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Es war eine glückliche und traurige Zeit zugleich denn Georges wußte, daß ich ihn nicht weiter mitnehmen würde, und wir stritten nicht mehr darüber.

Ich ließ es nicht einmal zu, daß er mich in die Unterstadt begleitete — und hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, daß ich möglicherweise nicht zurückkehren würde, daß ich vielleicht nicht einmal die Zeit hatte ihm im Hotel eine Nachricht zu hinterlassen. Wenn der richtige Augenblick kam, mußte ich ins kalte Wasser springen.

Vicksburgs Unterstadt ist ein rauher, gefährlicher Ort und wie ein Misthaufen von kribbelndem Leben erfüllt. Bei Tag patrouilliert die Polizei nur zu zweit; in der Nacht wagt sich niemand in diesen Bezirk. Es ist eine Stadt der Schieber, Huren, Schmuggler, Drogenverkäufer, Drogenvermittler, Buchmacher, Zuhälter, Meuchelmörder, Söldner, Bandenführer Hehler, Geldverleiher, Bettler, zweifelhaften Ärzte Sklavenhändler, Trickbetrüger, Mädchenjungen — was immer man sich vorstellen kann, in der Unterstadt von Vicksburg war es für Geld zu haben. Ein großartiger Ort, und vergessen Sie nicht, sich hinterher einer Blutuntersuchung zu unterziehen.

Es ist die einzige Stadt, in der nach meiner Kenntnis ein Lebendiges Artefakt, vom Entwurf her sofort als solches zu erkennen (vier Arme, keine Beine, die Arme hinten am Schädel — wie auch immer) an eine Bar treten (oder davorrutschen) und ein Bier kaufen kann, ohne daß ihm oder seinen Verformungen irgendwelche Beachtung geschenkt wird. Was meine Art anging, so hatte es keinerlei Bedeutung ob ich künstlich geschaffen war oder nicht — nicht in einerGemeinschaft, von der sich fünfundneunzig Prozent nicht trauten, eine Fahrtreppe zur Oberstadt zu betreten.

Ich war in Versuchung, einfach dort unterzutauchen. Von diesen Außenseitern ging eine Wärme und Freundlichkeit aus, die mich beeindruckte: von ihnen würde ich niemals Verachtung erfahren. Wäre es nicht um meinen Chef gegangen, wie auch um Georges und die Erinnerung an Orte, die besser rochen hätte ich in (Unter-)Vicksburg bleiben und mir eine Tätigkeit suchen können, die zu meinen Talenten paßte.

„Aber ich muß Versprechungen einlösen und noch viele Meilen zurücklegen, ehe ich schlafen kann.“

Master Robert Frost wußte schon, warum jemand weitermachte, obwohl er lieber Schluß machen wollte. Ich kleidete mich wie eine arbeitslose Soldatin, die nach der besten Rekrutierungsmöglichkeit suchte und tat mich in der Flußstadt um. Dabei spitzte ich die Ohren nach Informationen über Flußbootkapitäne, die auch vor lebendiger Fracht nicht zurückscheuten. Ich war enttäuscht, als ich erfuhr, wie wenig Verkehr im Grunde auf dem Fluß herrschte. Aus dem Imperium drangen keine Nachrichten zu uns und es kamen auch keine Boote den Fluß herab; folglich waren nur wenige Schiffe bereit, die riskante Fahrt in diese Richtung anzutreten.

Ich saß also in den Bars der Flußstadt herum, trank Bier in Maßen und gab die Parole aus, daß ich bereit war, für eine Fahrkarte flußaufwärts einen anständigen Preis zu bezahlen. Ich spielte mit dem Gedanken eine Anzeige aufzugeben. Die Spalte für „Gelegenheiten“, die hier weitaus direkter formulierte Anzei-gen enthielt als in Kalifornien, hatte ich mit Interesse verfolgt — offenbar wurde hier alles geduldet, solange es sich auf die Unterstadt beschränkte:

Hassen Sie Ihre Familie?

Sind Sie frustriert, angebunden, gelangweilt?

Ist Ihr Mann/lhre Frau das reinste Brechmittel?

DANN WOLLEN WIR EINEN NEUEN MENSCHEN

AUS IHNEN MACHEN!!!

