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So ließen wir den Palast endlich hinter uns und erreichten die kalifornische Zentrale der MasterCharge-Organisation — fünfundvierzig Minuten später als vorgesehen. Es kostete uns weitere zehn Mi-nuten, in einer Toilette der Commercial-Credit-Bank von Kalifornien unsere Verkleidungen wieder loszuwerden. Der Raum war auf demokratische Gleichberechtigung ausgelegt, doch nicht auf aggressive Weise. Man mußte keinen Eintritt bezahlen, die Kabinen hatten Türen, und die Frauen benutzten die eine Seite und die Männer die andere, die mit den senkrechten Badewannen-Gebilden, die Männer außer den Kabinen auch noch benutzen, und zu Begegnungen kam es nur in einem in der Mitte gelegenen Raum voller Waschbecken und Spiegel — und selbst hier blieben die Frauen mehr auf der einen Seite und die Männer auf der anderen. Solche gemeinsamen Toiletten machen mir nichts aus — schließlich bin ich in einer Krippe großgeworden —, aber mir fällt auf, daß sich Männer und Frauen, sobald sie Gelegenheit dazu haben, voneinander absetzen.

Ohne den Lippenstift sah Georges viel besser aus.

Er hatte sich außerdem das Haar gewaschen und es streng gekämmt. Das auffällige Tuch steckte ich in meinen Koffer. „War wohl ein dummer Einfall, uns verkleidet aus der Affäre ziehen zu wollen“, sagte er.

Ich blickte mich um. Niemand war in der Nähe außerdem machten die Toiletten und die Klimaanlage ziemlich viel Lärm. „Ich finde das nicht, Georges. Ich glaube, innerhalb von sechs Wochen könnte man einen richtigen Profi aus dir machen.“

„Was für einen Profi?“

„Na, vielleicht einen Pinkerton-Mann. Oder einen …“ Jemand betrat den Raum. „Wir sprechen später darüber. Immerhin sind zwei Lotterielose dabei herausgesprungen.“

„Richtig. Wann ist denn unsere Ziehung?“ Ich nahm mein Los zur Hand und studierte es.

„Tatsächlich — heute schon! Heute nachmittag! Oder bin ich mit den Daten durcheinander?“

„Nein“, sagte Georges nach einem Blick auf mein Los. „Du hast recht, die Ziehung ist heute. Etwa in einer Stunde sollten wir uns in der Nähe eines Terminals aufhalten.“

„Sinnlos“, erwiderte ich. „Ich gewinne nie beim Kartenspiel, ich habe keine Chance beim Würfeln und Lotterien sind erst recht hoffnungslos. Wenn ich Cracker kaufe, fehlt in der Schachtel meistens die kleine Zugabe.“

„Trotzdem schauen wir uns das am Terminal an Kassandra!“

„Na schön. Wann ist denn deine Ziehung?“

Er nahm sein Los zur Hand, und wir betrachteten es. „He, das ist ja dieselbe Ziehung!“ rief ich. „Jetzt haben wir noch mehr Grund, uns die Sache anzusehen.“

Georges hatte den Blick nicht von seinem Los genommen. „Freitag, schau dir das mal an!“ Mit dem Daumen rieb er über das Papier. Die Buchstaben blieben scharf, nur die Seriennummer ließ sich verschmieren. „Da hört sich doch alles auf! Wie lange blieb unsere Freundin mit dem Kopf unter dem Tresen, ehe Sie dieses Los ›fand‹?“

„Keine Ahnung. Weniger als eine Minute.“

„Jedenfalls lange genug. Soviel ist klar.“

„Willst du es ihr zurückgeben?“

„Ich? Freitag, warum sollte ich? Solche Virtuosität verdient Applaus! Sie verschwendet ihre Talente allerdings mit läppischen Kleinigkeiten. Gehen wir nach oben! Wir wollen Master Charge hinter uns ha-ben, wenn die Ziehung beginnt.“

Vorübergehend verwandelte ich mich wieder in „Marjorie Baldwin“, und man gestattete es uns, in der Hauptstelle von Master Charge Kalifornien mit „unserem Mr. Chambers“ zu sprechen. Mr. Chambers war eine denkbar liebenswerte Person — gastfreundlich, gesellig, mitfühlend, freundlich und für uns offenbar genau der Richtige, da das Schildchen auf seinem Tisch ihn als Vizepräsident für Kundenkontakte auswies.

Nach mehreren Minuten wurde mir klar, daß sich seine Vollmacht auf das Neinsagen erstreckte und daß sein Haupttalent darin bestand, auf derart umständliche und liebenswerte Weise Nein zu sagen daß der Kunde gar nicht mitbekam, welche Abfuhr er erhielt.

