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Plötzlich verspürte ich das dringende Bedürfnis mich mit dem Chef abzustimmen. War er irgendwie in die seltsamen Ereignisse verwickelt? Und wenn ja auf wessen Seite?

„Noch Suppe, meine Dame?“

„Sie bekommt erst ihren Nachschlag, wenn sie mir meine Frage beantwortet hat.“

„Aber Jan, das hast du doch nicht ernst gemeint.

Georges, wenn ich noch mehr Suppe esse, stopfe ich mich auch weiter mit Knoblauchbrot voll. Und dann werde ich dick. Nein. Führe mich nicht in Versuchung!“

„Noch Suppe?“

„Nun ja … ein bißchen.“

„Ich spreche im Ernst“, ließ Janet nicht locker. „Ich will dich nicht festnageln, da dir das Thema Familie und Kinderkriegen wohl im Moment bis zum Hals steht. Aber wir könnten es probehalber vereinbaren und in einem Jahr dann endgültig darüber abstimmen. Wenn du willst. Bis dahin würde ich dich als Haustier halten — und würde diese beiden Böcke nur mit dir in ein Zimmer lassen, wenn ihr Verhalten mir zusagt.“

„Moment mal!“ protestierte Ian. „Wer hat sie hergeholt? Ich! Marj ist mein Schatz!“

„Wenn man Betty glauben kann, dürfte sie eher Freddies Schatz sein. Du hast sie an Bettys Stelle hierhergebracht. Wie dem auch sein mag, das war gestern, und jetzt ist sie mein Schatz. Wenn einer von euch beiden mit ihr sprechen will, muß er vorher zu mir kommen und sich seine Eintrittskarte von mir abknipsen lassen. Stimmt’s, Marjorie?“

„Wenn du meinst, Janet. Das Ganze ist wirklich nur sehr theoretisch, da ich fort muß. Habt ihr eine großflächige Karte des Grenzgebiets im Haus? Ich meine die Südgrenze.“

„Etwas, das genausogut ist. Du kannst dir so ein Ding auf das Terminal holen. Wenn du einen Printoutbrauchst, nimm das Terminal in meinem Arbeitszimmer — neben meinem Schlafzimmer.“

„Ich möchte die Nachrichten nicht unterbrechen.“

„Das brauchst du auch nicht. Wir können jedes Terminal von den anderen abkoppeln — anders ginge es nicht, da wir ein Haushalt von Individualisten sind.“

„Besonders Jan“, meinte Ian. „Marj, wozu brauchst du eine große Karte der Grenze des Imperiums?“

„Ich würde ja lieber mit der Tunnelbahn nach Hause fahren. Aber das geht nicht. Und da das nicht geht muß ich mir eine andere Möglichkeit überlegen, mein Ziel zu erreichen.“

„Das habe ich mir gleich gedacht. Liebling, ich werde dir die Schuhe wegnehmen müssen. Ist dir nicht klar, daß man dich beim Durchqueren der Grenzzone erschießen kann? Im Augenblick dürfte den Grenzwächtern auf beiden Seiten der Finger ziemlich locker am Abzug sitzen.“

„Äh … dürfte ich mir die Grenze trotzdem mal ansehen?“

„Aber ja doch — wenn du mir versprichst, dich nicht hinüberschleichen zu wollen.“

„Mein Bruder“, sagte Georges leise, „man sollte niemanden, der einem nahesteht, zum Lügen verleiten.“

„Georges hat recht“, bestimmte Jan. „Keine erzwungenen Versprechungen. Mach nur zu, Marj! Ich räume hier ab. Ian, du hast dich soeben als Freiwilliger gemeldet.“

Die nächsten beiden Stunden verbrachte ich am Computerterminal in dem geborgten Zimmer und prägte mir die Grenze als Ganzes ein. Anschließendging ich auf maximale Vergrößerung und studierte gewisse Abschnitte mit jedem Detail. Keine Grenze kann wirklich dichtgemacht werden, und das gilt auch für die waffenstarrenden Mauern, mit denen einige totalitäre Staaten ihre Untergebenen einfrieden.

Normalerweise ergeben sich die besten Möglichkeiten unweit der bewachten Durchgänge; oft bestehen in solchen Zonen eingespielte Schmugglerpfade. Bekannten Wegen wollte ich allerdings nicht folgen.

In erreichbarer Nähe gab es etliche Grenzübergänge: Emerson Junction, Pine Creek, South Junction Gretna, Maida und so weiter. Ich schaute mir auch den Roseau River an, der aber floß in die falsche Richtung — nach Norden in den Red River.

