Natürlich ist denkbar, daß sie dich freilassen. Andererseits kann es geschehen, daß du den nächsten Winter in ziemlich zugigen Behelfsbaracken verbringen mußt. Die Krise sieht nicht so aus, als wäre sie schon nächste Woche zu Ende.“
Ich dachte nach. Mein eigener Fehler. Wenn ich auf Mission bin, reise ich nie mit nur einer Kreditkarte und stets mit ausreichend Bargeld. Ich war aber leichtfertigerweise davon ausgegangen, daß die Vorsichtsmaßregeln meiner beruflichen Arbeit auf eine Urlaubsreise nicht anzuwenden waren. Mit ausreichend klimpernder Barschaft kann man sich alle möglichen Tore öffnen. Doch ohne Geld …
Seit meiner Grundausbildung hatte ich nicht mehr versuchen müssen, ohne Mittel auszukommen. Vielleicht würde ich herausfinden müssen, ob diese Ausbildung etwas gefruchtet hatte. Zum Glück hatten wir warmes Wetter!
„Stellt den Ton lauter!“ brüllte Georges in diesem Augenblick. „Oder kommt rüber!“
Hastig gesellten wir uns zu ihm.
„… des Herrn! Mißachtet die eitlen Prahlereien der Sündigen! Wir allein sind verantwortlich für die apokalyptischen Vorzeichen, die ringsum zu sehen sind.
Satans Helfer haben versucht, die Heilige Arbeit von Gottes ausgewählten Werkzeugen zunichte zu machen und für ihre eigenen schändlichen Ziele zu mißbrauchen. Dafür werden sie jetzt bestraft. Unterdessen ergehen an die Herrscher über alle weltlichenAngelegenheiten die folgenden Heiligen Befehle:
Beendet sämtliche Übergriffe in das Himmlische Reich. Hätte der Herr gewollt, daß wir ins Weltall reisen, hätte er uns Flügel gegeben.
Laßt keine Hexe am Leben. Die sogenannten GenManipulationen spotten den Absichten des Herrn.
Zerstört die üblichen Höhlen, in denen solche Dinge geschehen. Tötet die wandelnden Toten, die in jenen schwarzen Abgründen heraufbeschworen worden sind. Hängt die Hexer, die solche bösen Künste ausüben.“
„Meine Güte“, sagte Georges, „ich glaube, damit bin ich gemeint!“ Ich sagte nichts dazu — ich wußte daß ich gemeint war.
„Männer, die sich zu Männern legen, Frauen, die zu Frauen gehen, alle, die sich mit Tieren paaren — sie sollen gesteinigt werden. Wie auch alle Frauen, die des Ehebruchs schuldig sind.
Papisten und Sarazenen, Ungläubige und Juden und all jene, die sich vor Götzenbildern beugen — die Engel des Herrn sagen euch: Bereut, denn die Stunde ist gekommen! Bereut, oder ihr spürt das schnelle Schwert der erwählten Werkzeuge des Herrn!
Pornographen und Dirnen und leichtfertige Frauen — bereut, oder der schreckliche Zorn des Herrn kommt über euch!
Sünder jeder Art, laßt diesen Kanal eingeschaltet damit euch Unterweisung zuteil wird, wie ihr das wahre Licht finden könnt.
Auf Anordnung des Großgenerals der Engel des Herrn.“
Das Band ging zu Ende, und es gab eine neue Pause. „Janet“, fragte Ian, „weißt du noch, wie wir dieEngel des Herrn zum erstenmal erlebten?“
„So schnell vergesse ich das nicht. Aber so etwas Lächerliches habe ich trotzdem nicht erwartet.“
„Es gibt wirklich ›Engel des Herrn‹?“ fragte ich.
„Das ist nicht bloß ein neuer Alptraum aus dem Fernsehen?“
„Hmm. Es fällt schwer, die ›Engel‹, die Ian und ich erlebt haben, mit dieser Sache in Verbindung zu bringen. Letzten März, vielleicht Anfang April, war ich zum Flughafen gefahren, um Ian abzuholen. In der großen Halle wimmelte es von Hare-KrishnaAnhängern mit gelben Roben und kahlrasierten Köpfen; sie hüpften auf und nieder und verlangten Geld.
Aus den Ankunftstüren strömten Horden von Scientologen, die bei uns eine Versammlung abhalten wollten — ich glaube, es war ein Kongreß für Nordamerika. Als die beiden Gruppen eben miteinander verschmolzen, tauchten die Engel des Herrn auf, mit selbstgemachten Schildern und Tambourinen und Knüppeln.
Marj, so eine bunte Prügelei habe ich selten erlebt!
