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Dieser zweite Plan behagte mir nicht sonderlich.

Am Unterlauf des Mississippi war es einigermaßen warm gewesen, in diesen nördlichen Flüssen aber würde es eiskalt sein. Ich hatte mich gestern abend in Pembina davon überzeugt. Brrr! Nur als allerletzte Möglichkeit …

Such dir also ein Stück Zaun aus, überleg dir genau, wie du ihn aufschneiden willst, dann versuch ein paar Bäume zu finden, kuschele dich in warmes Laub und warte auf die Dunkelheit! Überleg dir jeden Schritt mehrmals, so daß du durch den Zaun kommst wie ein dampfender Strahl Pisse durch Schnee!

In diesem Augenblick kam ich über eine leichte Anhöhe und befand mich Auge in Auge mit einem anderen Zaunwärter, einem Mann.

Im Zweifelsfall angreifen. „Was machst du denn hier, Mann?“

„Ich begehe den Zaun. Meinen Abschnitt. Ich muß fragen, was du hier machst, Schwester?“

„Ach, zum Teufel! Ich bin nicht Ihre Schwester!

Und Sie sind entweder am falschen Abschnitt oder in der falschen Schicht.“ Voller Unbehagen stellte ich fest, daß der gutgekleidete Zaunläufer ein WalkieTalkie bei sich hatte. Nun ja, ich war in diesem Berufnoch nicht lange tätig; ich lernte immer noch dazu.

„Da liegen Sie aber völlig falsch!“ gab er zurück.

„Nach dem neuen Dienstplan fange ich bei Beginn der Dämmerung an und werde mittags abgelöst.

Vielleicht von Ihnen, was? Ja, das muß es sein; Sie haben den Dienstplan nicht begriffen. Ich melde das mal.“

„Tun Sie das!“ sagte ich und trat auf ihn zu.

Er zögerte. „Andererseits könnte ich vielleicht …“

Ich zögerte nicht.

Ich töte nicht jeden, mit dem ich eine Meinungsverschiedenheit habe — niemand, der diese Memoiren liest, möge das bitte glauben. Ich tat ihm auch nur weh, soweit es sich nicht umgehen ließ — ganz kurz und nicht sehr kräftig. Ich legte ihn abrupt schlafen.

Von einer Rolle Klebstreifen, die ich am Gürtel trug, löste ich ein Stück, band ihm die Hände auf dem Rücken zusammen und sicherte seine Fußgelenke.

Wäre das Band breit genug gewesen, hätte ich ihm auch noch den Mund verschließen können, doch ich hatte nur das zwei Zoll breite rauhe Isolierband und war außerdem mehr daran interessiert, den Zaun aufzuschneiden, als ihn daran zu hindern, daß er die Kojoten und Kaninchen um Hilfe anbrüllte. Ich machte mich an die Arbeit.

Ein Schweißgerät, das zum Reparieren geeignet ist läßt sich auch dazu verwenden, einen Zaun aufzuschneiden — mein Gerät aber war noch ein bißchen besser geeignet; ich hatte es an der Hintertür von Fargos führendem Hehler gekauft. Äußerlich sah es wie ein Sauerstoff-Azetylen-Brenner aus, doch in Wirklichkeit handelte es sich um einen Laser, der Stahl auftrennen konnte. Nach Sekunden war dasLoch eben groß genug für Freitag. Ich bückte mich.

„He, nehmen Sie mich mit!“

Ich zögerte. Er bestätigte mir nachdrücklich, er sei ebenso begierig, von den gottverdammten Grünen wegzukommen wie ich — ich solle ihn losbinden!

Was ich dann tat, an diese Torheit kommt im Grunde nur die Handlungsweise von Lots Frau heran. Ich packte das Messer an meinem Gürtel, zerschnitt das Band, das Hände und Füße zusammenhielt — warf mich durch das enge Loch und begann zu laufen. Ich nahm mir nicht die Zeit zu schauen, ob er ebenfalls auf meine Seite herüberkam.

Etwa einen halben Kilometer weiter nördlich war eine seltene Baumgruppe auszumachen; mit Rekordgeschwindigkeit hielt ich darauf zu. Dabei behinderte mich der Werkzeuggurt, den ich abwarf, ohne aus dem Schritt zu kommen. Gleich darauf streifte ich die Mütze ab, und „Hannah Jensen“ verschwand wieder im Nirgendwo, da Handschuhe, Schweißgerät und Reparaturmaterialien im Imperium zurückgeblieben waren. Von Hannah existierte nur noch eine Brieftasche, die ich fortwerfen würde, sobald ich weniger beansprucht war.

Ich erreichte die schützenden Bäume und schlich mich im Bogen zurück zu einer Stelle, von der aus ich den Weg beobachten konnte, den ich gekommen war — der Gedanke, daß ich einen Verfolger hatte, belastete mich doch etwas.

