IHR RETTUNGSGURT IST UNTER DEM SITZ
Spencer lachte. „Ich wäre wahrscheinlich schon im Regen ersoffen, wenn ich diese Maschine nicht erreicht hätte."
„Auch ein Fußballfan, eh?"
„Fan?" Spencer erinnerte sich, daß dies ja ein Charterflug war, der wegen eines Fußballspiels eingesetzt worden war. „Nee...", sagte er hastig. „Ich hatte nicht das Spiel im Kopf. Ich sag's nicht gern, aber ich muß nach Vancouver, um eine geschäftliche Verabredung einzuhalten. Ich würde das Match gern sehen. Aber ich fürchte, es kommt nicht in Frage."
Sein Nachbar sprach lauter, um den aufkommenden Motorenlärm zu übertönen: „Ich würde das an Ihrer Stelle nicht so laut sagen. Dies Flugzeug ist mit Querköpfen beladen, die nur mit einem Gedanken nach Vancouver gehen: fanatisch wie der Teufel zu ihren Jungen zu halten und den Gegner zu vernichten. Es ist nicht besonders ratsam, wenn Sie von diesem Naturereignis in so leichtem Ton sprechen... "
Spencer kicherte vor sich hin und beugte sich in seinem Sitz vor, um einen Blick in die Kabine zu werfen. Da saß eine Gesellschaft typischer, lauter, aufgeregter aber gutmütiger Sportfans, die alle mit dem einen Ziel unterwegs waren: die gegnerische Mannschaft zu vernichten und den Triumph zu feiern. Unmittelbar zur Rechten Spencers saß ein Mann mit einer Frau. Beide hatten die Nasen in die Blätter von Sportmagazinen gesteckt. Hinter ihnen saßen vier Männer, die damit beschäftigt waren, über die Verdienste verschiedener Spieler in den vergangenen Jahren zu diskutieren. Ein Teil ihrer Unterhaltung kam fetzenweise herüber: „Haggerty, Haggerty? Reden wir nicht von dem. Der kann Thunderbolt nicht das Wasser reichen. Aber da ist jetzt ein Mann..." Hinter den leicht angetrunkenen vier Männern war offensichtlich eine andere Gruppe der gleichen Clubfarbe placiert. Meist große, rotgesichtige Männer, die sich mit dem Spiel befaßten, das vor dem morgigen Vancouverspiel stattgefunden hatte.
Spencer drehte den Kopf wieder zu seinem Nachbarn hinüber. Gewöhnt, auf Kleinigkeiten zu achten, bemerkte er, daß der Mann einen vorzüglich geschnittenen Anzug trug. Keine Konfektion, nur ziemlich zerknittert. Die Krawatte paßte nicht dazu. Das langgeschnittene Gesicht, umrahmt von graumeliertem Haar, strahlte ein unbestimmbares Fluidum von Zuverlässigkeit und Autorität aus. Ein Charaktergesicht, konstatierte Spencer bei sich. „Ich fühle mich unter diesen Leuten wie ein Ketzer", bemerkte Spencer, das Gespräch erneut anknüpfend. „Aber ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich nur auf dem Weg zu einer Verkaufsreise an der Küste bin."
Sein Nachbar zeigte höfliches Interesse. „Und was verkaufen Sie?" fragte er.
„Lastwagen. Massenhaft Lastwagen."
„Aha, Lastwagen. Ich dachte, die würden durch normale Verkaufsgeschäfte an den Mann gebracht?"
„Normalerweise schon. Ich werde nur dann hingeschickt, wenn sich ein Geschäft anbahnt, bei dem es sich um dreißig, vierzig oder hundert Lastwagen handelt. Die örtlichen Verkaufsstellen lieben mich nicht sonderlich. Sie meinen, ich wäre der Scharfschütze vom Verkaufsbüro, der mit Sonderpreisen ankommt und einfach in ein Geschäft einhakt, für das sie vielleicht Wochen gebraucht hätten. Immerhin ist es ein ganz vernünftiges Leben." Spencer suchte nach seinen Zigaretten, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne. „Ah - sind wir jetzt nicht schon in der Luft?"
„Wenn wir es sind, dann fliegen wir verdammt tief und mit null Meilen Tempo", scherzte der Nachbar.
„Hm." Spencer streckte seine Beine aus. „Mann, bin ich müde! Heute war einer dieser verfluchten Tage, an denen man die Wände hinaufgehen könnte. Wissen Sie, was ich meine?"
„Ich glaube ja."
„Zuerst sagte dieser Vogel, daß er die Lastwagen des Konkurrenten schließlich doch lieber nehmen würde. Dann, als ich ihm meine verkauft hatte und gerade glaubte, daß ich morgen abend bei Frau und Kindern sitzen könnte - kam ein Telegramm, das mich für morgen mittag nach Vancouver zitierte. Dort droht ein großer Abschluß flöten zu gehen. Also muß ich fliegen und den schönen Tag in den Mond schreiben. " Spencer seufzte und setzte sich aufrecht. „He, wenn Sie vierzig oder fünfzig Lastwagen wollen, kann ich Ihnen einen passablen Rabatt geben. Würden Sie sich nicht wie ein Admiral fühlen, der eine Flotte befehligt?"
