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Meine Tante erzählte mir, damals hätte sie zum ersten Mal in ihrem Leben jemanden geschlagen, und sie habe ja nicht gewusst, dass sie so klasse prügeln konnte. Vor dem Hof gab sie der Alten einen dritten Tritt, die kippte vornüber und machte eine Rolle, rappelte sich auf, bis sie auf dem Boden zu sitzen kam, und schrie aus Leibeskräften, während sie mit beiden Fäusten auf den Boden trommelte: »Zu Hilfe! Zu Hilfe! Totschlag ... die Räubertochter des Liu Wanfu hat mich totgeschlagen ...«

Es war Abend, ein wunderschöner Sonnenuntergang mit pinkfarbenem Abendrot, eine leichte Brise ging, fast alle Dörfler standen mit ihren Näpfen am Wegrand und aßen zu Abend, als sie das grässliche Schreien hörten. Sie rannten zu Chens Hof und umringten die Alte. Dorfparteizellensekretär Yuan Gesicht und Brigadeleiter Lü Zahn waren auch gekommen. Tian Guihua war eine entfernte Tante von Zahn, deswegen hielt er erst mal zur Verwandtschaft und maßregelte Gugu: »Schämst du dich gar nicht, Wan Herz? Ein junges Mädchen wie du und schlägst eine alte Frau?«

Gugu erwiderte: »Wer ist dieser Knilch Lü Zahn? Dieses Vieh schlägt seine Frau, dass sie auf dem Boden kriecht, und will mich hier maßregeln? Welche alte Frau überhaupt? Die alte Hexe! Todbringerin! Frag sie mal, was sie so treibt! Wie viele sind unter ihrer Hand gestorben! Kinder hört mal her, Muttern sagt euch eins, hätte ich eine Knarre, würde ich sie auf der Stelle abknallen!«

Gugu streckte den rechten Arm aus und zielte mit gestrecktem Zeigefinger auf den Kopf der Alten. Dass Gugu, damals ein siebzehnjähriges, junges Mädchen, sich so titulierte, brachte viele Leute zum Lachen.

Lü Zahn wollte Tian Guihua noch verteidigen, doch der Parteizellensekretär Yuan Gesicht stand auf Gugus Seite:

»Ärztin Wan hat recht. Solchen Hexen, die leichtfertig Menschenleben aufs Spiel setzen, müssen wir das Handwerk legen. Tian Guihua, spiel jetzt nicht den toten Hund. Die Tracht Prügel, die du bezogen hast, war eine milde Strafe. Wir müssten dich eigentlich einlochen! Von heute an übernimmt Ärztin Wan die Geburten bei uns. Tian Guihua, solltest du es immer noch wagen, eine Entbindung vorzunehmen, lasse ich dir deine Hundspfoten abhacken!«

Gugu meinte, Yuan Gesicht hätte zwar keine Bildung, dafür aber einen guten Riecher für Trends, und er sei in der Lage, fair zu handeln. Er sei ein guter Parteisekretär.

4

Sugitani-san,

bei der zweiten Geburt, bei der meine Tante Geburtshilfe leistete, wurde ich geboren.

Als meine Mutter niederkommen sollte, machte meine Oma es so wie immer, sie wusch sich die Hände, zog frische Kleidung an, entzündete drei Räucherstäbchen vor der Ahnentafel auf unserem Hausaltar, machte vor den Ahnen drei Kotaus und jagte alles, was männlich war, zum Haus hinaus. Meine Mama war keine Erstgebärende, vor mir hatte sie meine beiden Brüder und meine Schwester geboren. Oma redete ihr gut zu: »Heute wird alles wie am Schnürchen laufen! Das machst du doch mit links. Du wirst das Kind ganz in Ruhe zur Welt bringen.«

Aber Mutter widersprach: »Mama, ich habe ein ungutes Gefühl. Diesmal fühlt sich alles anders an.«

Oma jedoch nahm nicht ernst, was sie sagte: »Na aber, aber, was ist denn anders? Ein chinesisches Einhorn wirst du wohl nicht gebären?«

Meine Mutter hatte sich nicht getäuscht, meine Brüder und meine Schwester waren alle drei mit dem Kopf zuerst gekommen, ich jedoch streckte zuerst ein Bein heraus. Als Oma mein Bein sah, war sie starr vor Schreck. Es gibt eine Redensart bei uns auf dem Land, die heißt: Streckt’s den Fuß zuerst raus, zieht’s dich bis aufs Hemd aus. Will sagen, so ein Geist, der die Schulden eintreibt, kommt ins Haus. Was hat es damit auf sich? In früheren Existenzen ist die Familie jemandem Geld schuldig geblieben. In dem Kind wird der Gläubiger in die Familie wiedergeboren und stürzt die Gebärende in Not. Entweder sterben beide im Kindbett oder das Kind stirbt, wenn es ein bestimmtes Alter erreicht hat, nicht ohne die Familie damit finanziell wie seelisch in den Ruin zu treiben. Meine Oma mimte Gelassenheit: »Flinke Beine, der Kleine, der wird mal Amtsdiener und kommt in den Kurierdienst! Hab keine Angst, ich weiß schon, was wir da machen.«

