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„Lauschen wir mal!“

Von Verfolgern war nichts zu hören. Uns umgaben nur die seltsamen Geräusche eines fremden Waldes.

Vogelrufe? Keine Ahnung. Ringsum ein seltsames Gemisch von bekannten und seltsam verfremdeten Dingen — Gras, das eigentlich kein Gras war, Bäume die aus einem anderen geologischen Zeitalter zu stammen schienen, Chlorophyll, das rot durchsetzt zu sein schien — oder hatten wir jetzt Herbst? Wie kalt würde es heute nacht sein? Es erschien mir nicht ratsam, in den nächsten drei Tagen nach Menschen zu suchen, denn erst dann sollte das Schiff weiterfliegen.

Wir konnten diese Zeit notfalls ohne Nahrung oder Getränke überbrücken — aber wenn es nun fror?

„Na schön“, sagte ich. „Huckepack. Aber wir wechseln uns ab.“

„Freitag! Sie können mich doch nicht tragen!“

„Ich habe gestern nacht Pete getragen. Sagen Sie’s ihr, Pete. Glaubst du etwa, ich würde mit einer kleinen japanischen Puppe wie dir nicht fertig?“

„›Japanische Puppe‹ — ha! Ich bin so amerikanisch wie du.“

„Wahrscheinlich noch mehr. Denn ich habe nicht viel amerikanisches Blut. Aber davon später mehr. Steig auf!“

Ich schleppte sie etwa fünfzig Meter weit, dann trug Pete sie zweihundert Meter, und so weiter, denn das stellte sich Pete unter einer gerechten Arbeitsteilung vor. Nach einer mühseligen Stunde erreichten wir einen Weg — eine Fahrrinne durch das Gebüsch Wagenspuren und Hufabdrücke waren deutlich auszumachen. Nach links führte dieser Weg weiter vom Landungsboot und von dem Ort fort, und so bogen wir nach links ab. Shizuko ging inzwischen wieder auf eigenen Füßen, stützte sich aber sehr auf Pete.

Wir erreichten ein Bauernhaus. Vielleicht hätten wir einen weiten Bogen darum herum machen sollen doch zu der Zeit war mir ein Schluck Wasser wichtiger als unsere absolute Sicherheit, außerdem wollte ich Tillys Fußgelenk verbinden, ehe es größer anschwoll als ihr Kopf.

Auf der vorderen Veranda saß in einem Schaukelstuhl eine ältere grauhaarige Frau, sauber gekleidet und strickte. Als wir näherkamen, hob sie den Kopf und winkte uns heran. „Ich bin Mrs. Dundas“, sagte sie. „Sie kommen vom Schiff?“

„Ja“, sagte ich. „Ich heiße Freitag Jones, und dies ist Matilda Jackson und unser Freund Pete.“

„Pete Roberts, Madam.“

„Kommen Sie, setzen Sie sich! Sie alle! Verzeihen Sie, wenn ich nicht aufstehe; mein Rücken ist nicht mehr ganz in Ordnung. Sie sind Flüchtlinge, nichtwahr? Sie sind vom Schiff ausgerückt?“

(Gesteh die bittere Wahrheit ein, aber halte dich bereit, den Kopf einzuziehen.) „Ja.“

„Natürlich. Etwa die Hälfte aller Flüchtlinge landet zuerst bei uns. Nun ja, der heutigen Rundfunksendung zufolge müssen Sie sich mindestens drei Tage lang verstecken. Sie sind uns willkommen; wir haben gern Besuch. Natürlich haben Sie das Recht, sofort die Transit-Kaserne aufzusuchen; die Schiffsbehörden können dort nicht an Sie heran. Man könnte Ihnen aber mit endlosen juristischen Vorstößen das Leben schwer machen. Sie können Ihre Entscheidung nach dem Abendessen fällen. Möchten Sie zunächst mal eine schöne Tasse Tee?“

„Ja!“ sagte ich.

„Gut. Malcolm! Oh, Malcooom!“

„Was ist, Mama?“

„Stell den Kessel auf!“

„Was?“

„Den Wasserkessel!“ Mrs. Dundas fügte, zu Tilly gewandt, hinzu: „Mein Kind, was haben Sie mit Ihrem Fuß gemacht?“

„Ich glaube, ich habe ihn mir verstaucht, Madam.“

„Und ob. Sie — ›Freitag‹ heißen Sie? — sie suchen Malcolm und sagen ihm, er soll unsere größte Küchenschale mit zerhacktem Eis füllen. Und Sie, Sir — Mr. Roberts — Sie können mir aus diesem Stuhl helfen, denn wir brauchen noch ein paar Dinge mehr für den Fuß des armen Kindes. Sobald wir die Schwellung behandelt haben, müssen wir das Gelenk mit einem Stützverband versehen. Und Sie, Matilda, reagieren Sie allergisch auf Aspirin?“

„Nein, Madam!“

„Mama! Der Kessel kocht!“

„Sie — Freitag — kümmern Sie sich mal darum!“

Ich ging den Tee machen — innerlich hätte ich jubilieren mögen.