Die drei Gruppen waren mühelos auseinanderzuhalten. Die Hare-Krishna-Anhänger sahen wie Clowns aus. Die Engel und die Hubbard-Fans trugen zwar keine langen Gewänder, doch man konnte sie ebenfalls leicht unterscheiden. Die Scientologen waren sauber und trugen ihr Haar kurz geschnitten; die Engel dagegen sahen aus wie ungemachte Betten. Außerdem waren sie vom ›Geruch der Frömmigkeit‹ umgeben — ich geriet einmal in diesen schwülen Dunst und machte mich schnellstens davon.
Die Scientologen mußten, wie dir bekannt ist schon oft für ihre Rechte kämpfen; sie stürzten sichmit Disziplin ins Getümmel, wehrten sich und verschwanden schnell, wobei sie ihre Verwandten mitnahmen. Die Haarigen Krishner kämpften wie quiekende Hühner und ließen die Verwundeten liegen.
Die Engel des Herrn aber gebärdeten sich, als hätten sie den Verstand verloren — was meiner Meinung nach zutrifft. Sie walzten geradeaus in die Schlacht und schwangen ihre Knüppel und Fäuste. Sie hörten erst auf, bis sie bis zum letzten Mann am Boden lagen und nicht mehr hochkamen. Die Berittene Polizei mußte etwa so viele Beamte einsetzen, wie da Engel am Kampf beteiligt waren — wohingegen bei den üblichen Unruhen ein Berittener meist für einen ganzen Aufstand ausreicht.
Anscheinend wußten die Engel, daß die HubbardFans eintreffen würden, und wollten sie dort überfallen; die Hare-Krishna-Jünger tauchten zufällig am gleichen Ort auf — für sie ist der Flughafen ein Ort, um den Normalbürgern Spenden abzunehmen. Als die Engel aber feststellten, daß sie die Scientologen nicht in den Griff bekamen, gaben sie sich damit zufrieden die Krishna-Ausgeflippten zusammenzuschlagen!“
Ian nickte. „Ich hab’s von der anderen Seite der Barriere aus verfolgt. Die Engel kämpften wie die Berserker. Vielleicht waren sie im Rausch. Ich hätte aber nie geglaubt, daß ein solcher verdreckter Lumpenhaufen von Frömmlern für den ganzen Planeten zur Gefahr werden könnte — Himmel, ich glaube es immer noch nicht! Ich nehme an, sie wollen die Lage ausnutzen — wie jene Psychoten, die sich bei jedem spektakulären Verbrechen als Täter melden.“
„Gegen sie kämpfen möchte ich aber trotzdem nicht“, fügte Janet hinzu.„Stimmt genau! Lieber gäbe ich mich mit einem Rudel wildgewordener Hunde ab. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß diese Verrückten die Regierung stürzen können. Geschweige denn eine ganze Welt!“
Keiner von uns ahnte, daß sich noch andere als Urheber der Unruhen melden würden — doch zwei Stunden später meldeten die Stimulatoren ihre Ansprüche an.
„Ich bin der autorisierte Sprecher der Stimulatoren.
Wir leiteten die allerersten Hinrichtungen ein und suchten uns die Zielpersonen dafür gründlich aus.
Wir haben die Unruhen nicht angezettelt und sind auch nicht für die zwischenzeitlich begangenen Untaten verantwortlich. Für erforderlich hielten wir es einige Kommunikationswege zu blockieren, die aber wieder freigegeben werden, sobald die Verhältnisse es erlauben. Die Ereignisse zwingen uns, unseren im Grunde gutgemeinten und gewaltlosen Plan zu ändern. Opportunisten, die sich in den englischsprachigen Ländern ›Überlebensrat‹ und in anderen Ländern ›Erben von Leo Trotzki‹ nennen oder sich mit anderen Namen bezeichnen, haben versucht, unser Programm an sich zu reißen. Man erkennt sie an der Tatsache, daß sie kein eigenes Programm haben.
Schlimmer sind religiöse Fanatiker, die sich ›Engel des Herrn‹ nennen. Deren sogenanntes Programm ist eine sinnlose Aneinanderreihung anti-intellektueller Schlagworte und gemeiner Vorurteile. Sie können keinen Erfolg haben, doch ihre Doktrin des Hasses vermag mühelos Bruder gegen Bruder, Nachbar gegen Nachbar aufzubringen. Man muß ihnen Einhalt gebieten!
Erster Krisenerlaß: Alle Personen, die sich als ›En-gel des Herrn‹ bezeichnen, werden hiermit zum Tode verurteilt. Die Behörden werden dieses Urteil vollstrecken, sobald eine solche Person ausfindig gemacht wird. Die Bürger werden angewiesen, sogenannte ›Engel‹ der nächsten Behörde zu übergeben indem sie eine Bürgerverhaftung vornehmen, und werden hiermit ermächtigt, in dem Maße Gewalt anzuwenden, wie sie zum Vollzug einer solchen Verhaftung erforderlich ist.