„Marjorie, als ich davon erfuhr, war alles gelaufen.“
„Das hat man mir auch gesagt. Brian, seit meiner Rückkehr in die Familie habe ich gehofft, daß mir jemand die Ereignisse erklären würde. Nach Vickies Aussage wurde dieses Problem zu keiner Zeit im Familienrat behandelt. Anita lehnte ab, als Ellen ihren Schatz zu Hause vorstellen wollte. Der Rest von Ellens Eltern wußte entweder nichts darüber oder unternahm nichts gegen Anitas … äh … Grausamkeit. Ja ›Grausamkeit‹. Woraufhin sich das Kind verheiratete.
Woraufhin Anita auf die Grausamkeit eine Ungerechtigkeit setzte: sie verwehrte Ellen ihr Geburtsrecht, ihren Anteil am Familienvermögen. Stimmt das?“
„Marjorie, du warst nicht hier. Wir übrigen — sechs von sieben — haben uns in dieser schwierigen Lage so vernünftig verhalten, wie wir konnten. Ich finde es von dir nicht richtig, jetzt im Nachhinein zu kommen und unser Tun zu kritisieren — mein Wort, das finde ich nicht richtig!“
„Mein Lieber, ich will dich nicht beleidigen. Aber es geht mir genau darum, daß sechs von euch nichts getan haben. Anita hat allein gehandelt und Dinge getan, die aus meiner Sicht grausam und ungerecht sind — und ihr übrigen hieltet euch zurück und ließetihr das durchgehen. Es handelt sich also nicht um eine Familienentscheidung, sondern um einen Entschluß Anitas. Wenn das stimmt, Brian — und stell bitte richtig, wenn ich falsch liege —, dann fühle ich mich bemüßigt, eine Sitzung aller Frauen und Männer zu verlangen, um diese Grausamkeit wiedergutzumachen. Wir müssen Ellen und ihren Mann zu einem Besuch nach Hause einladen und damit die begangene Grausamkeit aus der Welt schaffen. Und es gilt die Ungerechtigkeit zu tilgen, indem wir Ellen den angemessenen Anteil des Familienvermögens auszahlen oder zumindest die Schuld anerkennen wenn sich die Mittel nicht sofort flüssig machen lassen. Sagst du mir bitte dazu deine Meinung?“
Brian trommelte mit den Fingernägeln auf die Tischplatte. „Marjorie, du siehst diese komplizierte Situation viel zu simpel. Du gestehst mir hoffentlich zu, daß ich Ellen liebe und mir ihr Wohlergehen ebenso am Herzen liegt wie dir?“
„Aber ja doch, Liebling!“
„Vielen Dank. Ich stimme dir zu, daß Anita es nicht hätte verbieten dürfen, daß Ellen den jungen Mann zu Hause vorstellte. O ja, hätte Ellen ihn vor dem Hintergrund ihres Zuhauses gesehen, angesichts der rücksichtsvollen Sitten und überlieferten Traditionen wäre sie womöglich zu dem Schluß gekommen, daß er doch nicht der richtige Partner für sie war. Anita hat Ellen in eine törichte Ehe getrieben — und das habe ich ihr auch klar gesagt. Die Sache kann aber nicht kurzfristig aus der Welt geschafft werden, indem man die beiden zu uns einlädt. Das siehst du sicher ein. Sagen wir, daß Anita die beiden freundlich und verzeihend empfangen müßte — aber es führt nun malkein Weg darum herum, daß sie es nicht tun wird und wenn wir sie dazu zwingen wollten!“
Er grinste mich an, und ich mußte das Lächeln erwidern. Anita kann charmant sein — aber auch unglaublich kalt und rücksichtslos, wenn es ihr in den Kram paßt.
Brian fuhr fort: „Statt dessen werde ich in einigen Wochen Anlaß zu einer Reise nach Tonga haben, eine Gelegenheit, mich mit dem Mann bekanntzumachen ohne Anita neben mir zu haben…“
„Großartig. Nimm mich doch bitte mit!“
„Darüber würde Anita sich ärgern.“
„Brian, Anita hat mich in dieser Sache auch sehr geärgert. Ich lasse mich aus diesem Grund nicht von einem Besuch bei Ellen abhalten.“
„Hmm — würdest du aber auf etwas verzichten, das unser aller Wohlergehen beeinträchtigen könnte?“
„Wenn man mich darauf hinwiese, ja. Natürlich würde ich eine Erklärung verlangen.“
„Die sollst du bekommen. Aber laß mich zuerst auf den zweiten Punkt zu sprechen kommen. Natürlich bekommt Ellen jeden Penny, der ihr zusteht. Aber du mußt doch zugeben, daß dazu keine Eile besteht.
Übereilt geschlossene Ehen halten oft nicht lange.