Der Mann neben ihm lachte. „Danke nein. Ich kann so viele Lastwagen kaum brauchen, fürchte ich. Es läge ein bißchen außerhalb meines Interessenkreises."
„Was machen Sie?" fragte Spencer.
„Medizin", kam es lakonisch.
„Arzt?"
„Ja, Arzt. Und deshalb bin ich für Sie zum Lastwagenverkauf kaum das geeignete Objekt. Ich könnte mir nicht mal leisten, einen einzigen zu kaufen - ganz abgesehen von vierzig. Die einzige Extravaganz, die ich mir erlauben kann, ist Fußball. Dafür reise ich überallhin, sofern ich die Zeit finde. Siehe auch dieser heutige Flug..."
Spencer legte den Kopf an die Lehne zurück und sagte: „Es ist nett, Sie neben sich sitzen zu haben, Doktor. Wenn ich nicht schlafen kann, bekomme ich doch von Ihnen ein Schlafmittel?"
Während er sprach, donnerten die Motoren plötzlich mit voller Lautstärke los. Das Flugzeug vibrierte, während es sich gegen die Bremsklötze stemmte.
Der Doktor brachte seine Lippen an Spencers Ohr und bemerkte: „Ein Schlafmittel wäre für Ihr Geschäft nicht besonders gut. Übrigens konnte ich nie verstehen, weshalb diese Flieger jedesmal vor dem Start all den Lärm machen müssen."
Das Dröhnen klang langsam ab, und Spencer konnte ohne Anstrengung sagen: „Das ist das normale Abbremsen der Motoren. Es muß sein, bevor eine Maschine startet. Jeder Motor hat zwei Magnete, damit sofern einer versagt - der andere noch arbeitet. Und während des Abbremsens - Sie wissen ja, das geschieht für jeden Motor einzeln - prüft der Pilot mit Vollgas und kann dabei feststellen, ob alle Magnete richtig arbeiten. Erst wenn der Pilot sich überzeugt hat, daß alles in Ordnung ist, startet er. Vorher nicht. Die Luftlinien müssen davon gottlob allerhand Aufhebens machen."
„Das hört sich an, als verstünden Sie eine Menge davon", meinte der Doktor.
„Nicht so schlimm. Ich war während des Krieges Kampfflieger. Aber das ist zehn Jahre her, und ich bin ziemlich verrostet, ich habe das meiste vergessen."
„Jetzt starten wir endlich", konstatierte der Doktor, als die Motoren plötzlich einen Ton tiefer orgelten. Starker Druck preßte die Passagiere in ihre Sitze, als sich die Maschine in Bewegung setzte. Allmählich wurde die Geschwindigkeit auf der Betonbahn schneller und schneller. Kurz darauf gab es einen sanften Ruck, der anzeigte, daß man nun in der Luft war. Der Motorenlärm ging in ein gleichmäßiges Geräusch über. Das Flugzeug stieg langsam, und Spencer beobachtete, wie unterhalb des in der Kurve geneigten Flügels die Flugplatzlichter nochmals aufblitzten.
„Sie können sich nun losschnallen", verkündete der Lautsprecher. „Sie dürfen jetzt auch rauchen, wenn Sie wollen."
„Ich bin immer froh, wenn dieses Manöver endlich vorbei ist", murrte der Doktor, öffnete seinen Gurt und nahm eine Zigarette von Spencer an. „Danke. Übrigens - ich heiße Baird, Bruno Baird."
„Freut mich, Doktor", sagte Spencer. „Ich bin Spencer, George Spencer von der Fulbright Motor Company." Eine Zeitlang schwiegen sie. Abwesend sogen sie an ihren Zigaretten und verfolgten die Rauchwölkchen, die langsam durch die Kabine zogen, bis sie vom Frischluftstrom erfaßt und abgesaugt wurden. Spencer träumte vor sich hin. Er sah, wie er zum Hauptbüro zurückkommen würde. Obwohl er die Sache telefonisch schon dem örtlichen Vertreter von Winnipeg erklärt hatte, ehe er das Taxi zum Flugplatz bestellte, würde diese Vancouver-Sache allerhand Mühe bereiten. Spencer rechnete sogar mit einem Mordstheater. Aber wenn er bei diesem Auftrag Erfolg hatte, würde er vielleicht eine Gehaltserhöhung bekommen - oder gar befördert werden. Vielleicht könnte er den Posten als Leiter der Verkaufsabteilung erhalten, den sein Chef schon oft erwähnt hatte. Aber nie war etwas daraus geworden. Mary und er, Bobsie und Klein-Kit könnten vielleicht aus dem scheußlichen Haus in die Parkway Hights umziehen. Oder man könnte alle Rechnungen bezahlen für den neuen Wasserboiler, das Schulgeld, die Installation des Kühlschranks oder die Krankenhausrechnungen, die für Marys letzte Niederkunft noch offen waren. Oder doch nicht alles, überlegte Spencer. Nein, das täte er nicht einmal am Zahltag.