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„Mein Gott", sagte Childer mit einem tiefen Atemzug, „es tut gut, das von Ihnen zu hören!" Ja, dachte Baird, - wenn ich den Mumm hätte, ihnen die Wahrheit zu sagen... „Hören Sie", schlug Childer vor, „können wir nicht abbiegen - Sie verstehen? Ich meine, auf einem nähergelegenen Flugplatz landen?"

„Wir haben auch daran gedacht", antwortete Baird. „Aber wir haben Bodennebel, der eine Landung auf einem anderen Platz höchst gefährlich machen würde. Außerdem sind wir schon über den Rocky Mountains. Am schnellsten bringen wir Ihre Frau in gute Obhut, wenn wir direkt nach Vancouver fliegen."

„Aha. - Sie glauben immer noch, es war der Fisch, Doktor?"

„Momentan kann ich noch keine sicheren Schlüsse ziehen. Aber ich nehme es an. Lebensmittelvergiftung kann entweder durch verdorbene Speisen an sich hervorgerufen werden - der medizinische Name dafür ist Staphylokokken-Vergiftung - oder dadurch, daß während der Zubereitung ein Giftstoff hineingeriet. "

„Doktor", fragte ein Passagier, der sich aufgerichtet hatte, um Bairds Worte zu hören, „was glauben Sie, könnte es sein?"

„Ich bin nicht sicher, aber die Symptome, die sich bei den Leuten hier zeigen, erwecken den Verdacht, daß das zweite wahrscheinlicher ist als das erstere. Eine Giftsubstanz..."

„Sie wissen nicht, was es ist?"

„Keine Ahnung. Wir wissen nichts, bevor wir keine exakten Versuche im Labor machen können. Bei den modernen Methoden und besonders bei der Sorgfalt, mit der die Luftlinien die Speisen zubereiten, ist die Möglichkeit, daß etwas Derartiges passiert, nicht größer als eins zu einer Million. Wir hatten einfach Pech. Ich kann Ihnen nur versichern, daß unser heutiges Abendessen nicht vom üblichen Lieferanten stammte. Irgend etwas ist schiefgegangen, weil wir in Winnipeg so spät eintrafen, und so hat uns eine andere Firma beliefert. Das kann -vielleicht - die Ursache sein." Childer nickte. Er dachte über das Gespräch nach. Eigenartig, daß sich Leute durch die Worte eines Mediziners beruhigen lassen, überlegte der Arzt seinerseits selbstkritisch. Selbst wenn man als Arzt schlechte Nachrichten bringt, ist die Tatsache, daß sie von ihm kommen, beruhigend: Er ist der Arzt! Er wird also dafür sorgen, daß nichts Schlimmes geschieht! Vielleicht sind wir gar nicht soweit vom Hexenglauben entfernt, dachte Baird. Er spürte leisen Ärger darüber in sich aufsteigen. Immer ist es der Arzt mit seinen »Zauberkräften«, der wieder eine Art Aberglauben erweckt. Den größten Teil seines Lebens hatte er, Baird, damit verbracht, zu pflegen, einzurenken, leichter darzustellen, als es wirklich war, schönzutun, Angst zu nehmen und Vertrauen zu erwecken, auf sein Können zu hoffen und auf seine Geschicklichkeit. Dies aber konnte der Augenblick der Wahrheit sein, die letzte, unabänderliche Aufgabe, von der er immer gewußt hatte, daß er ihr eines Tages gegenüberstehen würde.

Baird spürte plötzlich Janet neben sich. Er sah sie fragend an und bemerkte, daß sie unmittelbar vor einem hysterischen Ausbruch stand.

„Zwei weitere Passagiere sind krank geworden - dort hinten."

„Sind Sie sicher, daß es nicht nur an den Pillen liegt?" fragte er zurück.

„Ja, ziemlich sicher."

„Okay. Ich gehe gleich hin. Würden Sie nochmals nach dem Ersten Offizier sehen, Miß Benson? Vielleicht will er noch etwas Wasser haben."

Schnell hatte er die beiden neuen Kranken erreicht und begann seine Untersuchung, bevor Janet zurückkam. „Doktor", sagte sie, „ich bin schrecklich beunruhigt. Ich glaube, Sie sollten... "

Das Summen in der Bordverständigungsanlage durchschnitt messerscharf ihre Worte. Sie stand wie am Boden angenagelt. Baird war es, der sich zuerst rührte. „Erschrecken Sie nicht", stieß er hervor. „Schnell!" Baird raste mit einer ihm selbst fremden Schnelligkeit an den Sesselreihen vorbei und stürzte in die Pilotenkabine. Dort hielt er einen Augenblick inne, während sich Augen und Gehirn bemühten aufzunehmen, was hier geschehen war. Dann begriff er, und eine Stimme in ihm sagte: ,Du hast recht gehabt. - Jetzt ist es soweit...'

Der Captain war in seinem Sitz zusammengesunken. Schweiß bedeckte sein Gesicht und färbte den Kragen der Uniform dunkel. Eine Hand hielt er auf den Magen gepreßt, die andere drückte auf den Bordverständigungsknopf neben sich.

Mit zwei Schritten war der Doktor hinter ihm und beugte sich über die Lehne des Sitzes, wobei er ihn unter den Armen packte.

Dun fluchte mit zusammengebissenen Zähnen vor sich hin.

„Langsam, langsam", sagte Baird. „Wir nehmen Sie wohl am besten hier weg."

