»Ich kann nicht…«
»Du musst!« Sie wich wieder ein paar Schritt zurück. »Ich sage nicht die richtigen Dinge. Wir haben das Bett geteilt und kennen uns körperlich, während unsere Seelen voreinander verborgen geblieben sind. Du brauchst jemanden, an dessen Worte du glaubst, jemanden, der zu dir in der Form sprechen kann, die dir als Befehlshaber der Flotte vertraut ist.«
Der Zorn war verflogen, Müdigkeit machte sich wieder breit. »Worte werden nichts ändern, ganz egal, wer sie spricht.« Worte konnten nichts am Zustand der Flotte ändern, sie machten die Verluste nicht ungeschehen. Und sie änderten auch nichts an der Größe der Syndik-Streitmacht, von der sie nach Ixion verfolgt wurden.
»Das werden wir ja sehen.« Rione verließ sein Quartier, und lediglich die Automatik verhinderte, dass sie die Luke hinter sich zuschlug.
Irgendwann später wurde die Türglocke betätigt, was ihm verriet, dass es nicht Rione war, die sich an einer weiteren Motivationsrede versuchen wollte, denn sie hätte einfach hereinkommen können. »Ja, herein?«
»Captain Geary, Sir?« Captain Desjani stand in der Tür und sah ihn unsicher an.
Geary bemühte sich, gerade in seinem Sessel zu sitzen, und zog seine Uniform zurecht. »Entschuldigung, Captain Desjani.« Er sollte noch etwas sagen. »Was führt Sie zu mir?«
»Ich… Darf ich mich setzen, Sir?«
Darum hatte sie ihn noch nie gebeten, folglich war das kein routinemäßiger Besuch — aber darauf hätte er auch so kommen müssen. »Natürlich. Entspannen Sie sich.« Frag sie nach ihrem Schiff, du Idiot. »Was macht die Dauntless?«
Sie setzte sich, aber natürlich entspannte sie sich nicht. »Unsere Höllenspeer-Batterien arbeiten alle wieder. Im Munitionsdepot befindet sich nur noch eine Teilsalve Kartätschen, Phantome überhaupt keine mehr. Der Schaden an der Hülle wird bei der Ankunft im Ixion-System noch nicht vollständig behoben sein, aber wir werden alles so flicken, dass wir wieder kämpfen können.« Sie hielt inne. »Wir haben siebzehn Besatzungsmitglieder verloren, sechsundzwanzig sind so schwer verletzt, dass sie vorläufig ihren Dienst nicht verrichten können.«
Siebzehn Tote. Er fragte sich, wie viele er von ihnen wohl wiedererkannt hätte. Vermutlich die meisten. »Ich werde an der Totenfeier teilnehmen. Lassen Sie mich wissen, wann sie stattfindet.« Die Beerdigungen konnten erst nach der Ankunft bei Ixion vorgenommen werden. Niemals wurden irgendwelche sterblichen Überreste dem Sprungraum überantwortet.
»Selbstverständlich, Sir.« Desjani wandte den Blick für einen Moment ab, dann sprach sie hastig weiter: »Sir, Co-Präsidentin Rione hat mich gebeten, mit Ihnen zu sprechen. Sie sagt, unsere Verluste bei Lakota hätten Sie schwer getroffen, und sie meint, ich sei womöglich in der Lage, mit Ihnen darüber zu reden.«
Na, großartig! Als ob es nötig war, dass Desjani ihn deprimiert erlebte! Warum konnte Rione nie etwas auf sich beruhen lassen? »Danke, aber das halte ich nicht für erforderlich.«
Sie sah ihn an, musterte sein Gesicht und seine Uniform, dann sagte sie: »Sir, bei allem Respekt, doch danach sieht es nicht aus.«
Er konnte Desjani eine wütende Bemerkung an den Kopf werfen, aber das wäre ungerecht gewesen, und es hätte auch zu viel Mühe gekostet. »Schon verstanden. Okay.«
Wieder schwieg sie, als warte sie ab, ob er tatsächlich einverstanden war, dann erklärte sie eindringlich: »Ich wusste, Ihnen würden die Verluste zu schaffen machen, Sir. Das ist Ihre Art. Es gehört mit zu den Dingen, die Sie zu einem so großartigen Befehlshaber machen. Aber Sie sind auch jemand, der versteht, warum der Kampf weitergehen muss. Das konnte ich so oft beobachten. Sie müssen sich eigentlich weder von mir noch von irgendwem anders gut zureden lassen. Sie bekommen sich wieder in den Griff, und dann denken Sie sich aus, was getan werden muss. Und dann werden wir die Syndiks wieder schlagen.«
»Diesmal haben wir sie nicht geschlagen.« So ungern er das auch sagte, doch diese Wahrheit musste ausgesprochen werden.
