„Wir können zweierlei tun. Wir wissen noch nicht unbedingt, wo die Quelle der Vergiftung liegt, aber es steht fest, daß es eine rein innere Erkrankung ist. Wir lassen zunächst jeden, der Fisch gegessen hat, ein paar Glas Wasser trinken. Natürlich nur diejenigen, die noch nicht allzu krank sind. Das wird das Gift verdünnen und die Vergiftungserscheinungen mildern. Anschließend werden wir ein Brechmittel geben. Falls nicht genug Tabletten in meinem Koffer sind, nehmen wir Salz. Haben Sie genügend an Bord?"
„Ich habe nur ein paar kleine Päckchen, die sonst zum Essen gereicht werden. Aber wir können sie ja aufmachen."
„Wir wollen sehen, wie weit die Tabletten reichen. Ich fange hier hinten damit an, und Sie bringen den Leuten Wasser, die bereits Krankheitserscheinungen zeigen. Bringen Sie dem Ersten Offizier auch welches. Sie werden Hilfe brauchen." Als Baird aus der Küche trat, stieß er fast mit dem kümmerlichen Lancashire-Mann, genannt Otpot, zusammen.
„Kann ich etwas für Sie tun, Doktor?" Seine Stimme klang jetzt ganz manierlich.
Baird erlaubte sich ein Lächeln. „Danke. Vor allem was haben Sie zum Dinner gegessen?"
„Fleisch, Gott sei Dank", seufzte Otpot mit Inbrunst. „Gut. Dann brauchen wir uns momentan nicht den Kopf über Sie zu zerbrechen. Wollen Sie der Stewardeß helfen, Wasser unter den kranken Passagieren zu verteilen? Ich möchte, daß jeder mindestens drei Glas trinkt - wenn möglich, mehr."
Otpot nickte und trat in die Kombüse. Sein Eintritt rief auf Janets Gesicht ein kleines, müdes Lächeln hervor. Unter normalen Umständen konnte ihr Lächeln den Pulsschlag des ganzen Luftlinienpersonals beschleunigen. Jetzt aber erkannte der Lancashire-Mann hinter ihrem Lächeln die langsam aufsteigende Furcht. Er zwinkerte ihr zu.
„Haben Sie keine Angst, Miß. Es wird schon alles wieder in Ordnung kommen. "
Janet sah ihn dankbar an. „Ich bin überzeugt davon, danke. Schauen Sie, hier ist der Wasserhahn, und dort sind die Becher, Mr.... "
„Meine Freunde nennen mich Otpot", sagte er. „Otpot?" wiederholte Janet ungläubig. „Ja, Lancashire-Otpot, wissen Sie." Janet brach in herzliches Lachen aus. „So gefallen Sie mir schon besser, Miß", sagte der Lancashire-Mann. „Wo sind die Becher, sagten Sie? Los, fangen wir an. - Das ist eine schöne Luftlinie... Erst gibt sie ihren Passagieren ein Nachtessen - und dann verlangt sie's wieder zurück!"
Es muß sich schon allerhand ereignen, um das Gleichgewicht eines großen Flughafens zu stören. Panik ist hier etwas Unbekanntes, und sie würde - falls sie wirklich einmal ausbrechen sollte - sofort beseitigt werden, denn sie wäre eine äußerst verderbliche Form der Aktivität.
Als Duns Notruf durchkam, entstand im Kontrollraum von Vancouver eine Atmosphäre gewaltsam unterdrückter Erregung. Vor dem Funkgerät saß ein Mann, der die Meldung Duns direkt in die Schreibmaschine übertrug und sich nur einmal kurz unterbrach, um die Alarmglocke auf seinem Pult zu bedienen. Er arbeitete weiter, als ein zweiter Mann von hinten zu ihm trat, sich über seine Schulter beugte und die Worte las, die auf dem Papier in der Schreibmaschine entstanden. Der Neuankömmling, den die Alarmglocke herbeigerufen hatte, war der Flughafenkontrolleur, ein großer, hagerer Mann, der sein Leben in der Luft verbracht hatte und die Flugbedingungen über der nördlichen Hemisphäre kannte wie seinen eigenen Gemüsegarten. Kaum hatte er die halbe Botschaft gelesen, so drehte er sich abrupt um und rief dem Telefonisten, der auf der anderen Seite des Raumes saß, einen Befehl zu: „Geben Sie mir sofort ATC. Dann machen Sie die Fernschreibleitung nach Winnipeg frei. Vordringliche Meldung." Der Kontrolleur nahm den Hörer ab, wartete einige Sekunden und sagte: „Hier ist der Vancouver Controller." Seine Stimme war absolut ruhig. „Maple Leaf Charter Flight 714 von Winnipeg nach Vancouver meldet Notfall. Ernsthafte Nahrungsmittelvergiftung bei den Passagieren. Offenbar wirklich ernst. Auch der Copilot ist erkrankt. Es ist angebracht, sämtliche Höhen unter ihnen freizumachen für bevorzugten Anflug und Landung. Können Sie's machen? Gut. Voraussichtliche Ankunftszeit ist 05.05."
