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Genau im richtigen Augenblick kam Betty mit dem Morgentee; vermutlich hatte sie gelauscht. Sie setzte sich im Schneidersitz auf das Bett und trank eine Tasse mit uns. Dann standen wir auf und frühstückten.

Ich verzehrte Haferbrei mit Sahne, zwei schöne Eier Canterbury-Schinken, ein Stück Schweinekotelett Bratkartoffeln, heiße Brötchen mit Erdbeermarmelade und die beste Butter der Welt und schließlich eine Apfelsine; dies alles spülte ich mit starkem schwarzen Tee mit Zucker und Milch hinunter. Wenn die ganze Welt so gut frühstückte, wie es in Neuseeland üblich war, würde es keine politischen Unruhen mehr geben.

Für das Frühstück legte sich Freddie ein Wickel-tuch um, doch Betty verzichtete darauf, und ich folgte ihrem Beispiel. In der Krippe begonnen, wird meine Ausbildung hinsichtlich menschlicher Angewohnheiten und Benehmensvorschriften nie komplett sein.

Allerdings weiß ich, daß sich ein weiblicher Gast im Ausmaß ihres Bekleidetseins — oder Unbekleidetseins — der Gastgeberin anpassen muß. Im Grunde bin ich es nicht gewöhnt, mich in der Gegenwart von Menschen nackt zu bewegen (in der Krippe war das etwas anderes), aber Betty ist eine denkbar umgängliche Person. Ich fragte mich, ob sie mich ablehnen würde wenn sie wüßte, daß ich kein Mensch war. Ich nahm es nicht an, doch lag mir nichts daran, die Probe aufs Exempel zu machen. Ein fröhliches Frühstück …

Freddie lieferte mich um elf Uhr zwanzig am Passagierausgang ab. Er ließ Ian kommen und verlangte eine Quittung. Feierlich schrieb ihm Ian ein Papier aus. Wieder schnallte mich Ian in der Beschleunigungskoje fest. Leise sagte er: „Du hast doch schon beim erstenmal keine Hilfe benötigt, oder?“

„Nein“, bestätigte ich. „Aber es freut mich, daß ich die Hilflose gespielt habe. Es war ein herrlicher Tag!“

„In Winnipeg werden wir uns ebenso vergnügen.

Ich habe während des Countdowns mit Janet gesprochen und ihr Bescheid gegeben, daß du zum Abendessen bei uns sein wirst. Ich soll dir ausrichten, daß du auch beim Frühstück an unserem Tisch sitzen wirst — es wäre doch blöd, Winnipeg mitten in der Nacht zu verlassen; beim Transfer könntest du überfallen werden. Und damit hat sie recht — die inoffiziellen Einwanderer, die aus dem Imperium über die Grenze kommen, würden dich schon wegen einerKleinigkeit umbringen.“

„Ich bespreche das mit ihr, wenn wir dort sind.“

(Captain Ian, du Honigtiger, du hast mir gesagt, du würdest niemals heiraten, weil du frei sein müßtest wie die Wildgänse. Ob du dich daran erinnerst? Ich glaube nicht.)

„Abgemacht. Mag sein, daß sich Janet auf meinen Frauengeschmack nicht verläßt — sie meint, ich wäre voller Vorurteile; von niedrigen Beweggründen geleitet. Aber sie verläßt sich auf Betty — und die dürfte inzwischen mit ihr gesprochen haben. Sie kennt Betty länger als ich; sie waren Zimmergenossen in McGill.

Und dort lernte ich Janet kennen und Fred meine Schwester; wir vier waren Umstürzler — ab und zu erzeugten wir gehörig Wellen.“

„Betty ist ein Schatz. Ist Janet ihr ähnlich?“

„Ja und nein. Janet war der Motor unserer aufrührerischen Aktivitäten. Jetzt entschuldige mich aber bitte; ich muß den Captain spielen. In Wahrheit fliegt der Computer diese Blechkiste, doch bis zur nächsten Woche will ich das auch noch lernen.“ Er ließ mich allein.

Nach der heilsamen Katharsis meiner trunkenen Ausschweifung mit Ian und Freddie und Betty vermochte ich ruhiger über meine Ex-Familie nachzudenken. Hatte man mich wirklich betrogen?

Ich hatte den dummen Vertrag aus freien Stücken unterschrieben, einschließlich der Abbruchsklausel die mir jetzt im Magen lag. Hatte ich für Sex bezahlt?