Mein ehemaliger Gefangener hatte den Weg zwischen Zaun und Bäumen etwa zur Hälfte zurückgelegt — und zwei AAF hielten auf ihn zu. Das Fahrzeug das schon näher heran war, war mit dem großen Kastanienblatt Britisch-Kanadas geschmückt. Die Insi-gnien des anderen Fluggebildes konnte ich nicht erkennen, da es direkt auf mich zukam — allerdings flog es soeben über die internationale Grenze.

Das Brit-Kan-Polizeifahrzeug landete; mein Fluchtgast schien sich ohne Widerstand festnehmen zu lassen, was nur vernünftig war, denn schon landete das AAF aus dem Imperium, mindestens zweihundert Meter weit auf Britisch-Kanadischem Boden. Und ja es war Imperial-Polizei vermutlich das Fahrzeug, das mich schon vorhin angehalten hatte.

Ich bin kein Anwalt für internationales Recht trotzdem glaube ich, daß es schon wegen unwichtigerer Zwischenfälle zum Krieg gekommen ist. Ich hielt den Atem an, streckte mein Hörvermögen auf das Äußerste und lauschte.

Bei den beiden Patrouillen gab es keine Anwälte für internationales Recht; der Streit war laut, aber ziemlich sinnlos. Die Imperialen verlangten die Auslieferung des Flüchtlings und beriefen sich dabei auf das Recht des beinahe erfolgreichen Verfolgers, während der Corporal der Mounted Police* (nach meinem Dafürhalten zu Recht) darauf hinwies, daß so etwas nur für Verbrecher gelten könne, die auf frischer Tat ertappt worden seien; das einzige offenkundige „Verbrechen“, das hier begangen sei bestehe im Betreten Britisch-Kanadas abseits der dafür vorgesehenen Durchgänge — eine Angelegenheit, die nicht in den Bereich der Imperial-Polizei falle. „Und jetzt verziehen Sie sich schleunigst von Brit-Kan-Boden!“

Der Grüne gab eine einsilbige Antwort, die den

* Sie heißt auch im Zeitalter der Helikopter noch immer „Berittene Polizei“.Kanadier erzürnte. Er knallte sein Luk zu und äußerte sich durch den Lautsprecher: „Ich verhafte Sie wegen einer krassen Verletzung des Britisch-Kanadischen Luft- und Bodenraums. Steigen Sie aus, ergeben Sie sich! Versuchen Sie nicht zu starten!“

Woraufhin das Fahrzeug der Grünen augenblicklich startete und sich über die internationale Grenze zurückzog — um von dort im Hinterland zu verschwinden. Womöglich war das genau die Reaktion die der „Berittene“ auslösen wollte. Ich rührte mich nicht, denn nun hatten die Beamten Zeit, sich um mich zu kümmern.

Aus der weiteren Entwicklung läßt sich ziemlich sicher schließen, daß mein Mitflüchtling nun den Preis für seinen Freisprung über den Zaun bezahlte:

Die Suche nach mir fand nicht statt. Der Mann sah mich bestimmt im Wald verschwinden. Von den Beamten der Brit-Kan-Polizei nehme ich das nicht an.

Zweifellos löste das Durchschneiden des Zauns auf beiden Seiten Alarm aus; eine Routine-Installation für die Elektronikfachleute, die sogar anzeigen konnten wo sich das Loch befand. Aus diesem Grunde hatte ich ja so schnell handeln wollen.

Die Anzahl der warmen Körper zu zählen, die durch ein solches Loch schlüpfen, das war allerdings ein anderes elektronisches Problem — nicht unmöglich, aber ein zusätzlicher Kostenfaktor, der wohl nicht für lohnend gehalten wurde. Wie dem auch sei mein namenloser Komplize verpfiff mich nicht, denn niemand suchte mich. Nach einer Weile brachte ein Brit-Kan-Wagen eine Reparaturmannschaft; ich sah wie die Männer den von mir in der Nähe des Zauns fortgeworfenen Werkzeuggurt vom Boden aufnah-men. Als die Techniker fort waren, erschien auf der Seite des Imperiums ein zweiter Trupp; er inspizierte die bereits geleistete Arbeit und verschwand wieder.

Ich machte mir meine Gedanken über die Werkzeuggurte. Wenn ich es mir recht überlegte, konnte ich mich nicht erinnern, bei meinem ehemaligen Gefangenen einen solchen Gurt wahrgenommen zu haben, als er sich ergab. Ich schloß daraus, daß er sich dieser Last entledigt hatte, um sich durch den Zaun zu zwängen; das Loch reichte knapp für Freitag; er mußte sich ganz schön angestrengt haben, um hindurchzukommen.