„Zunächst müssen Sie bitte verstehen, Miß Baldwin, daß Master Charge Kalifornien und Master Charge Chicago-Imperium zwei völlig getrennte Firmen sind und daß Sie Ihren Kundenvertrag nicht mit uns geschlossen haben. Was uns wirklich leid tut. Es stimmt, aus gegenseitigem Entgegenkommen erkennen wir normalerweise die von der anderen Firma ausgestellten Kreditkarten an, und die andere Firma die unseren. Es tut uns wirklich leid, Ihnen sagen zu müssen, daß das Imperium im Augenblick — ich betone nochmals: ›im Augenblick‹ — die Verbindungen unterbrochen hat und daß es, so seltsam das auch ist heute nicht einmal einen offiziellen Wechselkurs zwischen Braunen und Kronen gibt — wie könnten wir also eine Kreditkarte aus dem Imperium anerkennen selbst wenn wir es wollten? Wir werden dazu bestimmt wieder in der Lage sein — aber später. Aller-dings möchten wir alles Menschenmögliche tun, um Ihren Aufenthalt bei uns so angenehm wie möglich zu gestalten. Was können wir in dieser Hinsicht für Sie tun?“

Ich fragte ihn, wann die Krise seiner Meinung nach denn vorüber sein würde.

Mr. Chambers musterte mich verständnislos. „›Krise‹? Was für eine Krise, Miß Baldwin? Vielleicht gibt es im Imperium eine Krise, weil es das Land für richtig gehalten hat, seine Grenzen zu schließen — aber doch gewiß nicht hier! Sehen Sie sich doch um! Haben Sie je ein Land gesehen, das von Frieden und Wohlstand so durchdrungen war?“

Ich gab ihm recht und stand auf, da eine weitere Auseinandersetzung sinnlos zu sein schien. „Vielen Dank, Mr. Chambers. Sie waren sehr nett.“

„Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite, Miß Baldwin. Service ist unsere Devise. Und vergessen Sie nicht: Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann, was es auch sei, ich stehe zu Ihrer Verfügung.“

„Vielen Dank, ich werde daran denken. Äh … gibt es hier irgendwo im Haus ein öffentliches Terminal?

Ich habe vorhin ein Lotterielos gekauft, die Ziehung müßte jeden Augenblick beginnen.“

Er setzte ein breites Grinsen auf. „Meine Liebe Miß Baldwin, ich freue mich sehr über Ihre Frage! In diesem Stockwerk haben wir einen großen Konferenzraum. Jeden Freitag kurz vor der Ziehung wird die Arbeit unterbrochen, und unser gesamtes Personal — zumindest alle, die Lose besitzen; Teilnahme ist nicht Pflicht — kommt zusammen und verfolgt die Ziehung.

J. B. — das ist unser Präsident und Generaldirektor — der alte J. B. hat entschieden, daß es besser sei, dieAnordnung so zu treffen, als daß sich die Losbesitzer zu der Zeit heimlich und unter fadenscheinigen Vorwänden davonschleichen. Besser für die Moral. Gewinnt einer unserer Mitarbeiter etwas — so etwas kommt vor —, bekommt sie oder er einen hübschen Kuchen mit Glasur, wie zum Geburtstag, ein persönliches Geschenk des alten J. B. Er kommt dann aus seinem Büro und ißt zusammen mit dem Gewinner ein Stückchen davon.“

„Scheint mir hier ja eine einzige glückliche Familie zu sein.“

„O ja, das kann man wohl sagen! In unserer Firma gibt es Computerverbrechen nicht — im Gegensatz zu anderen Finanzinstituten. Alle lieben den alten J. B.“

Er blickte auf seine Finger. „Gehen wir ins Konferenzzimmer!“

Mr. Chambers sorgte dafür, daß wir VIP-Sitze erhielten, besorgte uns persönlich Kaffee und beschloß dann, sich ebenfalls zu setzen und die Ziehung zu verfolgen.

Der Schirm des Terminals nahm den größten Teil der Stirnseite des Raums ein. Eine Stunde lang schauten wir zu, wie kleinere Preise ausgelost wurden — eine Zeit, in der der Leiter der Sendung mit seinen Assistenten krampfhaft lustige Witze austauschte, vorwiegend über die körperlichen Vorzüge des Mädchens, welches die Papierstücke aus der Lostrommel fischte. Eindeutig war sie eben wegen dieser Vorzüge für diese Aufgabe bestimmt worden — Vorzüge, die wirklich augenfüllend waren und die durch ihre Bereitschaft zur Geltung kamen, ein Kostüm zu tragen, das nicht nur wenig zu raten übrig ließ, sondern dem Publikum außerdem klarmachte, daß sienichts zu verbergen hatte. Sie brauchte nur einen Arm in die Trommel zu schieben und das Los herauszuholen und trug dann praktisch nichts anderes als die Binde über ihren Augen. Es schien mir eine leichte, angenehme Arbeit zu sein, vorausgesetzt, das Studio war gut geheizt.