Meine Chancen? Eins gegen acht. Vielleicht eins gegen sechs, wenn ich richtig in Fahrt geriet. Der schwächste Aspekt meines jämmerlichen Plans war die Wahrscheinlichkeit, daß man mich entdecken würde, ehe ich das Haus verlassen konnte — denn falls ich … nein, wenn ich entdeckt wurde, mußte ich meinen Gegner nicht nur umbringen, sondern dabei auch noch absolut lautlos vorgehen …
Denn die Alternative bestand darin abzuwarten bis man mich erledigte — und das war in dem Augenblick zu erwarten, da der „Major“ zu der Überzeugung gelangte, daß er nichts Neues mehr aus mir herausquetschen konnte. So tolpatschig diese Kerle auch waren, sie waren nicht so dumm — zumindest nicht der Major —, eine Zeugin am Leben zu lassen die sie gefoltert und vergewaltigt hatten.
Ich lauschte angestrengt.
Nichts rührte sich, auch keine Maus … Länger zu warten war sinnlos; jede weitere Sekunde brachte den Augenblick näher, da sich tatsächlich jemand rührenwürde. Ich öffnete die Augen.
„Ah, Sie sind wach. Gut!“
„Chef! Wo bin ich?“
„Was für ein Gemeinplatz! Freitag das können Sie doch besser. Versuchen Sie’s noch einmal von vorn.“
Ich sah mich um. Ein Schlafzimmer, vermutlich in einem Krankenhaus. Keine Fenster. Blendfreie Beleuchtung. Typische Grabesstille, die durch das leise Seufzen der Belüftung eher noch unterstrichen wurde.
Wieder musterte ich meinen Chef. Was für ein willkommener Anblick! Die alte, unmoderne Augenklappe, die er seit jeher trug — warum nahm er sich nicht die Zeit, das Auge regenerieren zu lassen? Seine Krücken lehnten in Reichweite an einem Tisch. Er trug den üblichen nachlässigen Seidenanzug, schlecht geschnitten, so daß das Ganze wie ein Pyjama aussah.
Ich freute mich sehr, ihn zu sehen.
„Ich möchte immer noch wissen, wo ich bin. Und wie ich hierhergekommen bin. Und warum? Wir befinden uns irgendwo unter der Erde — aber wo?“
„Irgendwo unter der Erde, etliche Meter. ›Wo‹ wird man Ihnen sagen, wenn die Information für Sie nützlich ist, oder zumindest, wie Sie sich hier orientieren müssen. Das war der Nachteil unserer Farm — ein hübscher Ort, dessen Lage allerdings zu viele Leute kannten. Das ›Warum‹ liegt auf der Hand. Das ›Wie‹ hat Zeit. Bitte Ihren Bericht!“
„Chef, Sie sind der enervierendste Mann, der mir je begegnet ist.“
„Das beruht auf langjähriger Praxis. Berichten Sie!“
„Und Ihr Vater lernte Ihre Mutter bei einem Tanzfest kennen. Und nahm nicht mal den Hut ab.“
„Sie lernten sich bei einem Picknick der Baptisten-Sonntagsschule kennen und glaubten beide an den Butzemann. Jetzt Ihren Bericht.“
„Sie sollten sich mal die Ohren waschen. Reise nach L-5 ohne Zwischenfälle erledigt. Ich fand Mr. Mortenson und übergab ihm den Inhalt meines falschen Nabels. Der glatte Ablauf wurde durch einen höchst ungewöhnlichen Faktor gestört: In der Raumstadt grassierte eine Epidemie von Atemstörungen, Herkunft unbekannt, und ich zog mir diese Krankheit zu.
Mr. Mortenson war sehr nett; er behielt mich bei sich zu Hause, und seine Ehefrauen pflegten mich mit großer Geschicklichkeit und liebevoller Hingabe.
Chef, ich möchte, daß die beiden dafür eine Entschädigung erhalten.“
„Schon notiert. Fahren Sie fort!“
„Ich war die meiste Zeit nicht ganz bei mir. Deshalb war ich schließlich eine Woche über die Zeit.
Aber sobald mir wieder nach Reisen zumute war brach ich auf, denn Mr. Mortenson teilte mir mit, daß ich die für Sie bestimmte Sache bereits bei mir trüge.
