Aber was wäre, wenn mir der betrügerische Auftrag nicht erteilt worden wäre? Solche Fragen nach dem „Was wäre, wenn …“ kann man sich immer wieder stellen, aber es scheint mir mindestens eine fünfzigprozentige Chance zu bestehen, daß ich, nachdem ich mich wie geplant orientiert hatte, trotzdem auf Botany Bay gelandet wäre.
„Es gibt ein Geschick, das unsere Wege bestimmt“ — und ich habe keinen Grund zur Klage. Es gefällt mir in einer 8-Gruppe die Kolonistenhausfrau zu sein.
Formell handelt es sich nicht um eine S-Gruppe, weil es hier hinsichtlich Sex und Ehen nicht besonders viele Gesetze gibt. Wir acht leben mit all unseren Kindern in einem weitläufigen Haus, das Janet entworfen hat und von uns allen gebaut wurde. (Ich bin zwar kein Tischler, aber als Zimmermann für das Grobe übertrifft mich kaum jemand.) Nachbarn stellen keine neugierigen Fragen über die Herkunft derKinder — und wenn sie es täten, bekämen sie es mit Janet zu tun. Niemand schert sich darum; Säuglinge sind auf Botany Bay willkommen; es werden viele Jahrhunderte vergehen, ehe hier jemand von „Übervölkerung“ sprechen kann.
Die Nachbarn werden diesen Bericht nicht zu Gesicht bekommen, denn was ich hier zu veröffentlichen gedenke, beschränkt sich auf eine revidierte Ausgabe meines Kochbuchs — eine gute Sache, denn ich bin Ghost-Writer für zwei ausgezeichnete Köche, Janet und Georges, angereichert mit zahlreichen praktischen Tips für junge Hausfrauen, die ich Goldie verdanke. Ich kann hier also offen über die Vaterschaftsverhältnisse sprechen. Georges heiratete Matilda, als Percival mich ehelichte; ich glaube, die beiden hatten das Los entscheiden lassen. Natürlich fiel das Baby in meinem Bauch unter den alten Reagenzglas-undSkalpell-Spruch — einen Spruch, den ich in Botany Bay bisher noch nicht zu hören bekommen habe. Mag sein, daß Wendys Herkunft ganz oder zum größten Teil auf ein ehemaliges Königshaus des Sternenreiches zurückgeht. Ich habe ihr aber nie etwas davon angedeutet, und offiziell ist Percival ihr Vater. Im Grunde weiß ich nur, daß Wendy frei ist von sichtbaren Geburtsschäden, und Freddie und Georges behaupten, sie trüge auch keine unangenehmen rezessiven Merkmale in sich. Als junges Mädchen war sie nicht wilder als die anderen; die üblichen erzieherischen Maßnahmen genügten, um sie auf den richtigen Weg zu führen. Ich finde, sie ist ein ganz ordentlicher Mensch, was mich sehr freut, da sie das einzige in mir gewachsene Kind ist, auch wenn ich nicht mit ihr verwandt bin.„… das einzige …“ Als ich sie aus dem Ofen holte bat ich Georges, meine Sterilität aufzuheben. Er und Freddie untersuchten mich und erklärten, daß so etwas durchaus möglich sei — auf der Erde. Nicht aber in Neu-Brisbane. In den nächsten Jahren jedenfalls nicht. Damit war diese Frage geklärt, und ich mußte erkennen, daß ich irgendwie erleichtert war. Ich habe es einmal hinter mich gebracht; ich brauche so etwas im Grunde nicht noch einmal zu tun. Wir haben Kinder und Hunde und Katzen genug; die Kinder brauchen ebensowenig von mir geboren zu sein wie die jungen Katzen. Ein Kind ist ein Kind, und Tilly bringt herrliche Exemplare hervor, und das gleiche gilt für Janet und für Betty.
Und natürlich für Wendy. Wäre es nicht unmöglich, würde ich sagen, sie hat ihre sexuelle Energie von der Mutter geerbt — von mir, meine ich. Als sie das erstemal nach Hause kam und sagte: „Mama, ich glaube, ich bin schwanger“, war sie noch keine vierzehn Jahre alt. „Stell keine Mutmaßungen an!“ antwortete ich. „Geh zu Onkel Freddie und laß einen Mäusetest machen!“
Sie verkündete das Ergebnis beim Abendessen woraus sich prompt eine Party entwickelte, denn in unserer Familie gilt es schon als Tradition, daß die bestätigte Schwangerschaft einer unserer Frauen ein gehöriger Anlaß zum Feiern ist. Wendy hielt ihre erste Schwangerschaftsparty also mit vierzehn ab — und ihre nächste mit sechzehn, und die nächste mit achtzehn — und die neueste war erst letzte Woche. Es freut mich, daß sie so auf den Abstand geachtet hat, denn ich versorge diese Kinder, alle bis auf das jüngste, für das sie sich verheiratet hat. Ich habe also nie Mangelan Kleinkindern gelitten, die meine Fürsorge brauchten, auch wenn wir vier — jetzt fünf — nein sechs Mütter im Haushalt haben.
