„Ich verstehe nichts von solchen Dingen“, antwortete ich. „Ich weiß nur, daß diese Suppe noch keine Dose gesehen hat.“
„Ich habe sie letzte Woche begonnen“, sagte Janet.„Dann aber übernahm Georges das Ruder und päppelte sie hoch. Er versteht mehr von Suppen als ich.“
„Ich verstehe sie lediglich zu essen, und ich hoffe daß der Topf noch recht viel hergibt.“
„Wir können jederzeit noch eine Maus hineintun“ versicherte mir Georges.
„Hat’s was Neues in den Nachrichten gegeben?“ fragte Janet.
„Was ist mit deiner Vorschrift, daß bei den Mahlzeiten nicht über die Außenwelt gesprochen werden soll?“
„Liebling Ian, du solltest besser als jeder andere wissen, daß meine Vorschriften auf andere zugeschnitten sind, nicht aber auf mich. Gib Antwort!“
„Im allgemeinen keine Veränderung. Neue Hinrichtungen sind nicht gemeldet worden. Falls sich der Horde prahlerischer Staatsvernichter weitere hinzugesellt haben sollten, zieht es unsere väterliche Regierung vor, nichts davon zu sagen. Verdammt, wie ich diese Einstellung hasse — ›Papa weiß es schon am besten‹! Papa weiß es eben nicht am besten, sonst steckten wir nicht in dem Chaos, das heute überall herrscht. Im Grunde wissen wir nur, daß die Regierung Zensur ausübt. Was zur Folge hat, daß wir nichts wissen. So etwas weckt in mir den Wunsch, irgend jemand abzuknallen.“
„Ich glaube, solche Sachen hat es schon zur Genüge gegeben. Oder möchtest du dich bei den Engeln des Herrn einschreiben lassen?“
„Wenn du das sagst, solltest du lächeln. Oder möchtest du eins auf dein Zuckerschnäuzchen haben?“
„Denk dran, was passiert ist, als du mich das letz-temal züchtigen wolltest.“
„Deswegen habe ich mich ja auf dein Zuckerschnäuzchen beschränkt.“
„Schätzchen, ich verschreibe dir drei doppelte Drinks oder eine Beruhigungstablette. Tut mir leid wenn du dich aufregst. Mir gefällt das alles auch nicht, aber ich sehe keine andere Möglichkeit, als weiter abzuwarten.“
„Jan, manchmal bist du beinahe unerträglich vernünftig. Was mich die Wände hochgehen läßt, ist dieses riesige schwarze Loch in den Meldungen … das ohne Erklärung bleibt.“
„Ja?“
„Die multinationalen Firmen. Die Nachrichten haben sich auf die Territorialstaaten beschränkt, über die Firmenmächte ist kein Wort gefallen. Wer jedoch heute einigermaßen bis zehn zählen kann, muß wissen, wo die wahre Macht liegt. Wissen die blutrünstigen Idioten das nicht?“
Sanft sagte Georges: „Mein Freund, vielleicht liegt genau da der Grund, warum die Konzerne bisher nicht als Angriffsziele zur Sprache gekommen sind.“
„Ja, aber …“ Ian unterbrach sich.
„Ian“, sagte ich, „als wir uns kennenlernten, erzähltest du mir, daß es im Grunde keine Möglichkeit gibt, gegen einen Firmenstaat loszuschlagen. Dabei erwähntest du IBM und Rußland.“
„So habe ich das aber nicht ausgedrückt, Marj. Ich sagte, man könne nicht mit militärischer Gewalt gegen einen Multi vorgehen. Bei den alltäglichen Auseinandersetzungen untereinander setzen die Riesen Geld und Bevollmächtigte ein und lassen sich auf Manöver ein, die nicht mit Gewaltanwendung, sondern durchRechtsanwälte und Bankiers ausgefochten werden.
