„Ach? Dann werde ich hier mitten in der Schleuse in den Sitzstreik treten. Mir gefällt das nicht, Mr.
Woo. Wenn Sie andeuten wollen, daß ich eigentlich nicht hier sein dürfte, nur weil sich jemand im Büro geirrt hat, würde ich noch böser reagieren.“
„Hmm. Ich nehme an, es ist ein Irrtum. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Warum setzen Sie sich nicht und lassen sich zu einem Sitz führen? Ich versuche dann die Sache zu regeln, nachdem ich die anderen Leute in Empfang genommen habe.“
Er erhob keine Widerrede, als Shizuko mir an Bord folgte. Wir gingen bugwärts durch einen langen Gang — sogar die Landeboote der Forward sind riesig. Dabei orientierten wir uns nach kleinen Pfeilen mit der Aufschrift „Zur Brücke“. Schließlich erreichten wir einen ziemlich großen Raum, der etwa dem Innern eines Omnibus-AAF nachgebildet war; vorn doppelte Kontrollen, dahinter Sitze für die Passagiere, eine riesige Panoramascheibe — und zum erstenmal seit Verlassen der Erde bekam ich „Sonnenschein“ zu sehen.
Es war das Licht von Outposts Sonne, die weiter vorn eine weiße, sehr weiße Planetenkrümmung bestrahlte, hinter der sich ein schwarzer Himmel auftürmte. Das Zentralgestirn selbst war nicht in Sicht.
Shizuko und ich suchten uns freie Plätze und legten die Sicherheitsgurte an — die fünffache Verschnürung die auch an Bord von SBR gebräuchlich war. Da ichwußte, daß wir per Antigrav fliegen würden, wollte ich es mit dem Beckengurt bewenden lassen. Mein kleiner Schatten aber fummelte zungeschnalzend an mir herum und machte alles fest.
Nach einiger Zeit eilte Mr. Woo suchenden Blickes in die Kabine und entdeckte mich. Er beugte sich über den Mann, der zwischen mir und dem Mittelgang saß, und sagte: „Miß Freitag, es tut mir leid aber Sie stehen noch immer nicht auf der Liste.“
„Ach? Was hat der Kapitän denn gesagt?“
„Ich konnte ihn nicht erreichen.“
„Na, da haben Sie ja Ihre Antwort. Ich bleibe.“
„Tut mir leid. Nein.“
„Wirklich? Welches Ende wollen Sie tragen? Und wer hilft Ihnen, mich rauszuschleppen? Sie werden mich fortzerren müssen, und ich warne Sie, ich werde um mich treten und laut schreien!“
„Miß Freitag, das geht doch nicht!“
Der Passagier neben mir sagte: „Junger Mann, machen Sie sich hier zum Narren oder was? Diese junge Dame ist Passagier der Ersten Klasse; ich habe sie im Speisesaal des öfteren gesehen, sogar am Tisch des Kapitäns. Jetzt nehmen Sie Ihr dummes Klemmbrett vor meinem Gesicht weg und suchen Sie sich eine andere Beschäftigung! Klar?“
Mit besorgtem Gesicht — Zahlmeisterassistenten scheinen immer nur Sorgen zu haben — entfernte sich Mr. Woo. Nach einer Weile ging das rote Licht an, die Sirene erklang, und eine laute Stimme sagte: „Wir verlassen die Umlaufbahn! Bitte seien Sie auf ruckartige Gewichtsveränderungen gefaßt!“
Ich verbrachte einen schlimmen Tag.
Drei Stunden für den Flug zur Oberfläche, zweiStunden unten und drei Stunden für den Flug zurück in die stationäre Umlaufbahn — auf dem Hinflug wurden wir mit Musik unterhalten und einem erstaunlich langweiligen Vortrag über Outpost; auf dem Rückflug beschränkte man sich auf die Musik was schon besser war. Die beiden Stunden am Boden hätten ganz nett sein können, wenn man uns gestattet hätte, das Landefahrzeug zu verlassen. Aber wir mußten an Bord bleiben. Man erlaubte uns, die Gurte abzulegen und nach achtern in den sogenannten Salon zu gehen, in Wirklichkeit ein kleines Eckchen mit einer Kaffee- und Sandwich-Bar auf der Backbordseite und Sichtluken nach hinten. Durch diese Fenster konnte man sehen, wie vom Unterdeck aus die Auswanderer das Schiff verließen und die Fracht ausgeladen wurde.
Niedrige Berge, die mit Schnee bedeckt waren … im Mittelgrund verkümmert aussehende Gewächse … unweit des Schiffes niedrige Gebäude, die durch Schneegänge miteinander verbunden waren … Die Einwanderer waren dick vermummt und strebten eilig auf die Gebäude zu. Die Fracht wurde auf einen Zug aus flachen Transportwagen verladen, gezogen von einer Art Maschine, die schwarze Rauchwolken ausstieß … solche Dinge sieht man sonst nur in Geschichtsbüchern für Kinder! Dies aber war kein Bild.
