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Er grinste und begann sich auszuziehen.

„Ach, hör damit auf und küß mich!“ forderte ich.

„Dann fahren wir nach San José. ›Mangelhaft‹! Na wie war das Urteil denn nun?“ Die Fahrt von Bellingham nach San José dauerte beinahe so lange wie die Reise von Winnipeg nach Vancouver; diesmal aber fanden wir Sitzplätze. Gegen vierzehn-fünfzehn kamen wir wieder an die Erdoberfläche. Ich blickte mich interessiert um, denn es war mein erster Besuch in der Hauptstadt der Konföderation.

Als erstes fiel mir die große Zahl von AAF auf, die wie Fliegen überall herumschwirrten — die meisten als Taxis. Mir ist keine andere moderne Stadt bekannt, die ihren Luftraum in diesem Umfang verseuchen läßt. Die Straßen waren überladen mit Pferdedroschken, und an jeder Straße führten Bürgersteige entlang; trotzdem erblickte man die angetriebenen Störenfriede überall — wie Fahrräder in Kanton.

Dann ging mir auf, wie sich San José anfühlte. Es handelte sich nicht um eine Stadt. Jetzt endlich begriff ich die klassische Beschreibung: „Tausend Dörfer auf der Suche nach einer Stadt.“

San José hat im Grunde keine Daseinsberechtigung außer der Politik. Kalifornien aber macht mehr aus der Politik als jedes andere Land, das ich kenne — eine schamlose, rückhaltlose Demokratie reinsten Wassers. Demokratien findet man mancherorts — beispielsweise gibt es sie in Neuseeland in abgewandelter Form. Doch nur in Kalifornien findet man die reinste, 200prozentige, unverwässerte Demokratie.

Ins stimmberechtigte Alter kommt jeder Bürger, der groß genug ist, den Hebel zu bedienen, ohne vom Kindermädchen gestützt zu werden, und die Behörden nehmen einem Kalifornier das Stimmrecht höchst ungern — da muß man schon mit einer eidesstattlichen Krematoriumsbestätigung kommen.Was das bedeutete, wurde mir erst klar, als ich in einem Wahlbericht las, daß der Friedhof im Prehoda Patience Park in drei Wahlbezirke eingeteilt ist, wo die Hingeschiedenen ausnahmslos durch vorherbestimmte Vertreter wählen dürfen. („Tod, wo ist dein Stachel?“)

Ich will mich mit meinem Urteil zurückhalten, da ich schon erwachsen war, als ich zum erstenmal mit der Demokratie in ihrer milderen, gutartigen Form in Berührung kam. Vermutlich ist gegen die Demokratie nichts zu sagen, wenn sie zurückhaltend angewendet wird. Die Britisch-Kanadier benutzen eine abgewandelte Form und scheinen damit ganz gut zurechtzukommen. Nur in Kalifornien sind alle davon trunken.

Kein Tag scheint zu vergehen, da nicht irgendwo in Kalifornien eine Wahl stattfindet, und in jedem Bezirk gibt es (so sagte man mir) etwa einmal im Monat eine Wahl für diesen oder jenen Zweck.

Vermutlich kann man sich das dort leisten. Kalifornien verfügt auf dem weiten Weg zwischen BritischKanada und dem Mexikanischen Königreich über ein mildes Klima und besitzt einige der fruchtbarsten landwirtschaftlichen Zonen der Erde. Der zweitbeliebteste Sport — Sex — kostet in seiner Urform beinahe nichts; wie Marihuana ist er überall reichlich zu haben. So hat man Zeit und Energie für den kalifornischen Lieblingssport: das Gerede über die Politik.

Jedermann wird gewählt, von der Kantinenhilfe im Polizeipräsidium bis hinauf zum Ersten Konföderierten („Häuptling“ genannt). Aber beinahe ebenso schnell werden diese Mandatsträger auch wiederabgewählt. So soll der Häuptling beispielsweise sechs Jahre im Amt bleiben. Von den letzten neun Häupt-lingen hielten aber nur zwei diese Amtszeit durch; die anderen wurden des Amtes enthoben — außer einem, der der Lynchjustiz zum Opfer fiel. In vielen Fällen ist ein Amtsträger noch nicht einmal vereidigt worden, wenn bereits der erste Abberufungsantrag auf den Weg gebracht wird.