33. Kapitel

Zwanzig Jahre sind seither vergangen. Botany-BayJahre, meine ich, die aber nicht viel kürzer sind als irdische. Zwanzig gute Jahre. Meine Memoiren basieren auf Bändern, die ich im Pajaro Sands besprach, ehe der Chef starb, dann auf Notizen, die ich kurz nach unserer Niederlassung auf diesem Planeten machte Notizen, die unsere Beweislage verbessern sollten für den Fall, daß wir gegen ein Auslieferungsersuchen angehen mußten.

Als es aber nicht mehr möglich war, den mit meiner Mitwirkung vorgesehenen Zeitplan einzuhalten verlor man das Interesse an mir — was nur logisch ist da ich in den Augen der anderen nichts anderes als ein lebendiger Brutautomat gewesen war. Die Angelegenheit wurde vollends zur Theorie, als der Erste Bürger und seine Tochter zusammen ermordet wurden — eine Bombe explodierte in ihrer Kutsche.

Eigentlich sollte dieser Bericht mit meinem Eintreffen auf Botany Bay zu Ende gehen, denn seit dieser Zeit wies mein Leben keine dramatischen Momente mehr auf — worüber kann eine Hausfrau auf dem Lande schon Memoiren verfassen? Darüber, wie viele Eier wir im letzten Jahr hatten? Interessiert Sie das?

Mich schon, Sie aber nicht.

Leute, die glücklich sind und zu tun haben, schreiben keine Tagebücher; sie haben viel zuviel damit zu tun, das Leben zu genießen.

Beim Durchsehen der Bänder und Notizen (wobei etwa sechzig Prozent des Textes über Bord gingen) fielen mir einige Dinge auf, von denen zuvor die Re-de war und die noch aufgeklärt werden sollten. Zum Beispiel Janets für ungültig erklärte Visa-Karte — ich war nämlich bei der Explosion, der die Skip To M’Lou zum Opfer fiel, „umgekommen“. Georges horchte sich gründlich in der Unterstadt von Vicksburg um und erhielt die Bestätigung, daß es keine Überlebenden gegeben habe. Woraufhin er Janet und Ian anrief — die eben im Begriff waren, nach Australien abzureisen, nachdem der Winnipeg-Agent meines Chefs sie gewarnt hatte. Natürlich ließ Janet da ihre Karte löschen.

Der seltsamste Aspekt der ganzen Ereignisse ist das zufällige Wiederfinden meiner „Familie“. Georges behauptet allerdings, es sei weniger seltsam, daß die anderen hier waren, sondern daß ich hier gewesen sei. Die anderen hatten genug von der Erde, sie waren angewidert von zu vielen Dingen — wohin sollten sie ziehen? Botany Bay ist kein Paradies, für sie aber lag die Entscheidung auf der Hand. Es ist ein guter Planet, der viel Ähnlichkeit besitzt mit der Erde, wie sie vor vielen Jahrhunderten war — doch gestützt durch neuzeitliche Erkenntnisse und Technologien.

Wir leben hier nicht so primitiv wie auf Forest, und nicht so unverschämt teuer wie auf Halcyon oder Fiddler’s Green. Sie alle mußten große Verluste hinnehmen, weil sie ihren Besitz sehr schnell flüssig machten, doch es reichte für die Dritte Klasse nach Botany Bay, für das Eintrittsgeld in die Kolonie und für ein gewisses Startkapital.

(Wußten Sie, daß hier auf Botany Bay niemand seine Türen verschließt — an vielen gibt es gar keine Schlösser. Mirabile visu!)

Georges behauptet, der einzige weiterreichendeZufall liegt in dem Umstand, daß ich mich an Bord des Schiffes befand, mit dem die anderen auswanderten — denn beinahe wäre es gar nicht so gekommen. Sie verfehlten die Dirac und erwischten dann knapp die Forward, weil Janet die anderen drängte war sie doch fest entschlossen, die Reise mit dem Baby im Bauch anstatt auf dem Arm zu machen. Aber auch wenn sie ein späteres oder früheres Schiff genommen hätten, wäre ich Ihnen hier über den Weg gelaufen, ohne die Absicht dazu zu haben. Unser Planet ist etwa so groß wie die Erde, die Kolonie aber ist noch klein und erstreckt sich über ein relativ kleines Gebiet, und es herrscht lebhaftes Interesse an Neuzugängen; so hätten wir uns auf jeden Fall wiedergefunden.