„Ich... Was sagten Sie?" Dun keuchte, schloß die Augen und preßte die Worte stoßweise hervor: „Es ist zu spät... Geben Sie mir was, Doktor... Geben Sie mir schnell was... Ich muß durchhalten... Ich muß uns doch runterbringen... Der Autopilot ist eingeschaltet, aber... Muß uns doch runterbringen... Muß der Control sagen... Muß melden..."

Seine Lippen bewegten sich in verzweifelter Anstrengung. Dann verdrehte er die Augen und wurde bewußtlos. „Schnell, Miß Benson", rief Baird. „Helfen Sie mir, ihn rauszuheben."

Mit Mühe zerrten sie den schweren Körper Duns vom Pilotensitz und legten ihn auf den Boden neben den Copiloten. Eilig zog Baird sein Stethoskop aus der Tasche und untersuchte ihn. In Sekundenschnelle hatte Janet Mäntel und Decken ausgebreitet, und sobald der Doktor fertig war, machte sie für Dun ein Lager zurecht und hüllte ihn ein.

Sie zitterte, als sie sich wieder erhob. „Können Sie tun, was er verlangte, Doktor? Können Sie ihn wieder zu sich bringen, damit er landen kann?" Baird steckte seine Instrumente in die Tasche. Er sah nach den Geräten und Schaltern, nach den Steuersäulen, die sich noch immer aus eigener Kraft bewegten. Im Schein des gedämpften Lichts der Instrumente sah er plötzlich viel älter und sehr beunruhigt aus. „Sie gehören zur Besatzung, Miß Benson, grob gesagt!" Seine Stimme war so hart, daß das Mädchen zusammenfuhr. „Können Sie sich vorstellen, was jetzt passiert...?"

„Ich glaube ja. Ich..." Sie schwankte. „Sehr gut. Wenn ich all diese Leute nicht schnell - sehr schnell - in ein Krankenhaus bringen kann, bin ich nicht sicher, ob sie zu retten sind."

„Aber das ist doch alles furchtbar..."

„Sie brauchen Stimulanzien, intravenöse Einspritzungen gegen Schocks. Der Captain auch. Er hat zu lange durchgehalten."

„Geht's ihm sehr schlecht?"

„Es wird bald kritisch werden. Das gilt auch für alle anderen."

Janet wisperte kaum hörbar: „Doktor - was sollen wir bloß machen? "

„Eine Frage: Wieviel Passagiere haben wir insgesamt an Bord?"

„Sechsundfünfzig", antwortete. Janet. „Wieviel Fisch-Dinners haben Sie serviert?" Janet versuchte sich zu erinnern. „Ungefähr fünfzehn, glaube ich. Der größte Teil der Passagiere hat Fleisch gegessen. Einige nahmen gar nichts, weil es schon so spät war."

„Aha."

Baird schaute sie an. Als er wieder sprach, war seine Stimme rauh, ja, fast kriegerisch: „Miß Benson, haben Sie schon mal was von ,long odds' gehört?" Janet versuchte zu begreifen: „Long odds? Ja, ich glaube. Aber ich weiß nicht, was es bedeutet."

„Ich will es Ihnen erklären", sagte Baird. „Wir haben nur eine Chance zum Überleben: nämlich dann, wenn sich an Bord dieses Flugzeuges ein Mensch befindet, der erstens nicht nur fähig ist, die Maschine zu landen, sondern obendrein auch keinen Fisch gegessen hat..." Seine Worte schienen zwischen ihnen zu hängen, während sie sich reglos gegenüberstanden und einander anstarrten.

02 Uhr 45 - 03 Uhr 00

Der Schock, den die Worte des Arztes in Janet hervorgerufen hatten, drang wie durch einen schmerzstillenden Tampon in sie ein. Sie begriff, daß es an der Zeit war, sich auf den Tod vorzubereiten. Bis zu diesem Augenblick hatte sich ein Teil ihres Bewußtseins beharrlich geweigert zu erfassen, was vorging. Während sie damit beschäftigt gewesen war, die Passagiere zu versorgen und die Kranken zu pflegen, hatte sie geglaubt, daß es ein böser Traum sei, der auf ihr lastete, jene Art Traum, in dem eine alltägliche Szene sich plötzlich in ein entsetzliches Geschehen verwandelt, und zwar durch irgendeinen völlig unerwarteten, aber an sich folgerichtigen Zufall. Eine innere Stimme sagte ihr: gleich wachst du auf, gleich findest du die Bettdecke auf dem Boden, der Wecker wird rasseln, und du mußt aufstehen, um zum Start bereit zu sein... Dann war der Gedanke an einen Traum plötzlich wie weggewischt, und sie wußte, daß alles tatsächlich geschehen war. Daß es ihr geschehen war, Janet Benson, der netten, einundzwanzigjährigen Blondine, der die Flugzeugbesatzungen mit bewundernden Blicken nachsahen, wenn sie vorüberschritt. Ihre Furcht verließ sie für einen Augenblick. Sie dachte an ihre Familie und daran, wie es möglich war, daß ihr, Janets, Leben innerhalb weniger Sekunden inmitten von aufkreischendem Metall verlöschen würde, ohne daß jene, die sie zur Welt gebracht hatten, auch nur das geringste fühlten, weil sie viele tausend Meilen entfernt friedlich schliefen... „Ich habe verstanden, Doktor", sagte sie ruhig. „Kennen Sie jemanden an Bord, der etwas vom Fliegen versteht?"