Nein, es stimmt, was ich Ian gesagt hatte: Sex gibt es überall. Ich hatte für das angenehme Privileg der Zugehörigkeit bezahlt. Und zwar für die Zugehörigkeit zu einer Familie — und dabei war es mir besonders um die heimischen Freuden des Windelwech-selns, des Abwaschens und des Spielens mit den Haustieren gegangen. Mr. Stolperstein war mir dabei stets wichtiger gewesen als Anita — obwohl ich nie richtig darüber nachgedacht hatte. Ich hatte versucht sie alle zu lieben, bis das Problem mit Ellen die Scheinwerfer auch in einig schmutzige Ecken richtete.

Mal rechnen — ich wußte genau, wie viele Tage ich insgesamt bei meiner Ex-Familie hatte verbringen können. Da ließ sich schnell im Kopf ermitteln, daß ich (da meine gesamten Einzahlungen beschlagnahmt worden waren) für Kost und Logis während der beiden wunderschönen Urlaube etwas über vierhunderhundfünfzig EnEs-Dollar pro Tag auf den Tisch geblättert hatte.

Das wäre sogar in einem Luxushotel ein stolzer Preis gewesen … Die tatsächlichen Kosten, die die Familie für mich aufgewandt hatte, betrugen weniger als ein Vierzigstel dieser Summe. Zu welchen finanziellen Bedingungen waren die anderen der Familie beigetreten? Niemand hatte es mir gesagt.

Hatte Anita, die die Männer nicht davon abbringen konnte, mich zum Beitritt aufzufordern, das Arrangement so gestaltet, daß ich es mir nicht leisten konnte, meine Arbeit aufzugeben und zu Hause zu leben, und daß ich gleichwohl zu Bedingungen an die Familie gebunden war, die für sie recht vorteilhaft waren — das heißt: für Anita? Das ließ sich nicht mehr feststellen. Ich wußte so wenig über Ehen zwischen Menschen, daß ich mir darüber kein Urteil hatte erlauben können — und auch jetzt fehlte mir dazu die Grundlage.

Eins hatte ich jedoch gelernt — daß Brian sich gegen mich wandte, hatte mich überrascht. Ich hatte ihn fürdas ältere, klügere, erfahrenere Familienmitglied gehalten, für den Mann, der die Tatsache meiner biologischen Andersartigkeit hinnehmen und damit leben konnte.

Vielleicht wäre er dazu in der Lage gewesen, wenn ich mir für den Beweis eine andere gesteigerte Eigenart ausgesucht hätte, etwas, das weniger bedrohlich auf ihn gewirkt haben mußte.

Aber ich hatte ihn im Spiel der Kräfte überboten auf einem Gebiet, das ein Mann von Natur aus als seine ureigenste Domäne ansieht. Ich hatte seinen männlichen Stolz getroffen.

Wenn man ihn nicht gleich darauf umbringen will darf man einem Mann niemals zwischen die Beine treten. Nicht einmal symbolisch. Oder vielleicht erst recht nicht symbolisch.

9. Kapitel

Nach einiger Zeit verließen wir den Zustand des freien Falls und gingen in den Überschallgleitflug über, der für mich immer wieder unglaublich aufregend ist. Der Computer leistete gute Arbeit beim Ausgleich der heftigen Luftbewegungen — trotzdem spürte man noch die Vibration in den Zahnwurzeln — und nach der anstrengenden Nacht spürte ich sie auch noch woanders.

Ziemlich abrupt brachen wir durch die Schallmauer und brachten einige Zeit im Schallbereich zu, wobei sich das Schreien der Luft allmählich aufbaute.

Dann setzten wir auf, und die Bremsraketen sprangen an und brachten uns in kürzester Zeit zum Stillstand.

Ich atmete tief durch. So gern ich mit einer SBR fliege kann ich mich doch erst richtig entspannen, wenn wir nach der Landung ganz gestoppt haben.

Wir waren Donnerstag um zwölf Uhr mittags von der Nordinsel gestartet und kamen vierzig Minuten später in Winnipeg an, und zwar am Abend vorher (Mittwoch), um 18.40 Uhr. (Nun staunen Sie mich nicht an; schauen Sie sich lieber eine Landkarte an auf denen die Zeitzonen eingezeichnet sind.)

Wieder wartete ich und verließ die Kabine als letzter Passagier. Und wie schon einmal kümmerte sich unser Captain um mein Gepäck, begleitete mich diesmal aber mit der Lässigkeit eines alten Freundes — was mich außerordentlich aufmunterte. Er geleitete mich durch eine Nebentür und blieb auch während der Formalitäten beim Zoll und bei der Paßkontrolle bei mir, wobei er sein Gepäck als erstes zur Inspektion hinhielt.Der Beamte griff nicht danach. „Hallo, Captain.