Er lauschte auf die Bestätigung. Seine Augen wanderten über das gefrorene Wolkenmeer unter und vor ihm. „Vancouver Control" klang so steif und unpersönlich wie eh und je. Dennoch konnte Dun recht gut ermessen, daß die aus einfachen Worten gebildete Bombe, die er dort unten an der fernen westlichen Küste explodieren ließ, eine emsige Tätigkeit auslösen würde. Fast erschöpft beendete Dun seine Durchsage und lehnte sich in den Sitz zurück. Er fühlte sich seltsam schwer und müde, als ob Blei durch seine Glieder flösse. Als seine Augen automatisch über die Instrumente wanderten, schienen diese plötzlich vor ihm zurückzuweichen, bis sie weit, weit weg waren. Dun nahm auf seiner Stirn kalten Schweiß wahr. Er erschauerte in einem plötzlichen, heftigen Krampf. In seinem wachsenden Zorn über die Schwäche seines Körpers in diesem kritischen Moment zwang er sich mit aller Energie dazu, erneut den Flugweg zu überprüfen, die voraussichtliche Ankunftszeit, den erwarteten Seitenwind in den Bergen und den Pistenplan von Vancouver. Er hatte keine Ahnung, ob einige Minuten oder längere Zeit verstrichen waren, als er diese Arbeiten beendete. Er griff nach dem Logbuch, öffnete es und schaute auf die Armbanduhr. Träge und mit quälender Langsamkeit begann sein Gedächtnis die herkulische Aufgabe zu bewältigen und die Zeiten der nächtlichen Vorkommnisse zu fixieren. Hinten in der Kabine breitete Doktor Baird um Mrs. Childer neue, trockene Decken und warf die anderen in den Gang. Die Frau lag hilflos zurückgelehnt mit geschlossenen Augen, halboffenen, zitternden, trockenen Lippen und ächzte leise. Der obere Teil ihres Kleides war beschmutzt und feucht. Während Baird sie noch betrachtete, wurde sie von einem neuen Krampf übermannt. Ihre Augen blieben geschlossen. Baird sprach mit ihrem Mann: „Halten Sie sie warm und trocknen Sie sie ab. Vor allem muß sie Wärme haben."
Childer packte den Doktor am Handgelenk. „Um Gottes willen, was ist los?" Seine Stimme klang schrill. „Geht es ihr ernsthaft schlecht?"
Baird sah die Frau erneut an. Ihr Atem ging schnell und flach. „Ja", sagte er, „allerdings."
„Können wir denn nichts für sie tun? Geben Sie ihr etwas! "
Baird schüttelte den Kopf. „Sie braucht Mittel, die wir nicht haben. Antibiotika. Wir können jetzt nichts anderes tun, als sie warmhalten."
„Aber doch wenigstens ein bißchen Wasser..."
„Nein, sie könnte daran ersticken. Ihre Frau ist nahezu bewußtlos, Childer. Halt -", fügte er hastig hinzu, als sich der Mann erregt halb aufrichtete. „Es ist das Betäubungsmittel der Natur. Haben Sie keine Angst; sie wird sich schon erholen. Ihre Aufgabe ist es jetzt, sie zu beachten und warmzuhalten. Selbst wenn sie ganz bewußtlos ist, wird sie wahrscheinlich ständig versuchen, aufzustehen. Ich bin gleich zurück." Baird ging ein paar Schritte weiter zur nächsten Sitzreihe. Hier saß ein Mann mittleren Alters mit zerknittertem Kragen, die Hände über dem Magen verkrampft. Er war halb aus dem Sitz gerutscht, hatte den Kopf zurückgedreht und warf ihn von einer Seite zur anderen. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Er schaute zum Doktor auf. Seine Lippen waren im Schmerz verzogen. „Es ist mörderisch", murmelte er. „Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so miserabel gefühlt."
Baird nahm seinen Bleistift aus der Jackentasche und hielt ihn dem Mann vor die Augen. „Hören Sie", sagte er, „ich möchte, daß Sie diesen Bleistift nehmen."
Der Mann hob mit Anstrengung den Arm. Unsicher versuchten seine Finger, den Bleistift zu fassen - trafen ihn aber nicht. Bairds Augen verengten sich. Er hob den Kranken in eine bequemere Stellung, nahm eine Decke und legte sie um ihn herum. „Ich kann mich nicht mehr aufrecht halten", sagte der Mann, „und mein Kopf fühlt sich an, als wäre er in einem Schraubstock."
