„Lies das durch, dann unterschreib! Dann nehme ichdir den Eid ab. Irgendwelche Fragen?“
Ich sah mir den Vordruck an. Das meiste waren Routinesachen über die Kompaniekasse und Haschgeld und ärztliche Versorgung und GildeTarife und Handgeld — dazwischen aber fand sich eine Regelung, die die Zahlung des Handgeldes auf den zehnten Tag nach der Rekrutierung festlegte.
Verständlich. Ich sah darin die Garantie, daß man wirklich in den Einsatz wollte, und zwar sofort und flußaufwärts. Was jedem Söldner-Zahlmeister schlaflose Nächte bereitet, ist die Möglichkeit, daß seine Schäfchen mit dem Handgeld abhauen könnten.
Heute waren sämtliche Schlepper unterwegs, und da hätte ein erfahrener Soldat sich schon fünf- oder sechsmal anwerben lassen und jedesmal Handgeld kassieren können, um sich dann in einen Bananenstaat abzusetzen — es sei denn, die vertraglichen Bedingungen hätten das unterbunden.
Die Verpflichtung lautete auf Colonel Rachel Danvers persönlich, beziehungsweise auf ihren rechtlichen Nachfolger, sollte sie fallen oder zum Kommandieren nicht mehr in der Lage sein. Der Unterzeichner war verpflichtet, ihre Befehle auszuführen, wie auch jene der Offiziere und Unteroffiziere, die sie mir als Vorgesetzte zuwies. Ich erklärte mich einverstanden treu zu kämpfen und keine Gnade zu erbitten, wie es im internationalen Gesetz und in den Kriegsbräuchen üblich war.
Das Ganze war so vage formuliert, daß man schon eine ganze Horde von Anwälten aus Philadelphia hätte anrücken lassen müssen, um die Grauzonen zu definieren — was überhaupt keine Bedeutung hatte da im entscheidenden Augenblick sämtliche Mei-nungsunterschiede dem Unterzeichner eine Kugel in den Rücken einbrachten.
Die Gültigkeitsdauer war, wie der Sergeant schon geäußert hatte, neunzig Tage, wobei der Colonel die Möglichkeit hatte, mit Zahlung eines zweiten Handgeldes die Frist um weitere neunzig Tage zu verlängern. Weitere Verlängerungen waren im Vertrag nicht vorgesehen, was mich doch etwas stutzig machte. Was für eine Art Leibwächterkontrakt mochte das sein, der nur sechs Monate gültig war und dann einfach aufgehoben sein sollte?
Entweder log mir der Rekrutierungs-Sergeant etwas vor, oder jemand anders hatte sie belogen, und sie war nicht schlau genug, die Unlogik zu erkennen.
Egal, es hatte keinen Sinn, sie danach zu fragen. Ich griff nach einem Stift. „Komme ich gleich zum Sanitätsoffizier?“
„Machst du Witze?“
„Was sonst?“ Ich unterschrieb und sagte dann: „Ich schwöre“, nachdem sie mir voller Eile einen Eid heruntergerasselt hatte, der mehr oder weniger dem Vertragstext entsprach.
Sie betrachtete meine Unterschrift. „Jones — was bedeutet das ›F‹?“
„Freitag.“
„Ein blöder Name. Im Dienst bist du Jones. Außer Dienst nenne ich dich Jonie.“
„Wie du willst, Sergeant. Bin ich jetzt im Dienst oder dienstfrei?“
„Du bist gleich dienstfrei. Hier deine Befehle!
Sammelpunkt am Ende der Shrimp Alley! Dort steht ein Schild ›Woo Fang and Levy Brothers Inc.‹. Finde dich dort vierzehn Uhr ein, abmarschbereit! Nimmdie Hintertür! Bis zu diesem Zeitpunkt hast du frei und kannst deine Privatangelegenheiten regeln. Du kannst jedem von dieser Anwerbung erzählen, aber unter Hinweis auf die Disziplinarvorschriften muß ich dich auffordern, Dritten gegenüber keine Mutmaßungen über die Art des Einsatzes zu äußern, den wir planen.“ Diesen letzten Satz spulte sie so schnell herunter, als wäre er eine Aufzeichnung. „Brauchst du Geld für das Mittagessen? Nein, das nehme ich nicht an. Das wäre alles, Jonie. Freut mich, dich in meiner Truppe zu haben. Wir werden eine gute Expedition aufziehen.“ Sie winkte mich heran.
Ich kam der Aufforderung nach; sie legte mir einen Arm um die Hüfte und lächelte zu mir empor. Innerlich zuckte ich die Achseln und sagte mir, daß dies nicht der rechte Augenblick sei, den KompanieSergeant gegen mich aufzubringen. Ich erwiderte das Lächeln, beugte mich hinab und küßte sie. Gar nicht mal übel. Sie roch wenigstens nicht aus dem Mund.
18. Kapitel
Der Ausflugsdampfer Skip To M’Lou war ein echter Mark-Twainer, ein besseres Schiff, als ich erwartet hatte — drei Passagierdecks, vier Shipstone-Meiler, für jede Doppelschraube zwei. Allerdings war der Kahn bis obenhin beladen, so daß ich schon fürchtete, er könne beim geringsten Windhauch kentern. Wir bildeten nicht den einzigen Truppentransport: Einige Längen vor uns durchpflügte die Myrtle T. Hanshaw mit schätzungsweise zwanzig Knoten den Fluß. Ich dachte an treibende Baumstämme und andere Hindernisse und hoffte, daß die Radar/Sonar-Anlage drüben dieser Aufgabe gewachsen war.
Die Alamo-Helden fuhren mit der Myrtle, ebenso Colonel Rachel, die über beide Kampftruppen das Kommando führte — und mehr brauchte ich gar nicht zu wissen, um meinen Verdacht neu zu entfachen.
Eine riesige Brigade ist nun mal keine Palastgarde.
Colonel Rachel rechnete mit konkreten Kämpfen — möglicherweise mußten wir unter Feuer an Land gehen.
Noch hatte man keine Waffen ausgegeben, außerdem trugen die Rekruten noch Zivil. Dies deutete darauf hin, daß unser Colonel nicht sofort mit Aktionen rechnete. Außerdem bestätigte sich damit Sergeant Gumms Voraussage, daß wir mindestens bis Saint Louis flußaufwärts fahren würden — und natürlich waren ihre übrigen Äußerungen, daß wir die Leibwache des neuen Vorsitzenden werden sollten ein Hinweis darauf, daß wir womöglich ganz bis zur Hauptstadt hinauffahren würden …Wenn der neue Vorsitzende wirklich am Regierungssitz weilte. Wenn Mary Gumm wußte, wovon sie redete. Wenn nicht jemand den Fluß umdrehte sobald ich mal nicht hinschaute. Freitag, da liegen zu viele Unwägbarkeiten in der Luft, während es an konkreten Tatsachen mangelt! Im Grunde wußte ich nur, daß das Schiff etwa jetzt die Grenze zum Imperium überquerte — aber genau wußte ich nicht, auf welcher Seite der Grenze wir waren oder wie ich den Unterschied feststellen sollte.
Es war mir auch nicht sonderlich wichtig, da ich mich irgendwann in den nächsten Tagen, sobald wir dem Hauptquartier meines Chefs nahe gekommen waren, ohne Umstände von Rachels Räubern absetzen wollte — wenn es ging, vor dem Einsatz. Ich hatte inzwischen Gelegenheit gehabt, mir eine Meinung über die Truppe zu bilden und war zu der Ansicht gekommen, daß man sie in weniger als sechs Wochen energischer Feldübungen kampftauglich machen konnte — aber da mußten dann schon wirklich harte und rücksichtslose Ausbilder am Werke sein. Zu viele Rekruten, nicht genug kampferfahrene Einheiten.
Angeblich waren die Rekruten ausnahmslos Veteranen — aber ich war überzeugt, daß es sich bei vielen um entlaufene Bauerntöchter handelte, die teils erst etwa fünfzehn Jahre alt waren. Groß für ihr Alter, das mag sein, außerdem wurde oft nach der Maxima gehandelt: „Wenn Sie groß genug sind, sind sie auch alt genug“, aber wenn man seine sechzig Kilo beisammen hat, ist man noch lange kein Soldat.
Solche Truppen in den Einsatz zu führen, war Selbstmord. Allerdings machte ich mir keine Gedanken darüber. Ich hatte eine reichliche Bohnenmahlzeitgenossen und saß auf dem Achterdeck, den Rücken gegen eine Taurolle gelehnt. Ich genoß den Sonnenuntergang und verdaute mein erstes Essen als Soldat (wenn das das richtige Wort ist), während ich mich zufrieden mit der Tatsache beschäftigte, daß die Skip To M’Lou etwa jetzt das Chicago-Imperium erreichte oder die Grenze bereits überschritten hatte.
Jemand sagte hinter mir: „Na, Soldat, versteckst du dich?“
Ich erkannte die Stimme und drehte den Kopf. „Also, Sergeant, wie kannst du nur so etwas fragen?“
„Kein Problem. Ich habe mich nur eben gefragt:
›Wohin würde ich gehen, um mich zu verdrücken? ‹ — und schon hatte ich dich! Vergiß es, Jonie! Hast du dir deine Koje schon ausgesucht?“