Außerdem könnte es doch sein — allerdings habe ich dafür keinen Beweis —, daß Ellen das Opfer eines Glücksjägers geworden ist. Warten wir ein wenig ab schauen wir uns an, wie sehr es der Bursche auf ihr Geld abgesehen hat. Wäre das nicht vorsichtig gedacht?“
Ich mußte zugeben, daß er recht hatte. Er fuhr fort:
„Marjorie, meine Liebe, du bist mir und allen anderen besonders lieb, weil wir dich viel zu selten bei unshaben. Dadurch ist jeder Besuch von dir wie neue Flitterwochen. Weil du aber die meiste Zeit fort bist verstehst du nicht, warum wir übrigen es immer darauf anlegen, Anita bei Laune zu halten.“
„Nun ja. Nein, ich weiß es nicht. Das müßte aber in beiden Richtungen funktionieren.“
„Im Umgang mit dem Gesetz und mit anderen Menschen habe ich festgestellt, daß ein großer Unterschied besteht zwischen dem ›Ist‹ und dem ›SollteSein‹. Ich lebe mit Anita am längsten zusammen; ich bin daran gewöhnt, ihre kleinen Eigenarten zu ertragen. Was dir nicht bewußt wird, ist der Umstand, daß sie der Leim ist, der die Familie zusammenhält.“
„Wie das, Brian?“
„Zunächst die auf der Hand liegende Frage ihrer Verwaltungsposition. Als Führer der Familienfinanzen und der Familienunternehmungen ist sie so gut wie unersetzbar. Vielleicht könnte der eine oder andere von uns in ihre Fußstapfen treten, aber es ist klar, daß sich niemand nach dem Posten sehnt, und ich glaube, daß niemand an ihr Können herankäme.
Aber auch abgesehen vom Geld ist sie eine entschlossene, fähige Führernatur. Ob es nun darum geht, einen Streit zwischen Kindern zu schlichten oder eine der tausend Fragen zu klären, die sich in einem großen Haushalt ergeben, Anita kommt stets zu einem Entschluß und hält die Dinge im Fluß. Eine Gruppenfamilie wie die unsere braucht einen starken, fähigen Anführer.“
(Einen starken, fähigen Tyrannen, sagte ich lautlos vor mich hin.)
„Liebe Marjorie, kannst du also noch ein wenig warten und dem guten alten Brian Zeit lassen, die Sa-che zu klären? Du mußt mir glauben, daß ich Ellen so sehr liebe wie du!“
Ich tätschelte ihm die Hand. „Natürlich glaube ich das.“ (Aber laß dir nicht zu lange Zeit!)
„Und wenn wir jetzt nach Hause kommen, gehst du dann zu Vickie und sagst ihr, daß du dir einen Scherz erlaubt hast und daß es dir leid tut, sie so aufgeregt zu haben? Ich bitte dich darum, meine Liebe.“
(Hoppla! Ich hatte so sehr an Ellen gedacht, daß mir ganz entfallen war, womit dieses Gespräch begonnen hatte.) „Einen Moment, Brian! Ich will gern abwarten und darauf verzichten, Anita weiter aufzuregen, weil du mir sagst, es wäre nötig. Aber ich werde Vickies Rassenvorurteilen keinen Vorschub leisten!“
„Das tätest du ja auch nicht. Unsere Familie ist in solchen Dingen nicht einer Meinung. Ich denke ja so wie du, und du wirst feststellen, daß das bei Liz auch der Fall ist. Vickie sitzt irgendwie auf dem Zaun; sie möchte einen Weg finden, Ellen in die Familie zurückzuholen, und nachdem ich inzwischen mit ihr gesprochen habe, räumt sie gern ein, daß Tonganer auch nicht anders sind als Maori und daß es einzig und allein auf die jeweilige Person ankommt. Sie regt sich im Grunde auch nur über den seltsamen Scherz auf, den du im Hinblick auf deine eigene Person gemacht hast.“
„Oh! Brian, du hast mir einmal gesagt, du hättest ein Biologiestudium so gut wie abgeschlossen, ehe du dich für Jura entschiedest.“
„Ja. ›So gut wie abgeschlossen‹ ist wohl ein bißchen übertrieben.“
„Dann weißt du, daß eine Künstliche Person von einem ganz normalen Menschen biologisch nicht zuunterscheiden ist. Das Fehlen der Seele zeigt sich nicht.“
„Wie bitte? Ich bin lediglich im Kirchenvorstand meine Liebe; um die Seelen sollen sich die Theologen kümmern. Es ist jedenfalls nicht schwierig, ein Lebendiges Artefakt auszumachen.“
„Ich habe nicht von einem Lebendigen Artefakt gesprochen. Dieser Begriff gilt sogar für einen sprechenden Hund wie Lord Nelson. Eine Künstliche Person aber beschränkt sich streng auf die menschliche Gestalt und ein entsprechendes Aussehen. Wie willst du sie also identifizieren? Und das ist der Unsinn den Vickie von sich gegeben hat — sie könne eine KP stets sofort erkennen. Nimm zum Beispiel mich! Brian, du kennst meinen Körper recht gründlich — und das freut mich. Bin ich ein normaler Mensch oder eine Künstliche Person?“