Sie holte einen bronzenen Waschkessel herbei, stellte sich damit auf den Kang und schlug kräftig wie auf einen Gong mit dem Nudelholz darauf. Der Kessel dröhnte, während sie rief: »Komm hervor, zeig dich! Dein Herr schickt dich, einen Hühnerfederbrief auszuliefern.5 Eil dich, sonst setzt’s eine Tracht Prügel!«

Meine Mutter spürte, dass es ernst um sie stand. Sie pochte mit dem Handfeger gegen das Fenster, um meine Schwester herbeizurufen, die im Hof Wache stand: »Aman, lauf schnell und hol deine Tante.«

Meine Schwester, klug wie sie war, rannte zum Dorfamt, zu Yuan Gesicht, damit er die Krankenstation anrief. Den alten Telefonapparat habe ich aufgehoben, weil er mir das Leben gerettet hat.

Es war der sechste Juni, der Kiaolai-Fluss war über die Ufer getreten, die Steinbrücke stand unter Wasser, aber wegen der Schaumkronen auf den hochschlagenden Wellen konnte man ungefähr abschätzen, wo sich die Brücke befand. Der Tunichtgut Du Hals, der am Fluss beim Angeln war, sah, wie meine Tante pfeilschnell zum Ufer herunterradelte, zu beiden Seiten des Rads spritzten die Wellen schäumend mehr als einen Meter in die Höhe. Sugitani-san, wenn die reißenden Wassermassen meine Tante in den Fluss gespült hätten, gäbe es mich heute nicht.

Triefend kam Gugu zur Tür herein.

Meine Mutter sagte, als sie ihre Cousine in der Tür erblickt habe, sei sofort eine fast heilige Ruhe über sie gekommen, als wäre sie mit Tabletten ruhiggestellt worden. Gugu stieß meine Oma sogleich zur Seite und fuhr sie an: »Tante, wenn du so ein Getöse machst, wird sich das Kind niemals blicken lassen.«

Meine Oma verlor sich in Ausflüchten: »Alle Kinder mögen doch gern Trubel, bei Getrommel kommen sie immer neugierig herbei!«

Später erzählte mir meine Tante immer, sie habe mich an den Beinen aus meiner Mutter gezogen wie ein Rübchen am Grün aus der Erde. Das war natürlich nur Spaß. Nachdem ich geboren war, machten es sich meine und Nases Mutter zur Pflicht, für meine Tante Reklame zu machen. Überall kreuzten sie auf und erklärten die Vorzüge der neuen Geburtshilfe. Wenn Yuan Gesicht oder der Nichtstuer Du Hals Leute trafen, sprachen sie von Tantes Radfahrkünsten. Der Ruhm meiner Tante verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und die alten Wehmütter interessierten niemanden mehr. Sie waren alsbald Geschichte.

Von 1953 bis zum Jahre 1957 erlebten wir eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, die Produktion steigerte sich. Wir hatten keine starken Stürme und der Monsun brachte pünktlich die richtige Menge Regen, so dass wir einige Jahre reiche Ernten hatten. Es gab genug zu essen, wir waren warm angezogen, hatten beste Laune und unsere Frauen wurden um die Wette schwanger und gebaren ein Kind nach dem anderen. In diesen Jahren konnte meine Tante vor Arbeit nicht mehr aus den Augen gucken. Durch alle achtzehn Dörfer Nordost-Gaomilands, durch jede Gasse, jede Dorfstraße war ihr Rad gefahren, in fast jeden Hof hatte sie ihren Fuß gesetzt.

1612 Entbindungen machte sie, angefangen vom 4. April 1953 bis zum 31. Dezember 1957, und brachte dabei 1645 Kinder zur Welt, darunter sechs tote Kinder, aber fünf davon waren Totgeburten und eines kam mit einem schweren Geburtsfehler zur Welt. Eine prächtige, wenn auch nicht perfekte Leistung.

Als sie am 17. Februar 1955 der kommunistischen Partei Chinas beitrat, hatte sie ihren tausendsten Säugling entbunden, es war Li Hand, der Sohn unserer Lehrerin. Meine Tante erzählte uns, dass Lehrerin Yu ihre coolste Gebärende gewesen sei, während meine Tante das Kind zwischen ihren Beinen holte, habe sie mit einem Buch in der Hand den Unterricht vorbereitet.

Auf ihre alten Tage sehnte sie sich in diese Zeit zurück, schließlich war die goldene Ära der chinesischen Geschichte auch ihre goldene Zeit gewesen. Ich erinnere mich, dass sie, nicht oft, aber gelegentlich, mit strahlenden Augen sehnsuchtsvoll sagte: »Damals war ich Mensch gewordener Bodhisattva6, die große Muttergöttin Avalokitesvara, die die Kinder schenkt, meinem Körper entströmte der köstliche Duft aller Arten von Blumen, summende Bienenschwärme, flatternde Schmetterlinge folgten mir, und jetzt? Jetzt folgen mir die Schmeißfliegen ...«