Aber bei Ixion würde die Allianz-Flotte in den Normalraum zurückkehren, und die Syndiks würden dann nicht lange auf sich warten lassen.
Geary stand auf, da er das Gefühl hatte, tagelang ohne Unterbrechung in seinem Kommandosessel zugebracht zu haben. Er blickte zu Captain Desjani, die ihn ernst anschaute. Das war wohl der Moment, um etwas zu sagen. »Danke, Captain. Die Dauntless hat sich gut geschlagen. Widmen Sie sich bitte den Schadensberichten und Ihrer Crew.«
Als er sich aufrichtete, merkte er, dass die Wachhabenden auf der Brücke ihn ansahen, als wäre er ein Rettungsring, der sie vor dem Ertrinken bewahren konnte. Was sollte er zu ihnen sagen? »Gut gemacht.«
Er wollte zur Luke gehen, da rief ihm ein junger Lieutenant voller Verzweiflung nach: »Was werden wir machen, Sir? Wenn wir Ixion erreicht haben?«
Wenn er das bloß wüsste! »Ich werde mich mit unseren Möglichkeiten beschäftigen.« Er zwang sich, eine zuversichtliche Miene zu zeigen. »Wir liegen nicht am Boden.« Für den Augenblick war das eine korrekte Aussage. Für den Augenblick.
Sie nickten und schienen neuen Mut zu fassen, während Geary von einer schweigsamen Rione begleitet die Brücke verließ.
Das Grau des Sprungraums schien auf seine Seele übergesprungen zu sein. Geary saß im Sessel zusammengesunken in seinem Quartier, während sich seine Gedanken ständig nur im Kreis drehten und seine Erinnerung wieder und wieder zeigte, wie ein Schiff nach dem anderen zerstört wurde.
»Es war ein anstrengender Tag«, sagte Rione schroff. Sie saß ein Stück weit von ihm entfernt, ihr Gesicht wirkte, als sei sie an diesem einen Tag um ein paar Jahrzehnte gealtert. »Reiß dich zusammen, wir müssen uns auf Ixion vorbereiten.«
»Ixion?« Geary machte sich nicht die Mühe, verächtlich zu lachen. »Was soll ich denn in Ixion machen?«
»Ich weiß nicht. Ich bin nicht der Befehlshaber dieser Flotte. Und wenn du gar nichts tust, wirst du diesen Posten auch nicht mehr lange innehaben.«
»Wenn das ein dezenter Hinweis darauf sein soll, dass die Vernichtung dieser Flotte bei Ixion unausweichlich zu sein scheint…«
»Nein!« Sie gestikulierte heftig. »Das ist es nicht. Es ist ein großes Problem, bei dem ich dir nicht behilflich sein kann, weil ich nicht weiß, wie man eine Flotte befehligt. Aber es sind nicht nur die Syndiks, über die du dir Gedanken machen musst«, erklärte sie. »Dein Schicksal und deine Position sind eng mit dem Schicksal und dem Zustand dieser Flotte verbunden. Momentan ist diese Flotte verwundet, und damit bist du auch verwundet. Was geschieht mit einem verwundeten Hirsch, John Geary?«
Das Bild, das sie heraufbeschwor, behagte ihm nicht, doch ihm war klar, wie recht sie hatte. »Er wird zu einem verlockenden Ziel für Wölfe, die sich zusammenrotten, ihn angreifen und zu Boden ringen.«
»Du kennst einige Wölfe in dieser Flotte, aber nicht alle. Seit du das Kommando übernommen hast, stellen sie dich immer wieder auf die Probe, um nach Schwächen zu suchen und um dich zu Fall zu bringen. Trotzdem hast du jedes Mal gewonnen und richtig gelegen, sodass sie nicht genug Anhänger auf ihre Seite ziehen konnten. Jetzt haben sie Blut geleckt, und bei der nächstbesten Gelegenheit werden sie sich auf dich stürzen. Sobald diese Flotte Ixion erreicht, werden sie auf ihre Chance lauern und gegen dich vorgehen. Nach allem, was bei Lakota geschehen ist, wirst du von desillusionierten und verängstigten Offizieren keinen Rückhalt bekommen.«
