.
»Und das gilt nur, solange alle stur dem gleichen Kurs folgen. Wenn die Syndiks aus dem Sprungpunkt von Ixion auftauchen und uns in ein Gefecht verwickeln, dann sind alle Berechnungen hinfällig.« Sie lehnte sich zurück und schloss einen Moment lang die Augen. »Sir, vielleicht ist es nicht ratsam, die Delta-Flotte anzugreifen, auch wenn es derzeit gar nicht danach aussieht, als würde sich die Gelegenheit dazu überhaupt ergeben.«
Das war ja mal etwas ganz Neues, dass ausgerechnet Desjani zur Vorsicht riet. »Meinen Sie?«, fragte er und grübelte über ihre Beweggründe nach.
»Wir befinden uns nicht in der besten Position, um uns eine Schlacht mit einer so großen Streitmacht zu liefern«, erklärte sie. »Ich kann mir denken, dass Ihnen das längst klar ist, aber ich habe etwas länger gebraucht, um es zu erkennen. Wenn wir die von der Bravo-Flotte ausgehende Bedrohung ausräumen könnten, bevor die Delta-Flotte uns abfängt, dann würde das einen großen Unterschied ausmachen. Aber sofern nicht die Flotte von Ixion genau im richtigen Moment eintrifft, sieht es für mich nicht danach aus.«
»Der gleiche Gedanke kam mir auch.«
»Ich wusste es.« Sie nickte entschieden, schlug die Augen auf und sah ihn an. »Wir müssen zu unseren Bedingungen gegen die Syndiks kämpfen. Das haben Sie mehr als einmal gesagt. Als ich die Paladin sterben sah… Nun, auf einmal sah ich, wie ganze Flotten von Allianz-Kriegsschiffen über Jahrzehnte hinweg genau das Gleiche taten und damit sich und ihre Besatzungen den Syndiks zum Fraß vorgeworfen haben. Sicher, es ist ehrenhaft und mutig, aber erreicht haben wir damit nicht viel, nicht wahr?«
»Nein.« Geary verzog den Mund. »Manchmal zeugt es von mehr Mut, wenn man einem Kampf aus dem Weg geht.«
»Weil andere einem vorwerfen werden, dass man Angst hat?« Desjanis Miene war wie versteinert. »Mir hat man in der letzten Zeit Schlimmeres als das vorgeworfen. Wir werden nach Ixion springen, sobald wir können, richtig, Sir?«
»Ja. Wenn das gelingt, ohne dass wir uns einen Kampf mit der Delta-Flotte liefern müssen, dann werden wir das machen.«
»Gut.« Nachdem sie Geary dadurch geschockt hatte, dass sie sich für Vorsicht im Gefecht aussprach, grinste Desjani ihn nun breit an. »Wir werden mehr von ihnen töten, wenn wir mit ihnen kämpfen wann und wo wir es wollen.«
Das war eine Aussage, wie sie wahrer und schlichter nicht hätte ausfallen können. »Richtig.«
»Was ist mit Seruta?«, wollte Rione wissen, während sie das Display in Gearys Kabine betrachtete. »Wenn wir in diese Richtung ausweichen…«
Geary schüttelte den Kopf, woraufhin sie schwieg. »Das größte Problem besteht darin, dass der Sprungpunkt nach Seruta näher zur Syndik-Flotte Delta liegt. Sie würden uns früher abfangen, und wir müssten länger gegen sie kämpfen, ehe wir den Sprungpunkt erreicht haben.« Er betrachtete den Stern. »Die etwas kleineren Probleme können auch nicht außer Acht gelassen werden. Wir wissen nicht, was die Syndiks bei Seruta haben. Unsere erbeuteten Daten besagen, dass es sich um ein sehr altes und sehr armes System handelt. Keinerlei Planeten, nur ein paar dünne Asteroidenwolken, die um einen sterbenden roten Stern ziehen. Gute Metalle haben die Asteroiden nicht zu bieten. Es gab dort mal eine Notfallstation der Syndiks, aber die wurde vor langer Zeit stillgelegt. Die Syndiks könnten uns ein paar böse Überraschungen hinterlassen haben, und wir wissen schon jetzt, dass wir keine Ressourcen finden können, die wir wirklich benötigen.«
Rione ließ sich nachdenklich nach hinten sinken. »Dann fliegen wir weiter in Richtung des Sprungpunkts nach Ixion? Obwohl wir wissen, dass die Syndiks uns lange davor einholen werden.«
»Ich werde ein paar Manöver versuchen, mit denen wir sie vielleicht auf Abstand halten können.«
»Versuchen?«, wiederholte sie. »Das klingt nach einer sehr, sehr schwachen Hoffnung, John Geary. Wie konnten wir in diese Situation geraten?«
»Außerordentliches Pech ist ein Faktor. Wäre die Delta-Flotte nicht aufgetaucht, dann hätten wir die Bravo-Flotte vernichten und Kurs auf Branwyn nehmen können.« Er starrte auf das Sternendisplay. »Und eine Fehlentscheidung. Meine Fehlentscheidung. Ich habe beschlossen, dass wir nach Lakota reisen, und das war eine sehr schlechte Entscheidung.«
»Tatsächlich? Weil du nicht wusstest, dass du hier außerordentliches Pech haben würdest?« Sie stand auf, setzte sich zu ihm und lehnte sich gegen seine Schulter. »Du kannst dir nicht die Schuld daran geben. Ich muss das wissen, schließlich bin ich die Expertin dafür, mir selbst die Verantwortung aufzuerlegen.«
»Es passt irgendwie nicht, dass du mir nicht die Meinung sagst, weil ich zu aggressiv vorgegangen bin«, merkte Geary an.
»Ich habe dir doch gesagt, ich möchte nicht zu berechenbar sein.« Sie setzte sich gerade hin und gab einen aufgebrachten Laut von sich. »Vielleicht sollen wir ja nicht nach Hause zurückkehren. Vielleicht sind wir in den Besitz von zu gefährlichem Wissen gelangt.«