Im Dienst lasse ich mich notfalls noch auf solchen Unsinn ein — sie wäre bestimmt nicht so unerträglich gewesen wie „Rocky“ Rockford —, aber freiwillig lief da nichts. Wenn und falls ich die Schiene wechsle dann mit jemandem, den ich mag und respektiere.
Ich rückte näher dichter an Georges heran und nahm seinen Arm. „Seit mir Mama auf ihrem Totenbett das Versprechen abgenommen hat, mich um ihn zu kümmern, sind wir nicht getrennt gewesen“, sagte ich und fügte hinzu: „Also?“ Wir beide hatten schmollend die Lippen vorgeschoben und blickten störrisch in die Runde.
Morrie schaute mich an, dann Georges und seufzte.
„Na, was soll’s? Kommen Sie halt mit, Schwester.
Aber halten Sie die Klappe und bleiben Sie mir vor den Füßen weg!“
Etwa sechs Wachtposten später — jedesmal versuchte man mich von Georges zu trennen — wurden wir vor den Höchsten geführt. Mein erster Eindruck vom Ersten Konföderierten lief darauf hinaus, daß er wohl größer war, als ich bisher angenommen hatte.
Dann erst kam ich zu dem Schluß, es lag daran, daß er den Federschmuck abgelegt hatte. Mein zweiter Eindruck bestätigte, daß er unansehnlicher wirkte, als Photos, Karikaturen und Terminal-Bilder ihn darstellten — eine Einschätzung die Bestand haben sollte.
Wie so manchem Politiker vor ihm war es Tumbrilgelungen, eine auffällige Häßlichkeit zu einem politischen Vorteil umzumünzen.
(Ist Häßlichkeit Vorbedingung für ein Staatsoberhaupt? Wenn ich mir die Geschichte so ansehe, finde ich keinen einzigen gutaussehenden Mann, der es in der Politik wirklich weit gebracht hätte — es sei denn wir gehen bis zu Alexander dem Großen zurück. Der allerdings hatte den Vorteil auf seiner Seite, daß schon sein Vater König war.)
Wie dem auch sein mochte, „Kriegsschrei“ Tumbril wirkte wie ein Frosch, der wie eine Kröte aussehen wollte und dies nur knapp nicht schaffte.
Der Häuptling räusperte sich. „Was macht Sie denn hier?“
Hastig sagte Georges: „Sir, ich muß mich auf das Ernsthafte beschweren! Dieser Mann … Dieser Mann …“ — er deutete auf den Zahnstocherkauer — „versuchte mich von meiner lieben Schwester zu trennen!
Man muß ihn tadeln!“
Tumbril warf einen Blick auf Morrie, dann musterte er mich und schließlich wieder seinen Parasiten. „Haben Sie das wirklich getan?“
Morrie versicherte, er habe es nicht getan, doch selbst wenn, so hätte er es nur versucht, weil er der Meinung gewesen sei Tumbril habe es angeordnet aber auf jeden Fall habe er gedacht …
„Sie sollen nicht denken!“ bestimmte Tumbril.
„Wir unterhalten uns später noch. Und warum laßt ihr die beiden stehen? Holt einen Stuhl! Muß ich denn hier an alles denken?“
Sobald ich einen Sitzplatz hatte, wandte sich der Häuptling wieder Georges zu. „Sie haben da vorhin wirklich mutig gehandelt. Ja, Sir, sehr mutig. Diegroße Nation Kalifornien ist wirklich stolz, solche Söhne hervorgebracht zu haben. Wie heißen Sie?“
Georges nannte seinen Namen.
„›Payroll‹ ist ein stolzer kalifornischer Name, Mr.
Payroll; dieser Name scheint überall in unserer edlen Geschichte auf, angefangen von den Rancheros, die das Joch Spaniens abwarfen, bis hin zu den mutigen Patrioten, die das Joch der Wall Street loswurden.
Hätten Sie was dagegen, wenn ich Sie ›George‹ nenne?“
„Ganz und gar nicht.“
„Sie können ›Kriegsschrei‹ zu mir sagen. Das ist die krönende Schönheit unserer großen Nation, George; wir sind alle gleich.“
Plötzlich hörte ich mich fragen: „Ist das auch auf Künstliche Personen anwendbar?“
„Wie?“
„Ich fragte nach Künstlichen Personen, die Wesen die in Berkeley und Davis hergestellt werden. Sind die auch wirklich gleich?“
„Äh … junge Dame, Sie sollten wirklich nicht dazwischenreden, wenn Ihre Vorderen sich unterhalten.