Es gelang ihm, genügend Zugang zu seinen Gefühlen zu finden, um Rione einen wütenden Blick zuzuwerfen. »Wenn du mich mit deiner kleinen Ansprache motivieren willst, damit ich wieder die Initiative ergreife, dann muss ich dir leider sagen, dass bei dir auf dem Gebiet noch großer Nachholbedarf besteht.«
Sie konterte mit einem ebenso giftigen Blick. »Meinst du, nur du bist hier die Zielscheibe? Jeder weiß, ich bin deine Verbündete und deine Liebhaberin. Zumindest ein paar deiner Widersacher in dieser Flotte haben herausgefunden, dass mein Mann bei seiner Gefangennahme noch lebte. Ja, da bin ich mir ganz sicher. Sie warten darauf, diese Information dann einzusetzen, wenn sie den größten Schaden anrichten wird. Das wird bei Ixion der Fall sein. Dort wird man deine Liebhaberin als eine Opportunistin entlarven, die keinen Funken Ehre besitzt. Auf dich wird das abfärben, weil du mich verteidigst, oder aber du wirst wie ein Schwächling dastehen, weil du zulässt, dass andere mich schneiden. Nicht jede Waffe, die auf dich gerichtet wird, muss auch zwangsläufig dich treffen.«
Ihm kam nichts Vernünftiges in den Sinn, was er dazu sagen sollte, abgesehen von einem schwachen, hilflosen: »Es tut mir leid.«
»Soll ich dir dafür etwa dankbar sein?«, fuhr Rione ihn an, stand auf und ging in seinem Quartier wütend auf und ab. »Du musst mich nicht verteidigen. Ich kam aus freien Stücken zu dir, und wenn ich Schande über mich bringe, dann ist das ganz allein meine Schuld.«
»Ich werde dich verteidigen.«
»Erspar mir deine Ritterlichkeit!« Mit einem Zeigefinger fuchtelte sie zornig vor seinem Gesicht hin und her. »Verteidige lieber diese Flotte! Die braucht dich! Ich kann sie nicht retten. Ich kann den Männern und Frauen der Flotte sagen, wie sehr ich sie bewundere und respektiere. Ich kann ihnen sagen, wie sehr die Allianz ihren Dienst und ihre Aufopferung zu schätzen weiß. Aber ich kann ihnen keine Befehle erteilen. Ich weiß gar nicht, wie das geht. Und das gilt für jeden deiner Verbündeten. Ich weiß, du erwartest von Captain Duellos, dass er deine Nachfolge antritt. Aber er wird noch viel mehr Widerstand begegnen als du, und er wird scheitern.«
Jetzt wurde er auch allmählich wütend. »Willst du damit vielleicht sagen, ich sei nicht zu ersetzen? Niemand außer mir könne diese Flotte befehligen? Seit wir uns das erste Mal unterhalten haben, bekomme ich von dir zu hören, ich solle es bloß nicht wagen, so etwas jemals zu glauben! Und wenn doch, dann würde ich damit den Untergang dieser Flotte besiegeln und auch den Untergang der Allianz. Und ob du es mir glaubst oder nicht, Victoria Rione, aber ich höre dir zu und lasse mir deine Worte gründlich durch den Kopf gehen. Ich bin nicht Black Jack.«
»Doch, der bist du.« Rione kam näher und legte beide Hände an seinen Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. »Du bist Black Jack. Der bist du wirklich. Kein Mythos, sondern der einzige Mensch, der diese Flotte und die Allianz retten kann. Lange Zeit habe ich das nicht geglaubt. Ich habe nicht an diesen Mythos geglaubt. Vielleicht bist du ja auch gar nicht dieser Mythos,… aber die Legende gibt dir die Fähigkeit, andere zu inspirieren und zu führen. Diese Fähigkeit hast du nicht missbraucht. Und genauso wichtig ist, dass du das Wissen mitgebracht hast, wie man kämpft. Ein Wissen, das diese Flotte schon einige Male gerettet und den Syndiks schwere Verluste zugefügt hat. Und das kannst du wieder machen, weil so viele dich für Black Jack halten und weil du die Dinge vollbracht hast, die man nur von Black Jack erwarten konnte.«