Ich hörte, wie eine Frau zu ihrem Begleiter sagte:
„Wie kann sich nur jemand hier niederlassen wollen?“
Ihr Begleiter äußerte sich fromm über „Gottes Wille“, und ich rückte von den beiden ab. Wie kann nur jemand siebzig Jahre alt werden (sie war mindestens so alt), ohne zu wissen, daß man sich nicht auf Out-post niederlassen „will“ — außer in dem begrenzten Sinne, daß man „gewillt“ ist, die Ausweisung dorthin als einzige Alternative zum Tod oder eine lebenslängliche Haftstrafe hinzunehmen.
Da mein Magen noch immer nicht in Ordnung war wagte ich mich nicht an die belegten Brote, hoffte aber, daß eine Tasse Kaffee mir über den Berg helfen würde — bis mir der Geruch in die Nase stieg. Daraufhin marschierte ich so schnell ich konnte zu den Toiletten, die vor dem Salon lagen, und verdiente mir den Titel einer „eisernen Freitag“, einen Titel, von dem nur ich etwas wußte, denn alle Kabinen waren besetzt, und ich mußte warten — und ich wartete, mit fest geschlossenem Mund. Nach einem oder zwei Jahrhunderten öffnete sich eine Tür, und ich stürzte hinein und übergab mich erneut. Viel kam nicht dabei heraus — aber der Kaffeegeruch war zuviel gewesen.
Der Rückflug schien endlos zu sein.
Sobald ich an Bord der Forward zurückgekehrt war rief ich meinen Freund Jerry Madsen an, den JuniorSanitätsoffzier, und bat um einen Sprechstundentermin. Nach den allgemein geltenden Vorschriften steht die medizinische Abteilung den Passagieren um null-neunhundert jeden Morgen zur Verfügung und gibt sich zu anderen Zeiten nur mit Notfällen ab. Ich wußte aber, daß Jerry mich gern empfangen würde unter welchem Vorwand auch immer. Ich sagte ihm gleich, daß es nichts Ernstes sei ich wollte nur ein paar von den Tabletten verschrieben haben, die er alten Damen mit schwachen Mägen verordnete — Mittel gegen die Seekrankheit. Er bat mich, zu ihm ins Büro zu kommen.Anstatt mir die Pillen gleich in die Hand zu drükken, führte er mich in ein Behandlungszimmer und schloß die Tür. „Miß Freitag, soll ich eine Schwester holen lassen? Oder möchten Sie sich lieber von einer Ärztin untersuchen lassen? Ich kann Dr. Garcia rufen aber ich würde sie nur ungern wecken, denn sie war den größten Teil der Nacht auf den Beinen.“
„Jerry, was soll das?“ fragte ich. „Seit wann nennen Sie mich nicht mehr ›Marjorie‹? Und wozu die protokollarische Förmlichkeit? Ich brauche nichts weiter als eine Handvoll Tabletten gegen die Seekrankheit.
Die kleinen rosa Dinger.“
„Setzen Sie sich bitte. Miß Freitag — na schön, Marjorie — wir verschreiben dieses oder ähnliche Mittel jungen Frauen — um genau zu sein: Frauen, die im geburtsfähigen Alter sind — erst, wenn wir uns vorher überzeugt haben, daß sie nicht schwanger sind. Es könnte zu Entstellungen des Kindes führen.“
„Oh. Beruhigen Sie sich, Schätzchen! Ich bin nicht schwanger.“
„Das wollen wir ja herausfinden, Marj. Wenn Sie schwanger sind — oder es werden —, haben wir andere Mittel zur Verfügung, die Ihnen Linderung verschaffen.“
Ach so! Der liebe Kerl wollte mich gut versorgt sehen. „Großer Häuptling, wenn ich Ihnen nun auf meine Pfadfinderehre versichere, daß ich während der letzten beiden Perioden nicht das geringste angestellt habe? Obwohl es durchaus interessierte Kandidaten gegeben hat. Sie eingeschlossen.“
„Nun, ich würde antworten: ›Nehmen Sie dieses Gefäß und beschaffen Sie mir eine Urinprobe, außerdem eine Speichelprobe.‹ Ich hatte schon öfter mitFrauen zu tun, die ›gar nichts gemacht‹ hatten.“
„Sie sind ein Zyniker, Jerry!“
„Ich versuche Sie nur gut zu verarzten, meine Liebe.“
„Das weiß ich doch, Sie Schatz. Na schön, ich mache den Unsinn mit. Wenn die Maus tatsächlich brüllen sollte, können Sie den exilierten Papst verständigen, daß es endlich doch passiert ist, und ich gebe Ihnen eine Flasche Champagner aus. Ich stehe aber in der längsten Dürreperiode meines Lebens.“