Er blickte auf die Wanduhr und sah, daß es 2.15 Uhr war. „Wir halten Sie auf dem laufenden. " Er drückte die Telefongabel mit dem Daumen nieder und ließ ihn dort ruhen, während er sich an den Fernschreibmann wandte: „Haben Sie Winnipeg? Gut. Geben Sie diese Meldung durch:
,Controller Winnipeg. Dringend. Maple Leaf Charter Flight 714 meldet ernste Lebensmittelvergiftung bei den Passagieren. Die Besatzung nimmt an, daß sie durch ein zum Dinner serviertes Essen hervorgerufen wurde. Suchen Sie dringend die Quelle und verhindern Sie jegliche Nahrungsmittelausgabe durch Ihren örtlichen Essen-Service. Die Quelle liegt nicht - ich wiederhole: nicht bei den regulären Airline-Lieferanten. Ende.'" Er drehte sich wieder zum Telefonschaltbrett um. „Geben Sie mir den hiesigen Manager der Maple Leaf Charter. Sein Name ist Burdick. Anschließend will ich die Stadtpolizei haben. Den obersten diensthabenden Offizier."
Er lehnte sich wieder über den Mann, der Duns Meldung aufgeno mmen hatte, und las nun die Durchsage des Piloten zu Ende.
„Bestätigen Sie das, Crag. Sagen Sie ihnen, daß alle Höhen unter ihnen geräumt werden und daß wir ihnen später die Landeinstruktionen geben. Wir wünschen außerdem laufend weitere Nachrichten über das Befinden der Passagiere."
Im Stockwerk darunter drehte sich ein anderer Telefonist auf seinem Stuhl herum und rief in den Raum: „Was ist auf GRÜN EINS zwischen hier und Calgary los?"
„Westlich unterwegs: eine North Star der Luftwaffe auf 18 000 Fuß. Hat sich gerade über Penticton gemeldet. Maple Leaf 714..."
„714 hat Schwierigkeiten. Alle Höhen darunter sollen freigemacht werden."
„Die North Star ist weit voraus, und dahinter kommt nichts. Für östliche Richtung steht eine Constellation startbereit."
„Laß sie raus, aber halte allen nach Osten gehenden Verkehr vorläufig auf. Laß die North Star sofort herein, wenn sie ankommt. "
Im oberen Stockwerk hatte der Kontrolleur erneut den Telefonhörer abgenommen. Er hielt ihn in einer Hand - die andere fingerte an der Krawatte herum, um den Knoten zu lockern. Gereizt warf er das Stück rote Seide auf den Tisch. „Hallo - Burdick? Hier Controller. Wir haben einen Notruf von Luftstraßenbezeichnung einem eurer Flüge, 714 von Toronto nach Winnipeg. Wie? Nein, das Flugzeug ist in Ordnung. Der Erste Offizier und verschiedene Passagiere haben sich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen. Ich habe Winnipeg sofort verständigt, damit sie dort die Quelle suchen. Immerhin war's nicht der normale Lieferant. Nein, das ist richtig. Es ist am besten, wenn Sie so schnell wie möglich herüberkommen..."
Wieder drückte er die Telefongabel mit dem Daumen nieder. Er wandte sich an den Telefonisten: „Haben Sie die Polizei? Gut. Geben Sie her. - Hallo, hier ist der Controller von Vancouver Airport. Mit wem spreche ich, bitte? Hören Sie, Inspektor, wir haben einen Notruf von einem Flugzeug. Ein paar Passagiere und eines der Besatzungsmitglieder sind an Lebensmittelvergiftung erkrankt. Wir brauchen dringend Ambulanzen und Ärzte auf dem Flugplatz. Wie? Drei schwere Fälle. Möglicherweise mehr. Seien Sie auf einiges gefaßt. Die Maschine landet gegen 5 Uhr Ortszeit, also in etwa zweieinhalb Stunden. Bitte, alarmieren Sie die Krankenhäuser und die Ambulanzwagen. Können Sie Begleitung stellen? Gut. Wir rufen Sie an, sobald wir mehr wissen."
Innerhalb von fünf Minuten traf keuchend Harry Burdick ein. Der örtliche Maple-Leaf-Manager war ein korpulenter kleiner Mann mit einem unerschöpflichen Vorrat an Schweiß. Niemand hatte ihn je ohne Schweißbäche gesehen, die ihm über das Gesicht liefen. Er stand in der Mitte des Raumes, hatte die Jacke über den Arm geworfen, rang nach Atem und wischte sich sein Mondgesicht mit einem großen, blaugepunkteten Taschentuch ab.