Wie, Chef? Wieder im Nabelbeutel?“
„Ja und nein.“
„Das ist eine vertrackte Antwort!“
„Ihr künstliches Behältnis wurde benutzt.“
„Dachte ich mir’s doch. Obwohl es dort keine Nervenenden geben soll, spüre ich doch etwas — vielleicht eine Art Druck, wenn sich etwas darin befindet.“
Ich drückte mir in der Gegend des Nabels auf den Leib und spannte die Bauchmuskeln an. „He, das Ding ist ja leer! Sie haben’s herausgenommen?“
„Nein. Das haben unsere Gegner besorgt.“
„Dann habe ich versagt! O Gott, Chef, das ist ja fürchterlich!“
„Nein“, sagte er sanft. „Sie waren wie üblich erfolgreich. Trotz großer Gefahren und gewaltiger Hindernisse haben Sie die Mission perfekt durchgeführt.“
„Wirklich?“ (Ist Ihnen schon mal der VictoriaOrden angeheftet worden?) „Chef, hören Sie auf mit dem verschlüsselten Gerede! Machen Sie mir eine Zeichnung!“
„Aber ja.“
Aber vielleicht sollte ich vorher eine Zeichnung für Sie machen. Ich besitze einen Känguruhbeutel hinter meinem Nabel, eine künstlich geschaffene Einrichtung. Keine große Sache, doch es paßt ziemlich viel Mikrofilm in eine Öffnung von etwa einem Kubikzentimeter. Sehen kann man nichts, denn der dazugehörige Kreisverschluß läßt die Nabelgegend ganz natürlich erscheinen. Unvoreingenommene Stimmen behaupten, ich hätte einen hübschen Bauch und einen eher kleinen Nabel … was in wichtiger Hinsicht besser ist als ein hübsches Gesicht zu haben was bei mir nicht der Fall ist.
Der Kreisverschluß besteht aus synthetischem Silikon-Elastomer, das den Nabel jederzeit zusammenhält, selbst wenn ich bewußtlos bin. Anders geht es nicht, weil es dort keine Nervenenden gibt, die ein bewußtes Zusammenziehen und Entspannen möglich machen, etwa wie bei den analen und vaginalen Zonen und — bei manchen Leuten — auch in der Kehle.
Will man etwas in den Beutel tun, nimmt man ein wenig K-Y-Gelee oder eine andere unschädliche Salbe und drückt mit dem Daumen hinein — bitte keine scharfen Kanten! Zum Entladen nehme ich die Finger beider Hände, öffne den künstlichen Ringmuskel soweit es geht, dann presse ich energisch mit denBauchmuskeln — und das Ding hüpft heraus.
Schmuggelgut im Körper zu verbergen ist eine alte Kunst. Die klassischen Methoden sind der Mund Nebenhöhlen, Magen, Darm, Rektum, Vagina, Blase die Augenhöhle (wenn ein Auge fehlt) und das Ohr.
Außerdem gibt es exotische und nicht sehr nützliche Methoden mit Tätowierungen, die zuweilen auch unter dem Haar liegen.
Diese klassischen Methoden sind natürlich sämtlichen öffentlichen oder privaten Zollbeamten und Spezialagenten bekannt — auf der Erde, auf Luna, in den Raumstädten, auf anderen Planeten und an den übrigen Orten, die die Menschheit erreicht hat. Man kann sie also getrost vergessen. Die einzige klassische Methode, die gegen einen Profi noch anwendbar ist ist der Gestohlene Brief. Aber das ist schon hohe Kunst, und selbst dann sollte man die Methode nur bei Ahnungslosen anwenden, die trotz Wahrheitsseren nichts verraten können.
Schauen Sie sich mal die nächsten tausend Bauchnabel an, die Ihnen über den Weg laufen! Nachdem mein Beutelchen nun entdeckt worden ist, wäre es durchaus denkbar, daß ein oder zwei Nabel chirurgisch eingepflanzte Verstecke dieser Art verbergen.
Diese Zahl wird in Kürze noch mehr zunehmen, dann aber wird man auf diese Operation verzichten, denn ein solcher Schmuggeltrick erübrigt sich, sobald er sich herumgesprochen hat. Bis dahin werden die Zolloffiziere mit frechen Fingern prokeln. Ich kann nur hoffen, daß zornige Betroffene recht häufig zurückschlagen — so ein Nabel ist doch eine empfindliche und kitzlige Stelle.
„Freitag, die Schwachstelle Ihres kleinen Täsch-chens hat immer darin bestanden, daß jedes geschickte Verhör …“
„Die Kerle waren sehr ungeschickt.“
„… oder jedes grobe Verhör und jedes Wahrheitsserum Sie dazu bringen konnte, seine Existenz zu offenbaren.“