Aber um Ihre Frage zu beantworten: Wie kann die menschliche Demokratie auf Kreaturen anwendbar sein, die keine Menschen sind? Würden Sie einer Katze das Stimmrecht geben wollen? Oder einem FordAAF? Antworten Sie!“
„Nein, aber …“
„Na bitte. Alle sind gleich, und jeder hat eine Stimme. Aber irgendwo muß man die Grenze ziehen.
Jetzt halten Sie aber den Mund, verdammt! Stören Sie uns nicht, während die Altvorderen sich absprechen!
George, was Sie da vorhin taten — also, wenn es derKerl wirklich auf mein Leben abgesehen gehabt hätte — das war nicht der Fall, vergessen Sie das nicht! — hätten Sie nicht besser den heldischen Traditionen unserer großartigen kalifornischen Konföderation entsprechen können! Wenn ich Sie so anschaue, bin ich von Stolz erfüllt!“
Tumbril stand auf und kam hinter seinem Tisch hervor. Die Hände auf dem Rücken verschränkend begann er auf und ab zu gehen — und ich erkannte warum er größer ausgesehen hatte als im Freien.
Er benutzte einen erhöhten Stuhl oder eine kleine Plattform hinter seinem Tisch. In natürlicher Größe reichte er mir etwa bis an die Schulter. Im Gehen schien er laut vor sich hin zu denken. „George, für einen Mann Ihres Mutes ist immer Platz in meiner Familie. Wer weiß — vielleicht kommt der Tag, da Sie mich vor einem Verbrecher retten, der mir wirklich schaden will. Ich spreche von ausländischen Agitatoren — von den mutigen Patrioten Kaliforniens habe ich nichts zu befürchten. Sie alle lieben mich wegen der Dinge, die ich in meiner Amtszeit im Achteckigen Büro getan habe. Andere Länder jedoch sind neidisch auf uns; sie mißgönnen uns unseren reichen, freien demokratischen Lebensstil, und manchmal gipfelt ihr schwelender Haß in Gewalt.“
Mit vorgeneigtem Kopf verharrte er einen Augenblick lang in ehrfürchtiger Bewunderung von irgend etwas, das ich nicht ausmachen konnte. „Zu den Preisen für das Privileg dieses Dienstes gehört allerdings eins“, sagte er feierlich, „ein Geschenk, das man in aller Bescheidenheit und voller Freude zu geben bereit sein muß. George, wenn von Ihnen verlangt würde, für das Leben des Ersten Verwalters Ihres Landesdas höchste Opfer zu bringen, würden Sie da zögern?
Antworten Sie!“
„Ich glaube schon“, antwortete Georges.
„Äh … Was?“
„Nun ja, wenn ich meine Stimme abgebe — ich tue das nicht oft —, spreche ich mich gewöhnlich für die Réunionisten aus. Der derzeitige Premierminister dagegen ist ein Revanchist. Ich glaube nicht, daß er mich in seiner Nähe dulden würde.“
„Wovon reden Sie da eigentlich, zum Teufel?“
„Je suis Québecois, Monsieur le Chef d’Etat. Ich komme aus Montréal.“
16. Kapitel
Fünf Minuten später standen wir wieder auf der Straße. Einige unangenehme Minuten lang hatte es so ausgesehen, als sollten wir gehängt oder erschossen werden, oder zumindest für alle Ewigkeit in den tiefsten Verliesen verschwinden, weil wir das Verbrechen begangen hatten, keine Kalifornier zu sein.
Schließlich setzte sich aber eine nüchterne Einschätzung der Lage durch, als nämlich Kriegsschreis führender rechtlicher Adler seinen Chef davon überzeugte, daß es besser sei, uns laufen als sich auf das Risiko eines Prozesses einzulassen, selbst wenn dieser hinter verschlossenen Türen stattfinden sollte — der Generalkonsul von Québec mochte sich wohl darauf einlassen, doch sein ganzes Personal schmieren zu müssen, mochte teuer werden.
Er drückte sich natürlich nicht genau in diesem Sinne aus, aber er wußte ja nicht, daß ich zuhörte, da ich bisher nicht einmal zu Georges von meinem gesteigerten Hörvermögen gesprochen hatte. Der Chefberater des Häuptlings machte eine geflüsterte Bemerkung über den Ärger, den man mit der kleinen mexikanischen Schlampe gehabt hatte, nachdem die Leute aus dem Süden von der Geschichte erfahren hatten. Eine solche Schweinerei dürfe es nicht noch einmal geben. Passen Sie auf, Boß; man hat Sie da am Sack!