Matildas erstes Kind hat einen erstklassigen Vater und ist von bester Herkunft. Dr. Jerry Madsen. Behauptet sie jedenfalls. Und ich glaube ihr. Ihr früherer Herr hatte gerade ihre Sterilität aufheben lassen, in der Absicht, sie zum Großziehen von Nachkommen heranzuziehen, als sich die Gelegenheit bot, ihre Dienste für einen gut bezahlten Vier-Monats-Auftrag zu vergeben. Sie verwandelte sich in „Shizuko“, trat mit scheuem Lächeln und bescheidener Verbeugung auf und bewachte mich — doch umgekehrt bewachte ich auch sie, ohne es zu wissen. Oh, hätte sie es versucht, hätte sie vielleicht während des Tages ein bißchen Nachtleben finden können … aber sie verbrachte nun einmal beinahe vierundzwanzig Stunden in Kabine BB, um zur Stelle zu sein, wenn ich zurückkehrte.
Wann geschah es also? Es gab nur eine Gelegenheit, und die wurde auch voll genutzt. Während ich halb erfroren mit Percival unter dem Turbogenerator hockte, lag meine „Zofe“ mit meinem Arzt in meinem Bett. Der junge Mann hat also vorzügliche Eltern! Ein Witz am Rande: Jerry wohnt heute mit seiner netten Frau Dian in Neu-Brisbane — aber Tilly hat ihm nichts davon gesagt, daß in unserem Haushalt ein Sohn von ihm lebt. Ist das ein weiterer „erstaunlicher Zufall“?
Ich glaube nicht. Der Beruf des Arztes gehört hier zu denen, für die kein Beitrag entrichtet werden muß; Jerry wollte heiraten und die Raumfliegerei an den Nagel hängen — und wozu sollte sich jemand auf der Erde niederlassen, wenn er Gelegenheit hat, sich sämtliche Kolonien anzuschauen? Der größte Teil unserer Familie läßt sich jetzt bei Jerry behandeln; er ist ein guter Arzt. Gewiß, wir haben zwei eigene Ärzte in der Familie, die aber nie praktiziert haben; früher waren sie Gen-Chirurgen Versuchsbiologen, Genetik-Ingenieure — jetzt sind sie Landwirte.
Auch Janet kennt die Väter ihres ersten Kindes — beide Ehemänner aus jener Zeit, Ian und Georges.
Warum beide? Weil sie es so haben wollte und weil Janet einen eisernen Willen hat. Ich habe mehrere Versionen vernommen, doch ich glaube, daß sie hinsichtlich ihres ersten Kindes nicht zwischen den beiden wählen wollte.
Bettys erstes Kind ist mit ziemlicher Sicherheit nicht mit dem Skalpell entstanden und könnte legitim sein. Betty aber setzt sich mit solcher Energie über alle Konventionen hinweg, daß sie es fertigbringt zu erzählen, das Kind sei das Ergebnis einer Orgie nach einem Maskenball. Neu-Brisbane ist eine sehr ruhige Gemeinde, doch ein Haushalt, zu dem Betty Frances gehört, kann einfach nicht langweilig sein.
Vermutlich wissen Sie über die Rückkehr des Schwarzen Todes mehr als ich. Gloria meint ja, meine Warnungen hätten Luna City gerettet, aber ich finde dieses Lob stünde eher dem Chef zu — meine kurze Karriere als Weissagerin fällt im Verhältnis zu seiner langen Tätigkeit kaum ins Gewicht.
Die Pest beschränkte sich auf die Erde; das war auf jeden Fall das Werk unseres Chefs — obwohl während der kritischsten Phase Neu-Brisbane die Forderung durchsetzte, daß jedes Landungsboot erst dem Vakuum ausgesetzt und dann neu mit Luft gefüllt werden mußte. Diesem Vorgehen fielen etliche Ratten und Mäuse — und Flöhe zum Opfer. Der Kapitän des Raumschiffes stellte nach diesem Ergebnis der Aktion seine lautstarken Proteste ein.
Beitrittszahlungen: Die Post zwischen Botany Bay und Erde/Luna dauert vier bis acht Monate hin und zurück — nicht schlecht für hundertundvierzig Lichtjahre. (Ich hörte mal eine Touristin fragen, warum wir denn nicht die Funkpost benutzten.) Gloria bezahlte die für mich fälligen Gebühren so schnell es ging und stattete mich großzügig mit Startkapital aus — das Testament des Chefs ließ ihr da viel Bewegungsspielraum. Sie brachte nicht das Gold auf den Weg, vielmehr wurden die Werte auf dem Konto der Kolonie in Luna City gutgeschrieben; dagegen wurden dann Lieferungen und andere Käufe der Kolonie angerechnet.