Ostsüdöstlich von Winnipeg liegt der Lake of the Woods, in den eine seltsame Landzunge hineinragt die auf der Karte als Teil des Imperiums eingefärbt war. Dort war kein Hindernis angegeben, das verhindert hätte, an dieser Stelle über die Grenze zu wandern — wenn man mehrere Kilometer Sumpfgebiet in Angriff nehmen wollte. Ich bin kein Supermann und nehme mich daher vor Sümpfen in acht wie jeder andere — trotzdem lockte mich das unbewachte Stück Grenze ein wenig. Ich schlug mir den Gedanken dann aber doch aus dem Kopf, weil das Landstück zwar juristisch zum Imperium gehörte, in der Praxis aber vom eigentlichen Imperium durch eine dreiundzwanzig Kilometer breite Wasserfläche getrennt war. Konnte ich ein Boot stehlen? Ich durfte darauf wetten, daß jedes Boot, das jenen Teil des Sees befuhr, einen Alarmstrahl durchschneiden würde.

Wenn man dann nicht richtig auf den Anruf reagierte, bekam man einen Laserstrahl in den Bug, der rie-sige Lecks reißen mußte. Ich kämpfe nicht gegen Laser; man kann sie nicht bestechen oder becircen — ich gab die Sache auf.

Eben hatte ich das Studium beendet und ließ das Bild der Landkarten noch auf mich wirken, als plötzlich Janets Stimme aus dem Terminal tönte. „Marjorie bitte komm sofort ins Wohnzimmer!“

Ich reagierte schnell.

Ian sprach mit jemandem auf dem Bildschirm. Georges hielt sich abseits, außerhalb des Erfassungsbereiches der Kameralinse. Janet bedeutete mir durch Handzeichen, es ihm nachzumachen. „Polizei“, sagte sie leise. „Ich schlage vor, du gehst sofort ins Loch hinunter! Warte dort ab, dann rufe ich dich an, wenn es vorbei ist.“

„Weiß man, daß ich hier bin?“ fragte ich ebenso gelassen.

„Das ist noch nicht klar geworden.“

„Dann wollen wir mal abwarten. Wenn die Beamten wissen, daß ich hier bin, und mich nicht finden bekommt ihr Ärger.“

„Wir haben keine Angst vor Ärger.“

„Vielen Dank. Aber jetzt hören wir erst einmal zu.“

„Mel“, sagte Ian zu dem Gesicht auf dem Bildschirm, „nun hören Sie endlich auf! Georges ist kein feindlicher Ausländer, das wissen Sie genau. Was diese … ›Miß Baldwin‹ angeht — so haben Sie sie doch genannt — warum suchen Sie ausgerechnet bei uns nach ihr?“

„Sie verließ gestern abend mit Ihnen und Ihrer Frau den Flughafen. Wenn sie nicht mehr bei Ihnen ist, wissen Sie bestimmt, wo sie steckt. Was Georgesangeht, so ist heute jeder Québecer ein feindlicher Ausländer, egal wie lange er schon hier ist oder welchen Klubs er angehört. Und sicher wäre es Ihnen lieber, wenn ein alter Freund ihn abholt als irgendein Streifenbeamter. Jetzt schalten Sie bitte Ihre Luftabwehr aus! Ich bin landebereit.“

„›Alter Freund‹ — das ist ja gelacht! Er versucht mich schon seit der High School ins Bett zu bekommen; ich habe ihn immer wieder abweisen müssen. Er ist ein schleimiger Charakter.“

Ian seufzte. „Mel, jetzt ist wirklich der richtige Zeitpunkt, von Freundschaft zu sprechen. Wenn Georges hier wäre, würde er sich lieber von einem Streifenbeamten verhaften lassen, als unter dem Vorwand von Freundschaft abgeholt zu werden. Also zurück auf Feld Eins! Bitte den Dienstweg.“

„Oh, so soll das also laufen, wie? Na schön! Hier spricht Lieutenant Dickey. Ich bin gekommen, um eine Verhaftung vorzunehmen. Schalten Sie die Luftabwehr aus! Ich lande.“

„Ian Tormey, Hausbesitzer, ich bestätige Ihren Anruf, Lieutenant, halten Sie den Haftbefehl vor die Kamera, damit ich ihn mir anschauen und photographieren kann.“

„Ian, Sie haben ja den Verstand verloren! Wir leben im Notstand; ich brauche keinen Haftbefehl.“

„Ich verstehe nicht, was Sie sagen.“

„Vielleicht verstehen Sie das: Ich stehe im Begriff ihre Luftabwehr kurzzuschließen. Wenn ich dabei irgend etwas in Brand stecke, wäre das allein Ihr Problem.“

Angewidert breitete Ian die Hände aus und betätigte dann einige Kontrollen auf der Tastatur. „Luft-abwehr ausgeschaltet.“ Anschließend drückte er „Unterbrechung“ und wandte sich an uns. „Ihr beiden habt knapp drei Minuten Zeit, ins Loch zu verschwinden. An der Tür kann ich ihn nicht lange zurückhalten.“