Die Kalifornier beschränken sich aber nicht darauf ihre Myriaden von Beamten zu wählen, aus dem Amt zu entfernen, anzuzeigen und (manchmal) zu lynchen; sie üben auch direkten Einfluß auf die Legislative aus. Bei jeder Wahl stehen mehr vorgeschlagene Gesetze auf dem Stimmzettel als Kandidaten. Die Provinz- und Nationalabgeordneten zeigen darin noch etwas Zurückhaltung — man hat mir versichert daß ein durchschnittlicher kalifornischer Abgeordneter eine Gesetzesvorlage zurückzieht, wenn man ihm beweisen kann, daß Pi nicht gleich drei sein kann, egal wie viele dafür stimmen. Die Gesetzgebung von der Basis aus („die Initiative“) kennt solche Einschränkung nicht.

So fiel beispielsweise vor drei Jahren einem Ökonomen von der Basis auf, daß die Universitätsabgänger im Durchschnitt etwa dreißig Prozent mehr verdienten als ihre Mitbürger, die solche Abschlüsse nicht vorzuweisen hatten. Derartige undemokratische Verhältnisse waren im Rahmen des Kalifornischen Traums nicht zu dulden. Folglich wurde in größter Hast für die nächste Wahl eine Initiative eingeleitet, die Vorschrift zu erlassen, wonach alle kalifornischen Oberschulabgänger und/oder kalifornischen Bürger, die achtzehn wurden, automatisch einen Universitätsabschluß zugesprochen erhielten. Eine Großvaterklausel datierte diese Höherstufung um acht Jahre zurück.Diese Maßnahme zeitigte beste Ergebnisse; die Inhaber solcher Abschlüsse genossen nun keine undemokratischen Vorteile mehr. Bei der nächsten Wahl wurde die Großvaterklausel auf zwanzig Jahre rückwirkend erweitert, und es gibt eine mächtige Bewegung, die den Bonus allen Bürgern zukommen lassen will.

„Vox populi, vox Dei.“ Ich sehe darin nichts Falsches. Der wohltätige Schritt, den ich eben beschrieben habe, kostet nichts und macht alle (mit Ausnahme weniger Querköpfe) glücklich.

Gegen fünfzehn Uhr schlenderten Georges und ich an der Südseite des Nationalplatzes entlang, vor der Front des Palastes, in dem der Häuptling regiert; unser Ziel war die Hauptverwaltung von Master Charge. Georges versicherte mir gerade, daß er nichts dagegen habe, wenn ich an einem Burger King Station machen wolle, um anstelle eines Mittagessens nur einen kleinen Bissen zu mir zu nehmen — und er betonte, seiner Meinung nach stelle der Riesenburger anständig zubereitet aus Sirloin-Ersatz, und das Schokoladenmalzgetränk, mit einem Minimum an Kreide versetzt, Kaliforniens einzigen Beitrag zur internationalen Haute Cuisine dar.

Verhalten aufstoßend gab ich ihm recht. Eine Gruppe von Frauen und Männern, etwa zwanzig kamen die breite Treppe vor dem Palast herab, und Georges war schon ein wenig abgebogen, um nicht mit den Leuten zusammenzustoßen, als mir bei einem kleinen Mann in der Mitte der mit Adlerfedern verzierte Kopfschmuck auffiel. Schon fiel mein Blick auf das oft photographierte Gesicht darunter, und ichhielt Georges mit einer Hand zurück.

Und machte aus dem Augenwinkel eine Beobachtung: eine Gestalt, die oben an der Treppe hinter einer Säule hervorkam.

Dies war der Auslöser. Ich stieß den Häuptling rücklings auf die Treppe, wozu ich einige seiner Helfer aus dem Weg befördern mußte, und hastete zu der Säule empor.

Ich tötete den Mann nicht, der dahinter gelauert hatte; ich brach ihm lediglich den Arm, mit dem er die Waffe hielt, und versetzte ihm einen ziemlich hoch plazierten Tritt, als er zu fliehen versuchte. Bei meiner Aktion hatte ich es nicht so eilig wie tags zuvor. Nachdem ich das Ziel möglichst klein gemacht hatte (dieser Kopfschmuck war wirklich zu auffällig!), hatte ich Zeit, mir zu überlegen, daß uns der Angreifer, wenn wir ihn lebendig fingen, einen Hinweis auf die Hintermänner der sinnlosen Tötungen geben könnte.

Aber was ich sonst noch getan hatte, ging mir erst auf, als zwei Hauptstadtpolizisten mich an den Armen festhielten. Die Erkenntnis überkam mich ziemlich spät; niedergeschlagen stellte ich mir den Ton der Verachtung vor, in dem der Chef mit mir sprechen würde, wenn ich ihm eingestehen mußte, daß ich mich in aller Öffentlichkeit hatte verhaften lassen. Einen Sekundenbruchteil lang spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken, mich loszureißen und am Horizont zu verschwinden — was nicht unmöglich war, da der eine Beamte sichtlich unter hohem Blutdruck litt und der andere schon älter war und eine Brille trug.