Gewiß, manchmal bekämpfen sie sich mit Söldnerarmeen, aber sie geben es nicht zu, und es gehört normalerweise auch nicht zu ihrem Repertoire. Die Dummköpfe, die da im Augenblick losschlagen, setzen aber genau die Waffen ein, mit denen ein Multi getroffen werden kann, und zwar entscheidend:
Morde an wichtigen Leuten und Sabotageakte. Dies liegt so klar auf der Hand, daß es mich beunruhigt nichts davon in den Nachrichten zu hören. Ich frage mich unwillkürlich, was da noch alles vorgeht, das nicht über die Sender ausgestrahlt wird.“
Ich schluckte einen großen Brocken Brot hinunter den ich in der himmlischen Suppe eingeweicht hatte dann sagte ich: „Ian, läge es im Bereich des Möglichen, daß diese ganze Show auf das Betreiben eines — oder mehrerer — Multis zurückgeht — durch angeheuerte Strohmänner?“
Ian richtete sich so plötzlich auf, daß seine Suppe überschwappte und er sich das Lätzchen schmutzigmachte. „Marj, du erstaunst mich! Ursprünglich habe ich dich aus Gründen, die nichts mit deinem Gehirn zu tun haben, aus der großen Menge ausgesucht …“
„Ich weiß.“
„…aber du bestehst darauf, dein Köpfchen unter Beweis zu stellen. Dir fiel sofort auf, was an dem Gedanken unserer Firma, künstliche Piloten in den Dienst aufzunehmen, nicht stimmte — ich werde deine Argumente in Vancouver vortragen. Jetzt hast du dir die verrückte Nachrichtenszene angeschaut — und das einzige fehlende Stück im Puzzle richtig eingefügt, so daß das Ganze plötzlich einen Sinn ergibt.“
„Ich weiß nicht recht, ob es einen Sinn ergibt“,antwortete ich. „Den Nachrichten zufolge hat es aber Morde und Sabotageakte auf dem ganzen Planeten und seinen Vororten gegeben, auf Luna und bis hinaus zum Ceres. Dazu sind Hunderte von Leuten erforderlich, vermutlich sogar Tausende. Anschläge und Sabotageakte erfordern Spezialisten, die ausgebildet sein müssen. Selbst wenn man dazu Amateure gewinnen könnte, würden sie doch in sieben von zehn Fällen Mist bauen. Die ganze Sache scheint mir auf Geld hinzuweisen. Viel Geld. Nicht nur auf eine verrückte politische Organisation oder einen religiösen Kult von Irrsinnigen. Wer hat das Geld für eine welt- und systemweite Demonstration dieser Art? Ich weiß es nicht — ich habe nur eine Möglichkeit angesprochen.“
„Ich glaube, du hast das Rätsel gelöst — bis auf die Frage, wer da hinter den Kulissen steht. Marj, was machst du, wenn du dich nicht bei deiner Familie in Neuseeland aufhältst?“
„Ich habe keine Familie in Neuseeland, Ian. Meine Männer und meine Gruppenschwestern haben sich von mir scheiden lassen.“
(Ich war so schockiert wie er.)
Am Tisch trat Schweigen ein. Ian schluckte und sagte leise: „Das tut mir schrecklich leid, Marjorie.“
„Braucht dir nicht leid zu tun, Ian. Ein Fehler wurde richtiggestellt; die Sache ist vorbei. Ich werde nicht nach Neuseeland zurückkehren. Eines Tages würde ich aber gern nach Sydney reisen, um Betty und Freddie zu besuchen.“
„Darüber würden sie sich bestimmt freuen.“
„Das weiß ich. Beide haben mich eingeladen. Ian was unterrichtet Freddie eigentlich? Auf dieses The-ma sind wir gar nicht gekommen.“
„Federico ist ein Kollege von mir, liebe Marjorie“ antwortete Georges. „Ein Glücksumstand, der dazu geführt hat, daß ich heute hier bin.“
„Stimmt genau“, sagte Janet. „Chubby und Georges haben schon in McGill zusammen Gene gespalten, und durch diese Partnerschaft lernte Georges Betty kennen, während Betty ihn mir zuwarf und ich ihn auffing.“
„Daraufhin schlossen Georges und ich eine Vereinbarung“, bestätigte Ian, „da keiner von uns mit Jan allein fertig wurde. Stimmt’s, Georges?“
„Sehr vernünftig gesprochen, mein Bruder. Falls wir beide tatsächlich mit Janet fertigwerden.“
„Vielmehr habe ich Mühe mit euch beiden“, bemerkte Janet. „Ich sollte Marj zur Unterstützung verpflichten. Was meinst du dazu, Marj?“
Ich fand, daß dieses Angebot nicht ernst gemeint sein konnte, und reagierte entsprechend darauf. Die anderen redeten einigermaßen wirres Zeug, um den Schock zu überwinden, den ich ausgelöst hatte. Wir alle wußten das. Aber war es außer mir noch jemandem aufgefallen, daß meine Arbeit plötzlich nicht mehr das Thema war? Ich wußte, was geschehen war — warum aber beschlossen die tieferen Regionen meines Gehirns, das Thema so nachdrücklich abzubiegen? Ich würde doch niemals die Geheimnisse meines Chefs ausplaudern!