„Doktor", warf jemand ein, „können Sie bitte hierher kommen? "
„Warten Sie einen Moment", rief Baird zurück, „ich werde jeden, der mich braucht, ansehen." Die Stewardeß eilte mit einem Lederkoffer in der Hand auf den Arzt zu.
„Braves Mädchen", sagte Baird, „das ist der richtige. Ich kann zwar nicht viel tun..." Seine Stimme wurde unsicher, als er darüber nachdachte, was er unternehmen konnte. „Wo ist die Bordverständigungsanlage?" fragte er dann.
„Ich zeige sie Ihnen", sagte Janet, ging in die Kombüse und nahm das Wandtelefon ab. „Wie geht es Mrs. Childer?" fragte sie dabei.
Baird verzog den Mund. „Sie ist verdammt krank. Und wenn ich mich nicht irre, sind noch andere da, denen es bald genauso schlecht geht."
„Glauben Sie immer noch, daß es sich um eine Fischvergiftung handelt?" fragte Janet, die sehr blaß aussah.
„Ich bin ziemlich sicher. Staphylokokken, die sich auch noch schlimmer auswirken können. Andererseits könnte die Vergiftung auch durch Salmonella-Bazillen ausgelöst worden sein. Aber wer kann das ohne genaue Untersuchung wirklich sagen?"
„Wollen Sie allen ein Brechmittel geben?"
„Ja. Natürlich nur denen, die schon krank sind. Mehr kann ich nicht tun. Was wir wahrscheinlich brauchen, sind Antibiotika wie Chloramphenicol. Aber es ist sinnlos, jetzt daran zu denken." Er nahm den Hörer ab. „Ich würde vorschlagen, daß Sie sich so schnell wie möglich nach einer Hilfe umsehen, um hier sauberzumachen. Nehmen Sie genügend Desinfektionsmittel, sofern Sie welche an Bord haben. Und wenn Sie mit den kranken Passagieren sprechen, dann sagen Sie ihnen, daß sie sich mal über den guten Ton hinwegsetzen und die Toilettentür nicht hinter sich zuschließen sollen. Wir wollen keinen da drin haben..." Er dachte einen Augenblick nach, dann drückte er auf den Knopf der Lautsprecheranlage und sagte: „Meine Damen und Herren, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Ihre Aufmerksamkeit, bitte", wiederholte er eindringlich. Er hörte, wie die Gespräche abstarben. Übrig blieb nur das gleichmäßige Dröhnen der Motoren.
„Zuerst möchte ich mich Ihnen vorstellen. Mein Name ist Baird, ich bin Arzt. Sie werden sich fragen, was die Krankheit, die einige unserer Mitpassagiere befallen hat, bedeutet. Ich glaube, es ist jetzt Zeit, daß Sie alle erfahren, was geschehen ist und was ich zu tun gedenke. Soweit ich mit den beschränkten Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, feststellen konnte, haben wir mehrere Fälle von Lebensmittelvergiftung an Bord. Aber die Bestätigung dafür steht noch aus. Ich glaube, daß sie von dem Fisch herrührt, der zum Dinner gegeben wurde."
Ein aufgeregtes Murmeln entstand nach diesen Worten unter den Passagieren.
„Hören Sie bitte weiter", sagte Baird. „Es ist kein Grund zur Aufregung vorhanden. Ich wiederhole - es gibt keinen Grund zur Aufregung. Die Passagiere, die unter den Anfällen leiden, werden von der Stewardeß und von mir betreut, und der Captain hat bereits durch Funk um ärztliche Hilfe nach der Landung gebeten. Auch wenn Sie zum Dinner Fisch gegessen haben, ist noch nicht unbedingt gesagt, daß Sie krank werden müssen. Selten gibt es in solchen Fällen eine allgemeingültige Regel, und es ist absolut möglich, daß Sie immun sind. Wie dem auch sei -wir ergreifen einige Vorsichtsmaßnahmen, und die Stewardeß und ich kommen zu Ihnen allen. Bitte sagen Sie uns unbedingt, ob Sie Fisch gegessen haben. Wenn ja, dann sagen wir Ihnen, wie Sie sich selbst helfen können. Wenn Sie sich jetzt alle wieder beruhigt haben, werden wir sofort beginnen." Baird nahm den Finger vom Mikrophonknopf. Dann wandte er sich an Janet. „Wir können jetzt nichts anderes tun, als sofort Erste Hilfe geben." Janet nickte. „Sie meinen die Tabletten, Doktor?"