Verplastisierung — Reorientierung — Ortsverlegung Transsexualisierung — Diskrete Beseitigung Sprechen Sie mit Doc Frank Frankenstein Schöner Sam — Bar Grill Nie zuvor hatte ich bezahlte Morde so offen angezeigt gesehen. Oder verstand ich hier etwas nicht richtig?

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Die obengenannten Dienste kann man sicher auch in jeder anderen großen Stadt in Anspruch nehmen doch dürfte selten so offen dafür geworben werden.

Was die Gewährleistung betraf, so hatte ich da meine Zweifel.

Ich kam zu dem Entschluß, meinen Bedarf nicht durch eine Anzeige bekanntzugeben, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß eine so öffentliche Maßnahme mir in einer Sache helfen konnte, die im Grunde von Heimlichkeit bestimmt war. Aber ich verfolgte die Anzeigen in der Hoffnung, etwas auszumachen das mir weiterhelfen konnte — und entdeckte einen Text, der wohl nicht nützlich, aber auf jeden Fall interessant war. Ich hielt den Text fest und machte Georges darauf aufmerksam:

W. K. — Mach dein Testament!

Du hast nur noch zehn Tage zu leben.

A. C. B.„Was hältst du davon, Georges?“

„Die erste Anzeige, die wir gesehen haben, gab W.

K. nur noch eine Woche Zeit. Inzwischen ist mehr als eine Woche vergangen, und jetzt hat er noch zehn Tage. Wenn dies so weitergeht, wird W. K. an Altersschwäche sterben.“

„Das meinst du doch nicht ernst!“

„Nein, mein Schatz. Natürlich ist es ein Kode.“

„Was für eine Art Kode?“

„Die einfachste Art von Kode, die deshalb unmöglich zu knacken ist. Die erste Anzeige wies die betreffende Person an — vielleicht sind es ja auch mehrere — etwas zu tun, das die Ziffer sieben trug, oder Nummer sieben zu erwarten. Vielleicht wurde auch eine Aussage gemacht über etwas, das die Bezeichnung ›sieben‹ trug. Diese Anzeige enthält dieselbe Aussage im Hinblick auf das Kode-Objekt zehn. Die Bedeutung der Ziffern läßt sich aber aus einer statistischen Analyse ableiten, da der Kode schon längst wieder geändert sein kann, ehe ein statistisches Universum abgesteckt ist. Ein Idiotenkode, Freitag, der sich nie knacken läßt, wenn der Benutzer so vernünftig ist nicht zu oft zum Brunnen zu gehen.“

„Georges, du redest, als hättest du beim Militär bei der Verschlüsselung gearbeitet.“

„Stimmt, aber nicht dort habe ich mir meine Kenntnisse erworben. Die schwierigste KodeAnalyse, an die man sich je herangewagt hat — ein Vorgang, der heute noch läuft und niemals abgeschlossen sein wird —, ist die Interpretation lebendiger Genfaktoren. Dies alles ist ein Idiotenkode — aber so viele Millionen Mal wiederholt, daß wir unsinnigen Silben mit der Zeit eine Bedeutung zuordnen können.Verzeih mir, daß ich beim Essen über meinen Beruf rede.“

„Unsinn, ich habe damit angefangen. Wir können nicht erraten, was A. C. B. bedeutet?“

„Nein.“

In dieser Nacht schlugen die Mörder zum zweitenmal zu, genau nach Plan. Ich will damit nicht behaupten, daß die beiden Dinge miteinander zu tun hatten.

Beinahe auf die Stunde genau zehn Tage nach dem ersten Angriff begannen sie die zweite Aktion. Der Zeitpunkt verriet uns nichts darüber, welche Gruppe dahinterstand, da sich sowohl der sogenannte Überlebensrat als auch die rivalisierenden „Stimulatoren“ entsprechend geäußert hatten, während die Engel des Herrn über einen zweiten Gewaltakt nichts verlauten ließen.

Zwischen der ersten und der zweiten Terrorwelle gab es Unterschiede, Unterschiede, die mir doch einiges sagen konnten — mir und Georges, da wir natürlich über die Meldungen diskutierten, sobald sie über die Schirme kamen: