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Ich hatte es bisher nicht getan, weil es dazu viele Möglichkeiten gab, die alle gleichermaßen unangenehm waren. Die meisten Soldaten waren in Kabinen untergebracht — in jeder Doppelkabine vier, in jeder Einzelkabine drei. Unsere Einheit jedoch sollte mit einer weiteren im Speisesaal schlafen. Ich hatte keinen Vorteil darin gesehen, nahe dem Kapitänstisch zu liegen, und mich daher am Sturm auf die Quartiere nicht beteiligt.

Sergeant Gumm nickte, als ich ihr geantwortet hatte. „Okay. Wenn du dir deine Decke abholst, baust du dir damit keinen Platz zum Schlafen; sie wird dir bestimmt gestohlen. Backbordseite achtern, vor der Kombüse liegt die Kabine des für den Speisesaal zuständigen Stewards — das ist mein Quartier. Es ist eine Einzelkabine, allerdings mit breiter Liege. Bring deine Decke dorthin! Bei mir hast du’s verdammt viel bequemer als auf dem harten Deck.“

„Das ist sehr nett von dir, Sergeant!“ (Wie rede ich mich da nur heraus? Oder muß ich mich dem Unvermeidlichen fügen?)

„Nenn mich ›Mary‹, wenn wir allein sind. Wie war doch gleich dein Vorname?“

„Freitag.“

„›Freitag‹. Das ist irgendwie süß, wenn man’s genau bedenkt. Na schön, Freitag, dann seh ich dich später.“ Wir sahen zu, wie der letzte rötliche Streifen Sonne hinter dem Land achtern von uns verschwand denn die Skip fuhr nun in einer der endlosen Flußkurven in östlicher Richtung. „Sieht aus, als müßte sie zischen und Dampf aufsteigen lassen.“

„Sergeant, du hast die Seele einer Dichterin.“

„Ich habe mir oft vorgestellt, daß ich es eigentlich können müßte. Gedichte schreiben, meine ich. Du weißt Bescheid? Wegen der Verdunkelung, meine ich?“

„Draußen keine Lichter, keine Zigaretten. Drinnen Beleuchtung nur bei totaler Verdunkelung. Zuwiderhandelnde werden bei Sonnenaufgang erschossen. Ist für mich nicht weiter wichtig. Ich rauche nicht.“

„Berichtigung. Zuwiderhandelnde werden nicht erschossen; sie werden sich nur leidenschaftlich wünschen, sie wären an die Wand gestellt worden. Du rauchst überhaupt nicht, meine Liebe? Nicht mal ein nettes Stängchen mit einer Freundin?“

(Gib schon auf, Freitag!) „Das ist ja kein Rauchen; das ist Freundschaft.“

„So sehe ich das auch. Ich habe natürlich nicht den ganzen Kopf voller Sägespäne. Aber ab und zu ein hübscher Trip in netter Begleitung, wenn beide in der Stimmung dazu sind — das ist doch sehr nett. Und dubist auch sehr nett.“ Sie ließ sich neben mir auf das Deck sinken und legte mir einen Arm um die Schulter.

„Sergeant! Ich meine ›Mary‹. Bitte nicht! Es ist noch nicht ganz dunkel. Man könnte uns sehen.“

„Wen stört das?“

„Mich. Ich bin dann gehemmt. Es wird mir die Stimmung verdorben.“

„In dieser Truppe wirst du das schnell ablegen. Bist du Jungfrau, meine Liebe? Ich meine, mit Mädchen?“

„Äh … bitte frag mich nicht aus, Mary! Und laß mich los! Es tut mir leid, aber das macht mich nervös.

Hier, meine ich. Es könnte ja jederzeit jemand um die Ecke des Deckshauses kommen.“

Sie betatschte mich und begann aufzustehen. „Ist irgendwie süß, daß du so schüchtern bist. Na schön ich habe in der Kabine guten Omaha Black, den ich für eine besondere Gelegenheit aufgespart …“

Grelles Licht erhellte den Himmel, dichtauf gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Wo sich eben noch die Myrtle befunden hatte, war der Himmel von Trümmern erfüllt.

„Jesus Christus!“

„Mary, kannst du schwimmen?“

„Was? Nein.“

„Spring hinter mir ins Wasser, ich stütze dich!“ Im gleichen Augenblick sprang ich über die Backbordreling, wobei ich mich abstieß, so fest ich konnte. Dann machte ich ein Dutzend energische Schwimmzüge um Abstand zu gewinnen, und drehte mich auf den Rücken. Mary Gumms Kopf zeichnete sich als Umriß vor dem Himmel ab.

Doch mehr nahm ich von ihr nicht wahr, denn imnächsten Augenblick flog auch die Skip To M’Lou in die Luft.

An jenem Abschnitt des Mississippi erstrecken sich am Ostufer hohe Klippen. Das Westufer des Flusses ist höhergelegenes Land, nicht so klar auszumachen zehn oder fünfzehn Kilometer entfernt. Zwischen diesen beiden Seiten ist die Position des Flusses Ansichtssache — manchmal auch ein Thema rechtlicher Auseinandersetzungen, weil der Fluß ab und zu seinen Lauf ändert und Besitzrechte beeinträchtigt.

Der Fluß verläuft in allen Richtungen und kann genausogut nach Süden wie nach Norden fließen — nun ja, vielleicht nach Norden nicht so häufig wie nach Süden. Bei Sonnenuntergang war die Strömung in den Westen gerichtet gewesen; die gegen den Strom stampfende Skip hatte den Sonnenuntergang achtern gehabt. Aber während die Sonne unterging hatte sich der Flußlauf nach Norden gewandt und das Boot entsprechend nach links herumgeführt; mir war aufgefallen, daß der orangerote Sonnenuntergang langsam auf die Backbordseite schwang.

Deshalb sprang ich nach Backbord. Als ich das Wasser erreicht hatte, ging es mir in erster Linie darum, vom Schiff wegzukommen; erst als zweites wollte ich feststellen, ob Mary mir gefolgt war. Im Grunde rechnete ich nicht damit, weil die meisten Menschen, die richtigen Menschen (meiner Erfahrung nach!) nicht so schnell eine Entscheidung treffen können.

Ich sah sie noch an Bord stehen; sie starrte zu mir herab. Dann ereignete sich die zweite Explosion, und es war zu spät. Ich spürte einen Anflug von Bedauern— auf ihre freche, leicht unehrliche Art war Mary ein feiner Kerl gewesen —, dann tilgte ich sie aus meinen Gedanken; ich hatte andere Probleme.

Mein erstes Problem betraf meinen Wunsch, nicht von Trümmern getroffen zu werden; ich tauchte und blieb unten. Ich kann beinahe zehn Minuten lang den Atem anhalten und mich dabei trotzdem bewegen auch wenn mir das Gefühl nicht gefällt. Diesmal hielt ich durch, bis es beinahe nicht mehr ging, dann kam ich wieder an die Oberfläche.

Es hatte genügt. Es war dunkel, aber ich schien die Zone der Schiffstrümmer verlassen zu haben.

Möglich, daß es im Wasser Überlebende gab, doch ich hörte keine und spürte auch nicht den Drang nach Überlebenden zu suchen (die einzige Ausnahme wäre Mary gewesen, aber es war unmöglich, sie zu finden), da ich nicht entsprechend ausgerüstet war und kaum mich selbst retten konnte.

Ich blickte mich um, entdeckte die Überreste des Sonnenuntergangs und schwamm darauf zu. Nach einer Weile verlor ich diesen Anhaltspunkt, drehte mich auf den Rücken und suchte den Himmel ab. Wolkenfetzen und kein Mond … Ich machte Arkturus aus dann beide Bären und den Polarstern, und damit wußte ich, wo Norden war. Daraufhin berichtigte ich meinen Kurs genau auf Westen. Ich blieb dabei auf dem Rücken, denn wenn man es nicht übertreibt, kann man in dieser Stellung ewig aushalten. Kein Problem mit dem Atmen, und wenn die Kräfte ein wenig knapp werden, braucht man nur stillzuhalten und ein bißchen die Finger zu bewegen, bis man wieder ausgeruht ist. Ich hatte es nicht eilig; ich wollte lediglich das Imperium auf der Arkansas-Seite erreichen.Dabei wollte ich allerdings nicht nach Texas zurückgetrieben werden — das war das Allerwichtigste.

Problem: Die richtige Navigation auf einem mehrere Kilometer breiten Fluß, bei Nacht und ohne Karte mit dem Ziel, das unsichtbare Westufer zu erreichen — ohne dabei nach Süden getrieben zu werden.

Unmöglich? So wie der Mississippi sich windet wie eine Schlange mit gebrochenem Rückgrat? Das Wort „unmöglich“ gibt es im Zusammenhang mit dem Mississippi allerdings nicht. Es gibt da eine Stelle, wo man drei kurze Überland-Abkürzungen machen kann, die insgesamt weniger als neunzig Meter lang sind, wo man ferner den Fluß in zwei Biegungen hinabschwimmen kann, die insgesamt etwa dreißig Kilometer ausmachen — nur um gut hundert Kilometer flußaufwärts zu landen.

Ich hatte keine Karte und sah mein Ziel nicht — ich wußte nur, daß ich nach Westen mußte und dabei nicht nach Süden durfte. Und genau das tat ich. Ich blieb auf dem Rücken liegen und schaute immer wieder zu den Sternen empor, um den Westkurs zu halten. Dabei konnte ich nicht ermitteln, um wieviel ich dabei durch die Strömung nach Süden getrieben wurde, bis auf die Gewißheit, daß, sollte der Fluß nach Süden abbiegen, mein Westkurs mich am Arkansas-Ufer anlanden lassen mußte.