Desjani dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht, Sir. Die Syndiks wollten uns in eine Falle locken und vernichten. Es ist ihnen nicht gelungen. Wir wollten Lakota verlassen, und genau das haben wir geschafft.«
Das machte ihn stutzig, denn genau genommen hatte Desjani völlig recht. Wenn man es so betrachtete, dann hatten die Syndiks verloren, und die Allianz-Flotte hatte gesiegt, da es ihr gelungen war, zu überleben und zu entkommen. Dennoch… »Danke, Tanya. Aber… wir haben viele Schiffe verloren. Ein Schlachtkreuzer, vier Schlachtschiffe…«
»Ja, Sir, ich weiß«, unterbrach sie ihn. »Ich wünschte, dieser Sieg wäre so wie die anderen verlaufen, bei denen die Verluste vernachlässigt werden konnten. Aber nicht jedes Gefecht kann so glimpflich ablaufen, erst recht nicht, wenn wir mit einer solchen Übermacht konfrontiert werden.«
Eigentlich sollte sie ihm diese Dinge gar nicht erst noch sagen müssen. Für einen Moment ließ er sich seine Trauer und seine Wut anmerken und sah, dass Desjani darauf reagierte. »Diese Leute haben mir vertraut, dass ich sie nach Hause bringen werde. Sie werden jetzt nicht mehr nach Hause kommen.«
»Sir.« Sie beugte sich vor, ihr Gesicht ließ ihre Gefühle erkennen. »Nicht jeder kehrt aus einer Schlacht zurück. Das lernt jeder von uns sehr früh. Wir alle haben Freunde und Kameraden verloren, so wie es unseren Müttern und Vätern vor uns ergangen ist, und so wie es deren Müttern und Vätern vor ihnen ergangen ist. Aber Sie wurden geschickt, um uns zu retten. Ich weiß das, und die meisten Offiziere und fast alle Matrosen in dieser Flotte wissen das. Sie sind auf einer Mission der lebenden Sterne unterwegs, und diese Mission lautet, die Flotte nach Hause zu bringen und die Allianz zu retten. Das bedeutet, Sie können gar nicht scheitern. Wir alle wissen das, und schon bald werden Sie sich auch wieder daran erinnern und sich überlegen, was als Nächstes geschehen muss.«
Ihr Glaube an ihn hatte etwas fast Beängstigendes an sich, denn er wusste, wie fehlbar er war, und er konnte einfach nicht glauben, dass jemand wie er von irgendeiner höheren Macht auf eine Mission geschickt werden könnte. »Ich bin so sehr ein Mensch wie Sie, Tanya.«
»Natürlich sind Sie das! Die lebenden Sterne und unsere Vorfahren wirken durch die Lebenden! Das weiß doch jeder!«
»Diese Flotte braucht mich nicht. Die Allianz braucht mich nicht. Ich bin kein…«
»Sir, selbstverständlich brauchen wir Sie!«, unterbrach Desjani ihn in einem fast flehenden Tonfall. »Ich weiß nicht, was ich… was diese Flotte ohne Sie machen sollte und was ohne Sie aus der Allianz werden sollte. Sie kamen aus einem bestimmten Grund zu uns. Wären Sie nicht bei uns im Syndik-Heimatsystem gewesen, dann hätte dies das Ende der Flotte bedeutet, und die Allianz wäre verloren gewesen. Wir sind Ihnen gefolgt, weil wir Ihnen vertrauen, und Sie haben durch Ihre Taten und Worte wieder und wieder bewiesen, dass Sie dieses Vertrauen verdienen.«
Wieder wollte Geary protestieren, doch dann begriff er auf einmal, als hätte einer seiner Vorfahren es ihm zugeflüstert. Er hatte die Crews jener Schiffe enttäuscht, die bei Lakota vernichtet worden waren. Das war schlimm, daran gab es keinen Zweifel, aber viel schlimmer wäre es, die Besatzungen der überlebenden Schiffe zu enttäuschen, ihnen den Glauben an ihn zu nehmen, wenn das das Einzige war, was sie nach vorn schauen ließ. Sie vertrauten auf ihn, und er wusste es. So wie die Besatzungen der Audacious, der Defiant und der Indefatigable gewusst hatten, dass der Rest der Flotte auf sie zählte. Er musste sich in den Griff bekommen, und Desjani und Rione hatten beide recht, wenn sie sagten, dass er derjenige sein musste, der sie anführte.